| # taz.de -- Berliner Familienplanungszentrum: „Mit Faschisten verglichen“ | |
| > Das Berliner Familienplanungszentrum Balance, das auch Abtreibungen | |
| > vornimmt, wird von radikalen Abtreibungsgegnern diffamiert. | |
| Bild: Protest vor dem Dom: Abtreibungsgegner in Berlin 2009. | |
| taz: Frau Schulz, was passiert, wenn eine Frau zu Ihnen kommt, um einen | |
| Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen? | |
| Sybill Schulz: Sie bekommt einen Gesprächstermin. Nach dem Gespräch kann | |
| sie sich entscheiden, die Schwangerschaft auszutragen. Nach drei Tagen | |
| vorgeschriebener Bedenkzeit kann sie den Abbruch hier im Haus ambulant oder | |
| in einer Klinik vornehmen lassen. Etwa 1.000. Jeder zehnte | |
| Schwangerschaftsabbruch in Berlin wird in unserem Zentrum durchgeführt. Zu | |
| uns kommen viele Frauen, die bereits sehr entschieden in Richtung | |
| Schwangerschaftsabbruch sind. | |
| Sie sagen, Sie werden von Abtreibungsgegnern diffamiert. Wie muss man sich | |
| das konkret vorstellen? | |
| Zum Beispiel demonstrieren Gruppen bei Kongressen, die wir zum Thema | |
| Schwangerschaftsabbruch organisieren, und verteilen Püppchen aus Plastik an | |
| Passanten. Die Puppen sollen den Fötus in der zwölften | |
| Schwangerschaftswoche darstellen, sind aber deutlich größer. Das soll | |
| zeigen: Hier wird Leben getötet. | |
| Richten sich die Angriffe auch direkt gegen das Familienplanungszentrum? | |
| Wir bekommen Briefe von Geistlichen, die sich gegen unsere Arbeit | |
| aussprechen. Wir werden im Internet mit Faschisten verglichen und | |
| „Tötungszentrum“ genannt, wogegen wir geklagt haben. Es endete mit dem | |
| Urteil, dass diese Bezeichnung unter Meinungsfreiheit fällt. ÄrztInnen, mit | |
| denen wir kooperieren, erhalten diffamierende Faxe, Fotos unserer ÄrztInnen | |
| werden im Internet gezeigt, sie werden als „Massenmörderinnen“ bezeichnet. | |
| Sie wurden auch schon verklagt. | |
| Eine Gruppe radikaler Abtreibungsgegner hat uns angezeigt. Wir würden den | |
| Schwangerschaftsabbruch und die Beratung vor dem Abbruch nicht | |
| ordnungsgemäß trennen, hieß es. Das hat eine regelrechte Lawine | |
| losgetreten: Wir wurden mehrfach überprüft, und die Senatsverwaltung, die | |
| uns zum Teil finanziert, bat uns, die Trennung zwischen Beratung und | |
| Abbruch, die schon immer bestand, nach außen hin noch sichtbarer zu machen. | |
| Uns wurde auch vorgeworfen, wir würden auf unserer Webseite Werbung für | |
| Schwangerschaftsabbrüche machen, was verboten ist. Wir werben nicht für | |
| Schwangerschaftsabbrüche. Wir informieren wie jede gynäkologische Praxis | |
| über unsere Angebote und gewährleisten somit Zugang zu Dienstleistungen. | |
| Haben denn Abtreibungsgegner wieder Konjunktur? | |
| Ich habe jedenfalls den Eindruck. Wenn zum Beispiel über 2.000 Menschen zu | |
| einem „Marsch für das Leben“ kommen, empfinde ich das bei dem Thema als | |
| viel. Diese Märsche finden auch in anderen Großstädten Deutschlands statt. | |
| Ich würde das als kampagnenartiges radikales Vorgehen bezeichnen. | |
| Wer sind die Abtreibungsgegner in Berlin? | |
| Radikale konservative Kräfte, sehr gut organisiert, häufig aus religiösen | |
| Kreisen. Sie wollen Einfluss auf die öffentliche Meinung und die Politik | |
| nehmen, um an erkämpften Rechten zu sägen. Es gibt einige Schlüsselfiguren, | |
| zum Teil sind es Geistliche, die auch bundesweit Aktivitäten organisieren | |
| und in verschiedenen Gruppierungen aktiv sind. Da wäre die „Initiative Nie | |
| wieder!“ aus Süddeutschland zu nennen, die sehr aktiv mit Anzeigen gegen | |
| Familienplanungszentren ist. Der Verband „Lebensrecht“ veranstaltet seit | |
| 2008 jedes Jahr den „Marsch für das Leben“ in Berlin. Letztes Jahr kamen | |
| laut Polizei 2.200 radikale Abtreibungsgegner, die mit weißen Kreuzen, | |
| Plakaten und Texten wie „Jedes Kind will leben“ durch Mitte zogen. Zum | |
