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# taz.de -- Sarrazin gegen die taz: Ums Verrecken
> Vor dem Berliner Landgericht trafen sich die taz und Dr. Thilo Sarrazin
> zum munteren Schlagabtausch – auch wenn die Protagonisten sich vertreten
> ließen.
Bild: War beim Gerichtstermin nicht anwesend: Thilo Sarrazin
BERLIN taz | Im alten Berliner Westen rund um das Landgericht am Tegeler
Weg erinnern an diesem kalten Januartag nur die schneebedeckten
Bürgersteige daran, dass man sich in der deutschen Hauptstadt, dem Hotspot
der Jugend Europas, befindet. Statt junger, gut ausgebildeter „Südländer“
(Thilo Sarrazin) aus den EU-Krisenstaaten prägt hier die Generation
Rollator das Straßenbild. So – denkt man, sich dem imposant-historistischen
Gerichtsgebäude nähernd – darf es nicht weitergehen: Sonst hat Deutschland
sich tatsächlich bald abgeschafft.
Im Verhandlungsraum 143 geht es um die Sache Dr. Thilo Sarrazin gegen die
tageszeitung. Das Landgericht Berlin hatte am 15. November 2012 eine
einstweilige Verfügung erlassen, die es der taz bei Androhung eines
Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro untersagte, eine Passage aus der
Kolumne des taz-Redakteurs Deniz Yücel weiterhin zu veröffentlichen.
Nach Darstellung seines Anwalts sah sich Dr. Thilo Sarrazin durch die
inkriminierte Passage „aufs Schlimmste“ diffamiert. Und weil
taz-Rechtsbeistand Johannes Eisenberg gegen diese einstweilige Verfügung
Einspruch eingelegt hat, treffen sich die Parteien um 12 Uhr mittags vor
Gericht, in einem kleinen Raum mit grünem Teppich und Styropor an den
Wänden.
## „Zungenschlag des Artikels“
Es wird trotz Abwesenheit der eigentlichen Protagonisten eine muntere halbe
Stunde; auch wenn schnell klar wird, dass der Vorsitzende Richter Michael
Mauck wenig Lust hat, sich auf die Argumentation von Eisenberg einzulassen.
Ihm, berlinert Mauck intellektuell bemerkenswert schlicht, gehe es um den
„Zungenschlag des Artikels“.
Eisenberg bezeichnet die inkriminierte Passage freimütig als geschmacklos.
Nach „Überlegung und Belehrung“ bestehe auch keine Wiederholungsgefahr, was
zwei nachträgliche Klarstellungen im Blatt bezeugten. Man könne den Passus
jedoch weder aus dem satirischen Kontext von Yücels Kolumne noch aus
demjenigen der wiederholten öffentlichen menschenfeindlichen und
rassistischen Äußerungen Sarrazins herauslösen.
Das findet Anwalt Schertz, den der hübsch nachlässig gekleidete Eisenberg
gern mit „Professor Doktor Schertz“ anspricht, einfach nur „boring“. Se…
Meinung zu äußern, doziert der kleine, elegante Mann, könne nicht dazu
führen, dass man jemandem wünsche dürfe, er möge verrecken.
Dass kein Leser dieses Landes auf die Idee kommen dürfte, Yücel habe auch
nur im entferntesten ernsthaft gewünscht, irgendwer möge verrecken, ist
aber berlinisch gesagt klar wie Kloßbrühe; insbesondere wenn man den Blick
aus den vergitterten Fenstern des Berliner Landgerichts auf die deutsche
Realität richtet, in der nicht Migranten Deutsche verrecken lassen, sondern
Naziterroristen über Jahre und von den Sicherheitsbebehörden unbehelligt
migrantenmordend durchs Land ziehen durften.
## Ein blutiger Witz
Und so ist es ein etwas blutiger Witz, dass Yücels Kolumne, die gar nicht
Sarrazin zum Ziel hatte, sondern die urdeutsche Erfindung des verbeamteten
„Ausländerschutzbeauftragten“, der, wenn es zu spät ist, immer ganz genau
weiß, „dass man die Ausländer hätte beschützen müssen“, an diesem Tag …
einem deutschen Gericht sozusagen zu sich selbst kommt: Vor dem Saal 143
ist eine Gedenktafel angebracht, die daran erinnert, dass sich in den
Jahren 1934–1945 genau hier das „Erbgesundheitsgericht“ befand.
Diese Stätte deutscher Rechtskultur befasste sich in der NS-Zeit mit 21.080
Anträgen auf Zwangsterilisierung von psychisch Kranken, Menschen mit
geistigen Behinderungen – und sozial unerwünschten Menschen.
22 Jan 2013
## AUTOREN
Ambros Waibel
Ambros Waibel
## TAGS
Sarrazin
Deniz Yücel
taz.gazete
taz
Satire
Einstweilige Verfügung
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Rassismus
Sarrazin
Martin Korol
Schwerpunkt Christian Semler
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