# taz.de -- 130.-133. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess I: Vom Flüchtling zum … | |
> Ein Ex-FDLR-Kämpfer erzählt aus der Vorläuferzeit der Miliz, als | |
> ruandische Hutu-Flüchtlinge durch den Kongo gejagt wurden. Aber die | |
> Befragung bleibt lückenhaft. | |
Bild: Tingi-Tingi, April 1997: Für viele ruandische Hutu-Flüchtlinge im Kongo… | |
Beim Stuttgarter Kriegsverbrecherprozess gegen Ignace Murwanashyaka und | |
Straton Musoni, Präsident und 1. Vizepräsident der FDLR (Demokratische | |
Kräfte zur Befreiung Ruandas) geht es zum einen um Verbrechen an | |
kongolesischen Zivilisten, die die FDLR 2009 begangen haben soll. Zum | |
anderen geht es um die Frage, ob die FDLR als terroristische Vereinigung zu | |
werten sei - also als „Vereinigung im Ausland, deren Zwecke oder deren | |
Tätigkeit darauf gerichtet sind, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und | |
Kriegsverbrechen zu begehen“, wie es in der Anklageschrift heißt. | |
Daher ist die Entstehungsgeschichte dieser Miliz wichtig für das Verfahren, | |
auch wenn es dabei nicht um die Rolle der Angeklagten direkt geht. Diese | |
zweite Dimension des Prozesses wird derzeit zunehmend wichtig. | |
Zeuge I, ein weiterer der vielen demobilisierten FDLR-Kämpfer, die in | |
Stuttgart geladen sind, wurde bei seiner Vernehmung an vier Tagen zwischen | |
dem 28. Januar und 6. Februar ausgiebiger als seine Vorgänger nach seiner | |
eigenen Geschichte befragt. | |
I gehört zu den Hunderttausenden ruandischen Hutu, die 1994 aus Ruanda | |
flohen, nachdem die damalige Hutu-Armee des Landes einen Völkermord an | |
Ruandas Tutsi verübt hatte und dann von der Tutsi-Guerilla der heute in | |
Ruanda regierenden RPF (Ruandische Patriotische Front) vertrieben wurde. | |
## Flucht nach dem Völkermord | |
1994 floh die für den Völkermord verantwortliche Regierung und Armee | |
Ruandas in den benachbarten Kongo, der damals noch Zaire hieß, und ließ | |
sich in grenznahen Flüchtlingslagern nieder, um von dort aus weiter Krieg | |
gegen die RPF zu führen. 1996 marschierte Ruandas RPF-Armee in Zaire ein, | |
um die Lager zu zerschlagen und nebenbei in Zaire eine neue Regierung zu | |
installieren - die von Laurent-Désiré Kabila, der später wiederum mit | |
Ruanda brach und die flüchtigen ruandischen Hutu-Kämpfer in seine Armee | |
aufnahm, um gegen Ruanda und ruandisch unterstützte kongolesische Rebellen | |
zu kämpfen. Aus diesen Kämpfern entstand schließlich die FDLR. | |
I erzählt seine Geschichte: Im September oder Oktober 1994 landete er im | |
Flüchtlingslager Inera in Süd-Kivu - das ehemalige nationale | |
Agronomie-Institut in der Provinzhauptstadt Bukavu. Damals war er 16 Jahre | |
alt. 1996, als Ruandas Armee angriff und die Hutu-Flüchtlinge aus Süd-Kivu | |
- anders als die aus Nord-Kivu, die zumeist nach Ruanda zurückkehrten - | |
mehrheitlich ns kongolesische Landesinnere flohen, landete er wie viele | |
andere in Tingi-Tingi, ein Lager nahe des Kongo-Flusses, in dem 1997 | |
Tausende starben. | |
Von dort floh er schließlich nach Kongo-Brazzaville, das westliche | |
Nachbarland 1000 Kilometer entfernt. „Nachdem wir eine Weile hin- und | |
hergelaufen sind, waren wir plötzlich in Kongo-Brazzaville“, beschreibt er | |
diese Odyssee zu Fuß durch den Regenwald. | |
## „Bomben fallen im Flüchtlingslager“ | |
“Nach einer Stunde hörten wir, dass Bomben fallen im Flüchtlingslager“, | |