| Glück gibt es auch viele GegendemonstrantInnen, die unter dem Motto | |
| „Tausend Kreuze in die Spree“ dagegen protestieren. | |
| Und außer diesen groß angelegten Aktionen? | |
| Da wird etwa unter dem Motto „Schutz des Lebens“ versucht, | |
| Behindertenverbände oder Familien mit behinderten Kindern einzubinden, um | |
| zu zeigen: Diese Kinder haben ein Recht auf Leben. Aber das ist natürlich | |
| gar keine Frage! Ein großer Teil der Arbeit des Familienplanungszentrums | |
| Balance ist die Beratung beeinträchtigter Menschen. Wir unterstützen | |
| Behinderte in der Wahrnehmung und Auslebung ihrer Sexualität und | |
| Partnerschaft, dazu gehört auch die Beratung bei Kinderwunsch. Auch hier | |
| gilt: Jede Frau hat das Recht, selbst über ihren Körper zu entscheiden. | |
| Sind die Abtreibungsgegner vernetzt? | |
| Sie gehören zur international wachsenden „Pro Life“-Bewegung. Aber ihre | |
| Gedanken und Ideen sind auf allen Ebenen der Gesellschaft präsent. Manche | |
| Rechtsanwaltskanzleien vertreten uns etwa nicht, weil sie auf der anderen | |
| Seite stehen. Manche Beratungsstellen beraten tendenziös. Manche ÄrztInnen | |
| sind Gegner von Abbrüchen, was die Sache problematisch macht. Und es gibt | |
| eine sehr starke Front gegen die rezeptfreie Vergabe der „Pille danach“. In | |
| den meisten europäischen Ländern gibt es sie mittlerweile ohne Rezept. Wir | |
| kämpfen seit mehr als zehn Jahren intensiv für die rezeptfreie Vergabe auch | |
| in Deutschland und verweisen immer wieder auf die Erfahrungen in den | |
| anderen Ländern und auf patientenorientierte Medizin. | |
| Warum haben diese Gruppen Konjunktur? | |
| Es gibt gerade einen Rollback, was die sexuelle Selbstbestimmung angeht. Es | |
| hat wohl immer ein Schwanken zwischen liberaleren und konservativen Phasen | |
| in der Geschichte gegeben, derzeit erleben wir Letzteres. Bei den | |
| Beratungen zum Thema Schwangerschaft sind zum Beispiel rechtliche | |
| Regelungen verschärft worden, das unterstützt Abtreibungsgegner. Zudem gibt | |
| es wieder ein starkes Gefühl von Schuld unter den Frauen: Ich bin schuldig, | |
| wenn ich schwanger bin. Ich habe nicht aufgepasst, nun töte ich Leben. Wir | |
| können nicht wirklich nachvollziehen, woher das kommt. Die Sexualaufklärung | |
| ist viel besser geworden, verschiedene Studien zeigen, dass sich auch das | |
| Verhütungsverhalten verbessert hat. Und trotzdem dieses Gefühl von Schuld – | |
| das passt nicht zusammen. Dagegen arbeiten wir an. | |
| Was wollen Sie politisch erreichen? | |
| Wir wollen vor allem verhindern, dass der Zugang zu Abbrüchen wieder | |
| erschwert wird. Zu uns kommen bereits jetzt viele Frauen aus dem Umland. | |
| Frauen, die in einem kleinen Ort wohnen, fürchten häufig um Diskretion. | |
| Frauen haben für ihre Rechte gekämpft: Ich entscheide über meinen Körper | |
| und meine Lebensplanung. Das muss so bleiben. Den Druck der Schuld wollen | |
| wir nicht wieder zulassen. | |
| Setzen Sie sich denn auch direkt mit den Gegnern auseinander? | |
| Das ist ein großes Problem: Es ist nicht möglich, sich zusammen an einen | |
| Tisch zu setzen, Argumente abzuwägen und fachlich zu diskutieren. Es geht | |
| um Unterstellungen, die nicht wissenschaftlich untermauert sind, wie eben | |
| die Bilder oder Püppchen. Hier werden falsche Sachverhalte dargestellt. Es | |
| geht um Weltanschauung, um Glauben und nicht um Sachfragen – schon gar | |
| nicht um die sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung der Frau. Ich denke, es | |
| geht vor allem um Kontrolle über den Körper der Frau, Kontrolle der | |
| Fruchtbarkeit sowie die konservative Eiferei zum angeblichen Schutz des | |
| ungeborenen Lebens, nicht des geborenen Lebens. Um den kümmern sich diese | |
| Gruppen kaum. | |
| 18 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
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