| # taz.de -- Radikale AbtreibungsgegnerInnen: Der Hass der „Lebensschützer“ | |
| > Fanatische Abtreibungsgegner gewinnen in Gesellschaft und Parlament an | |
| > Einfluss und erschweren die Beratung. Eine Tabuisierung hat längst | |
| > begonnen. | |
| Bild: Der „Marsch für das Leben“ verzeichnet Jahr für Jahr einen größer… | |
| „Sie wollen ungestraft Kinder töten!“, „Abtreibung ist Faschismus der | |
| feigsten Art“. Die Veranstaltungsankündigung auf der Homepage hatte | |
| gereicht, um [1][Jutta Ditfurth] einige Hassmails einzubringen. Über | |
| Twitter wurde gleichzeitig gegen den [2][Veranstaltungsort] als | |
| [3][„Tötungszentrum“] mobilisiert. | |
| Die Organisation, die hier im Kreuzfeuer steht, ist das | |
| Familienplanungszentrum Balance, das im Berliner Bezirk Lichtenberg unter | |
| anderem Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Am Mittwoch stellten dort die | |
| Geschäftsführerin Sybill Schulz, die Autorin Jutta Ditfurth, die ehemalige | |
| Vorsitzende von [4][pro familia], Gisela Notz, und Eike Sanders vom | |
| antifaschistischen Dokumentationszentrum [5][apabiz] vor Dutzenden | |
| Interessierten ein gemeinsam herausgegebenes [6][Buch] vor: „Die neue | |
| Radikalität der Abtreibungsgegner_innen im (inter)nationalen Raum“ (AG | |
| SPAK, 2012). | |
| Alle Gäste haben Erfahrungen mit Hassbriefen und Drohanrufen. Aber | |
| zunehmend kämen diese auch aus der Mitte der Gesellschaft. Sybill Schulz | |
| spricht darum von einem gesellschaftlichen Rollback, sichtbar in der | |
| Gegnerschaft zum Schwangerschaftsabbruch, aber auch viel allgemeiner „in | |
| der Haltung zur sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung“. | |
| Während noch in den Siebzigern viele für die Streichung des noch immer | |
| gültigen Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch auf die Straße gingen, der | |
| Abbruch ein alltägliches Thema war, ist er heute wieder stigmatisiert. | |
| „Abtreibung ist inzwischen vollkommen tabuisiert“, sagt Ditfurth. Stimmen | |
| für die reproduktive Selbstbestimmung verstummen zunehmend, stattdessen | |
| übernehmen gut organisierte „LebensschützerInnen“, die unter dem | |
| Kampfbegriff vom „ungeborenen Leben“ gegen Abtreibung mobilisieren, den | |
| öffentlichen Diskurs. | |
| ## Fötus als Rechtssubjekt | |
| Der [7][„Marsch für das Leben“] etwa verzeichnet Jahr für Jahr einen | |
| größeren Zulauf. Tausende zogen 2012 unter dem Motto „Für ein Europa ohne | |
| Abtreibung und Euthanasie“ mit weiß gefärbten Kreuzen und | |
| überdimensionierten Nachbildungen von Embryonen durch Berlin. Christliche | |
| FundamentalistInnen und Rechtsextreme kämpfen Seite an Seite mit | |
| Wertkonservativen für die Anerkennung des Fötus als Rechtssubjekt, das man | |
| auch gegen die Frau ins Feld führen kann. | |
| „Es gibt kaum Analysen über die Schnittmenge von ,LebensschützerInnen‘, C… | |
| und der extremen Rechten“, kritisiert Eike Sanders. Denn | |
| Abtreibungs-gegnerInnen argumentieren nicht nur mit dem demografischen | |
| Wandel, sondern eben auch rassistisch, mit dem drohenden „Volkstod“ der | |
| Deutschen. | |
| Und trotzdem steuerten zum letzten „Marsch für das Leben“ etliche Vertreter | |
| von Amtskirche und Bundestag Grußworte bei: der Berliner Erzbischof Rainer | |
| Maria Woelki, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Robert | |
| Zollitsch, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder, | |
| der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU) – die Liste | |
| ist lang. | |
| Notz stellt klar: „Die selbsternannten ,Lebensschützer‘ sind keine | |
| durchgeknallten Spinner“, sie sind im Mainstream. Neben Kontakten ins | |
| Parlament haben AbtreibungsgegnerInnen – und dies ist für den Alltag der | |
| Frauen viel fataler – die Informationshoheit über das Thema Abtreibung. | |
| ## Wie ein Damoklesschwert | |
| Wer sich im Internet auf die Suche nach Beratungszentren oder Arztpraxen | |
| macht, die einen Abbruch vornehmen, landet auf Propagandaseiten wie | |
| [8][www.babycaust.de]. Selbst auf der Seite von Balance muss man lange | |
| klicken, um auf die Dienstleistung [9][Schwangerschaftsabbruch] zu stoßen. | |
| Das hat einen triftigen Grund: Werbung für den Abbruch wird mit bis zu zwei | |
| Jahren Haft geahndet. Aber wo verläuft die Grenze zwischen Information und | |
| Werbung? | |
| Der Paragraf hängt wie ein Damoklesschwert über den Beratungsstellen und | |
| den GynäkologInnen: Viele nehmen nach unzähligen Anzeigen die Verweise vom | |
| Netz. „Wir sehen, dass junge Frauen nicht rechtzeitig an Informationen | |
| kommen“, erzählt Schulz. Abtreibungstourismus dürfte eine Folge sein. | |
| Gisela Notz beklagt, dass die große Akzeptanz radikaler Ideen die | |
| Selbstbestimmung der Frau infrage stelle. | |
| Vor Kurzem hatte die Sozialwissenschaftlerin eine Befragung ungewollt | |
| schwanger gewordener Teenager ausgewertet. Dreizehnjährige lehnten dort | |
| Beratung und Abbruch kategorisch ab, um „nicht zur Mörderin zu werden“. | |
| Woher sie das haben? Von den Eltern? Aus der Schule? Den Medien? Leider | |
| alles möglich. „Die ,Lebensschützer‘ sitzen längst in den Institutionen�… | |
| sagt Notz. | |
| 17 Jan 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.jutta-ditfurth.de/ | |
| [2] http://www.fpz-berlin.de/ | |
| [3] /!101849/ | |
| [4] http://www.profamilia.de/ | |
| [5] http://www.apabiz.de/ | |
| [6] http://www.agspak-buecher.de/Familienplanungszentrum-BALANCE-Hg-Die-neue-Ra… | |
| [7] /!102217/ | |
| [8] http://www.babykaust.de/ | |
| [9] http://www.fpz-berlin.de/index.php?page=angebote | |
| ## AUTOREN | |
| Sonja Vogel | |
| Sonja Vogel | |
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