beschreibt er auf Nachfrage der Verteidigung von Murwanashyakaden Beginn | |
seiner Flucht aus dem Lager „nera. „Wir hatten die Sachen schon gepackt und | |
flüchteten dann. Wir wollen in den Wald von Kahuzi, dann merkten wir, dass | |
von da die Bomben kommen“. | |
Die Flüchtlinge flohen und landeten in verschiedenen Orten, unter anderem | |
Tshanye (auch Shanje) in Süd-Kivu am Ufer des Kivu-Sees entlang. „Ich hatte | |
meine Familie verloren. Die waren schon in Hombo (ein Ort an der Grenze zu | |
Nord-Kivu) und kehrten dann wegen mir zurück nach Tshanye“, berichtet I. | |
„Wir waren da zwei Wochen. Dann war das Flüchtlingslager plötzlich | |
umzingelt und wir rannten weg.“ | |
Die Verteidigung fragt nicht detailliert, was da geschah. Sie hält I hier | |
wie auch an anderen Stellen Berichte aus dem UN-“Mapping Report“ aus dem | |
Jahr 2010 über Kriegsverbrechen im Kongo vor, die er bestätigen soll. Im | |
Bericht werden diese Massaker der „AFDL/APR“, also der Koalition der | |
damaligen Kabila-geführten Rebellen mit Ruandas Armee, zugeschrieben. Im | |
Stuttgarter Gerichtssaal ist allein Ruandas Regierungspartei RPF/FPR der | |
Täter. | |
Im UN-Bericht ist von einem Massaker in Tshanye/Shanje am 21. November 1996 | |
die Rede, mit Quellen aus zweiter Hand. In Stuttgart fragt Murwanashyakas | |
Anwältin Ricarda Lang: „Am 21. November 1996 töteten die FPR Hunderte von | |
Flüchtlingen und verwundete mehrer Hundert schwer, Alte Kranke und Kinder | |
wurden entlang der Straße getötet - sind Ihnen diese Vorfälle bekannt?“ I | |
antwortet: „Man könnte glauben, Sie waren selbst dabei, genauso passierte | |
es“, antwortet I. | |
Ob er selbst dabei war, sagt er nicht, und es wird auch nicht danach | |
gefragt. Im UN-Bericht steht allerdings weiter, die Überlebenden aus Shanje | |
seien später in Hombo erst auf die Flüchtlinge aus Inera gestoßen, die auf | |
anderem Wege dorthin gekommen seien. Dieser Widerspruch zu I‘s Aussage wird | |
nicht weiter verfolgt. Er ist allerdings auch nicht verfahrensrelevant. | |
## „Da waren Leute mit Waffen“ | |
Verfahrensrelevant wäre eher die Frage, ob die ruandischen Hutu-Flüchtlinge | |
im Kongo erst in Reaktion auf die Angriffe gegen sie zu den Waffen griffen | |
oder vorher schon militärisch organisiert und auf Krieg waren. Alle | |
zeitgenössischen Berichte bestätigen letzteres. In Stuttgart fragt Anwältin | |
Lang, ob die Flüchtlinge bewaffnet waren. „Nein, dort im Flüchtlingslager | |
nicht“, antwortet I. | |
Woanders vielleicht? Das fragt niemand. „Nur als wir auf der Flucht nach | |
Walikale kamen, waren da Leute mit Waffen“, fügt I hinzu. „Die sagten, sie | |
hatten sie am Flughafen von Goma erbeutet. Sie sagten, wer genug Kraft hat, | |
kann mit ihnen nach Ruanda unt mit den Abacengezi (Infiltrierern) anfangen. | |
An anderer Stelle erzählt I: „Da waren Soldaten aus Kinshasa und Söldner, | |
sie kämpften gegen ruandische Soldaten auf der Brücke von Osso“ - eine | |
Brücke über einen Fluss, der Nord- von Süd-Kivu trennt. | |
Später ist von Bewaffneten nicht mehr die Rede, auch nicht in Tingi-Tingi | |
am Kongo-Fluss, wo die Flüchtlinge rund vier Monate lang lebten und wo sehr | |
viele starben. „Plötzlich hörten wir Schüsse im Flüchtlingslager“, erz�… | |
I. „Wir gingen zu einem nahen Fluss. Viele Flüchtlinge starben da drin, | |
viele wollten lieber in den Fluss gehen, als erschossen zu werden. Wir | |
