# taz.de -- Abtreibungsgegner in Berlin: Kreuze vorm Kanzleramt | |
> Mehr als 2.500 Fundi-Christen demonstrieren am Samstag beim „Marsch für | |
> das Leben“ gegen Abtreibungen. Prominente Grußworte und ein wenig Protest | |
> begleiten sie. | |
Bild: Fundamental heile Welt: Protest gegen Schwangerschaftsabbrüche vorm Kanz… | |
BERLIN taz | Tausende Menschen tragen weiße Kreuze durch Berlin, um sie vom | |
Kanzleramt bis zur historischen St.-Hedwigs-Kathedrale in der Stadtmitte zu | |
bringen. „Sie stehen für die ermordeten Kinder“, erklärt eine Frau aus der | |
Menge mit einem Kreuz im Arm. | |
Zwischen 2.500 und 3.000 Menschen sind am Samstag einem Aufruf des | |
„Bundesverbands Lebensrecht“ gefolgt. Es ist die bisher machtvollste | |
Demonstration fundamentalistischer Christen in der Hauptstadt. | |
Den ökumenischen Abschlussgottesdienst in der St.-Hedwigs-Kathedrale leitet | |
unter anderen der Generalsekretär der Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb. | |
Er selbst hätte es vor 20 Jahren nicht für möglich gehalten, an so einem | |
prominenten Ort zu sprechen, gibt Steeb während des Gottesdienstes zu. | |
## Streng nach der Bibel | |
Die Evangelische Allianz ist ein Zusammenschluss pietistischer und | |
evangelikaler Hardliner, die sich der Verwirklichung des „Plans Gottes“ | |
verpflichtet haben. Ginge es nach ihnen, würden alle Menschen streng nach | |
der Bibel leben. Ihren Hauptsitz hat die Bewegung im thüringischen | |
Blankenburg, die evangelikalen Christen sind aber auch in Baden-Württemberg | |
und in Sachsen besonders stark vertreten. | |
Von ihren Kritikern wird die Evangelische Allianz wegen ihrer intoleranten | |
Haltung gegenüber anderen Religionen, der Homosexualität und | |
Schwangerschaftsabbrüchen als fundamentalistisch eingestuft, und die | |
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) war lange um Abgrenzung gegenüber | |
den radikalen Christen bemüht. Doch in den letzten Jahren sucht die | |
Evangelische Allianz verstärkt die Nähe zu den etablierten Kirchen. | |
Die selbst ernannten Lebensschützer halten jeden menschlichen Engriff in | |
Gottes Schöpfung für Sünde, das Lebensrecht des Ungeborenen steht nach | |
Meinung der Frommen über dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Über einen | |
Schwangerschaftsabbruch soll sie nach dem Willen der Pro-Leben-Aktivisten | |
deshalb auch nicht länger im Rahmen der gesetzlich möglichen Frist | |
entscheiden dürfen, und der Staat solle sich aus der Finanzierung der | |
Abbrüche zurückziehen, heißt es in der „Berliner Erklärung“ des | |
Bundesverbands Lebensrecht. Außerdem richtete sich der Marsch gegen jede | |
Form der vorgeburtlichen „Selektion“, etwa durch die | |
Präimplantationsdiagnostik oder Sterbehilfe. | |
## Unfassbar unverschämt | |
Rund 100 Gegendemonstranten hatten sich unter die Teilnehmer des „Marschs | |
für das Leben“ gemischt, um lautstark für das Recht auf körperliche | |
Selbstbestimmung von Frauen zu protestieren. Zu den Protesten hatten unter | |
anderem der Lesben- und Schwulenverband und der Humanistische Verband | |
Deutschlands aufgerufen. | |
Schon im Vorfeld hatte es Kritik an dem Marsch gegeben, der unter dem Motto | |
„Gegen Abtreibung und Euthanasie“ stand. „Frauen, die einen | |
Schwangerschaftsabbruch vornehmen, damit in Verbindung zu bringen, ist | |
unfassbar unverschämt“, erklärte die grüne Bundestagsabgeordnete Monika | |
Lazar von den Grünen. Euthanasie sei ein Begriff, der für Nazi-Verbrechen | |
stehe. | |
Dennoch unterstützten namhafte Vertreter der katholischen Kirche und | |
CDU-Politiker den Marsch. Einer der diesjährigen Hauptredner war Werner | |
Münch, einstiger Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Der | |
CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder sendete ein Grußwort, auch der | |
katholische Erzbischof Kardinal Meisner. Meisner selbst hatte in der | |
Vergangenheit mehrmals Abtreibungen mit dem Holocaust verglichen. | |
23 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Jennifer Stange | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Abtreibung | |
Kirche | |
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