flüchteten weiter nach Kisangani. Sie sagten, wir würden dort nicht | |
ankommen; wir sollten zu einem Fluss nach Ubundu, aber wir hatten keine | |
Boote.“ | |
Dort wurden die Flüchtlinge auch angegriffen, sagt I. „In Ubundu sah ich | |
die meisten Toten.“ Und weiter. „Er entkam jedem Angriff. „Ich war unter | |
den ersten, die geflohen sind; immer wenn ich Schüsse hörte, floh ich | |
sofort.“ | |
## Irgendwann fängt der Zeuge an zu lachen | |
Die Fragen stellt Murwanashyakas Anwältin Lang und auch Murwanashyaka | |
selbst, immer mit Bezug auf den „Mapping Report“ der UN. Irgendwann fängt I | |
an, leise zu lachen. „Warum lachen Sie?“ fragt der Vorsitzende Richter | |
Hettich. „Weil der mich immer nach Orten fragt, wo ich lebte, ich weiß auch | |
nicht“, antwortet I. | |
Dann fasst er zusammen, wie er diese Zeit erlebte: „Die Kongolesen sagten | |
überall, wo wir ankamen, wir sollten nach Ruanda zurückkehren. Sie jagten | |
uns in die Wälder mit Hunden, wie wenn sie Tiere jagen. Wenn sie | |
Flüchtlinge festnahmen, schlugen sie sie und nahmen ihnen alles weg. Sie | |
versuchten, mich mit Zwang nach Ruanda zurückzubringen." | |
"Ich überlebte, weil ich meine kleine Schwester trug, sonst hätten sie mich | |
auch getötet. Am Flugplatz in Bangoka (Kisangani) brachten sie meinen Vater | |
und meine Brüder nach Ruanda; meine Mutter, ich und meine Schwester gingen | |
nach Brazzaville.“ | |
## Kongo-Brazzaville, Zentralafrikanische Republik, Katanga | |
Er lebte zunächst in einem Flüchtlingslager in Kongo-Brazzaville. Von dort | |
kehrte I später zurück in die Demokratische Republik Kongo - wann, bleibt | |
unklar. Er kämpfte in der nordwestkongolesischen Provinz Equateur, von dort | |
floh er mit seinen Kameraden in die Zentralafrikanische Republik. | |
Von dort kam er, wie viele andere ruandischen Hutu-Kämpfer auch, nach | |
Lubumbashi, der Hauptstadt von Kongos Südprovinz Katanga und während des | |
Kongokrieges ab 1998 ein Sammelpunkt für die ruandischen Hutu-Einheiten in | |
Kongos Armee. | |
Dann kam er nach Kalemie am Tanganyika-See und Nyunzu in Nord-Katanga - | |
eigentlich Feindesland in jener Zeit - und schließlich, vermutlich 2002-03, | |
nach Masisi in Nord-Kivu. | |
Diese letzte Verlegung war Teil der Zusammlegung der ruandischen | |
Hutu-Kämpfer aus Kongos Regierungsstreitkräften im Westen des Landes mit | |
den ruandischen Hutu-Milizen im Ostkongo in dem damals von Ruanda besetzten | |
Gebiet - die Zusammenlegung von „ALIR 1“ (Ruandische Befreiungsarmee) aus | |
dem Osten mit „ALIR 2“ aus dem Westen. | |
Dies geschah, nachdem Laurent-Désiré Kabila Anfang 2001 ermordet worden und | |
durch seinen Sohn Joseph Kabila ersetzt worden war, der dann 2002 Frieden | |
mit Ruanda schloss und die ruandischen Hutu-Kämpfer aus seiner Armee | |
entfernen sollte; statt nach Ruanda zurückzugehen, zogen diese es zumeist | |
vor, im Ostkongo in den Busch zu gehen und dort die FDLR als parastaatliche | |
Organisation aufzubauen. | |
## Zusammenlegung in Kivu | |
“ALIR 2“ im Westen, zu der I zählte, nannte sich zuvor auch „Forces | |
Spéciales“. „2001, am 1. Mai, taten sich ALIR und FS zusammen und gründet… | |
die FDLR“, lautet I‘s Version dieser Zusammenlegung, von der schon andere | |
Kämpfer detailliert berichtet haben. | |
Er erläutert die Gründe so: „Nachdem er (Laurent-Désiré Kabila) starb, gab | |
es eine Konferenz in Amerika, dort waren George Bush, Kabila und Kagame. | |
Sie beschlossen, die FDLR zu vertreiben, damit sie den Kongo verlassen - | |
wir waren schon FDLR, nicht mehr FS und ALIR. Der Plan sah so aus, dass wir | |
Kabila helfen, die ruandischen Soldaten im Kongo zu besiegen, er sollte uns | |
helfen, nach Ruanda zurückzugehen; Ruanda hatte den Kongo angegriffen. Es | |
war notwendig, dass wir zu den Einheiten im Osten gingen. Es gab keinen | |
Platz für uns außer bei den anderen in Kivu.“ | |
Das bedeutete auch eine Veränderung im Selbstverständnis der Kämpfer. „Der | |
übliche Krieg, den wir zur Zeit von Laurent-Désiré Kabila geführt haben, | |
war ein klassischer Kieg“, erklärt er. Aber: „Viele Soldaten sind nach | |
Hause gegangen und unsere Kraft ist weniger geworden. Wir haben unsere | |
Strategie geändert und eine Guerillastrategie genutzt.“ | |
[1][Mehr zum Thema in Teil II: Zeuge I über die Beziehungen der FDLR zu | |
Kongos Armee] | |
18 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] /130-133-Tag-Kongo-Kriegsverbrecherprozess-II/!113034/ | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
## TAGS | |
Kongo | |
Kriegsverbrecherprozess | |
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
Kongo | |
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
Kongo | |
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
Kongo | |
Kongo | |
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
Kongo | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
150. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: „Wie die Himmlischen sagten“ | |
Wie 2009 an höchster Stelle in der FDLR über den Kurs gerungen wurde – und | |
was das mit der Gegenwart zu tun hat. | |
144.-149. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Was ist eine Zeugenaussage wert? | |
Weitere mutmaßliche Opfer von FDLR-Verbrechen treten nichtöffentlich als | |
Zeugen in Stuttgart per Video auf. Die Verteidigung zweifelt den Wert ihere | |
Aussagen an. | |
Ruandische Hutu-Miliz im Kongo: Vize-Militärchef angeblich in Haft | |
Stanislas Bigaruka, zweithöchster Kommandeur der im Kongo kämpfenden | |
ruandischen Hutu-Miliz, soll in Tansania geschnappt und nach Ruanda | |
gebracht worden sein | |
134.-140. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Hinter verschlossenen Türen | |
Die offenbar schwierige Befragung kongolesischer FDLR-Opfer unter | |
Ausschluss der Öffentlichkeit wird fortgesetzt. Zur Sprache kommt dabei | |
unvorstellbares Leid. | |
130.-133. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess II: „Die Kongolesen schreien viel… | |
„Sie schreien immer, weil sie Angst haben“: Ein ehemaliger FDLR-Kämpfer | |
plaudert über den Umgang mit kongolesischen Regierungssoldaten. | |
126.-129. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: 30 Stockschläge auf den Hintern | |
Von Urlaub bis Goldhandel: In der FDLR war alles geregelt, mit | |
schriftlichen Genehmigungen und archiviertem Funkverkehr. Ein | |
Ex-Hauptfeldwebel erzählt. | |
124.-125. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: 9087mal telefoniert | |
Das BKA präsentiert Erkenntnisse, die es aus der Überwachung der | |
Telekommuikation der Angeklagten zwischen 2008 und 2009 gewann. | |
123. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: „Mehr weibliche Kader“ | |
Als die FDLR-Miliz Anfang 2009 zum Ziel kongolesisch-ruandischer Angriffe | |
wurde, begann sie, ihre Friedfertigkeit zu betonen. Lange währte das nicht. |