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# taz.de -- Michael Mauck geht in Rente: Grundrechtsaffine Rechtsprechung
> Michael Mauck, Vorsitzender der Berliner Pressekammer, verabschiedet sich
> am Dienstag in den Ruhestand. Die Pressefreiheit hat ihm viel zu
> verdanken.
Bild: Michael Mauck in Aktion
Als Mauck seinen Dienst antrat, war Presserecht noch das Hobby von ein paar
Schöngeistern. Es beschäftigte sich vor allem mit politischen Streitereien:
mit oder über Franz Josef Strauß, der Spiegel-Affäre oder dem Verdacht,
Berliner Politiker hätten in den 60er Jahren Fluchthilfen aus der DDR
organisiert und die geschleusten Frauen anschließend als Prostituierte
arbeiten lassen.
Maucks Vorgänger in der Pressekammer des Berliner Landgerichts war der
betuliche Richter Gerhard Siebert – ein etwas schlichter, der Zeitenwende
nicht sehr zugetaner Mann. Er fand, dass man sich als Presse gefälligst
anständig benehmen müsse.
Die taz mochte er nicht, sie benahm sich unanständig, bezeichnete
Polizisten als Bullen und kritisierte angesehene Politiker und andere
Stützen der Gesellschaft. Deswegen verlor die taz regelmäßig und ihrerzeit
existenzbedrohend die Zivilprozesse.
Mit Mauck zog eine sachbezogene, grundrechtsaffine und intelligente
Rechtsprechung ein: Legendär sind die Entscheidungen, mit denen Betroffenen
auch die Verbreitung riesiger Gegendarstellungen ermöglicht wurden.
Die Berliner Rechtsprechung, die sich fundamental von der in Hamburg,
Frankfurt/Main oder München unterschied, setzte auf das Recht zur Gegenrede
und Erwiderung. Die Rechtsprechung zum Gegendarstellungsrecht war in der
Bundesrepublik einzigartig und führte zu erheblichem Grummeln bei
Justiziaren und Verlagsjuristen.
## Gute Stimmung
Maucks Kammer funktionierte wie am Fließband: Erfahrene Anwälte gaben
Dienstag- oder Donnerstagfrüh ihre Anträge in der Geschäftsstelle ab. Sie
wurden, wenn es nichts zu beanstanden gab, jeweils bis Dienstschluss
beschieden. Am nächsten Morgen gab’s die ausgefertigten Entscheidungen. Das
funktionierte sonst in keinem anderen bundesdeutschen Gericht.
Mauck war ein freundlicher, zugewandter, fleißiger, dabei bescheidener und
auch für die Mitarbeiter des Gerichts erreichbarer „Chef“. Die Stimmung war
gut. In Spitzenjahren erledigte die Kammer unter seinem Vorsitz mehr als
1.200 Angelegenheiten. Die Qualität der Rechtsprechung litt nicht darunter.
Sie war nicht pressefeindlich, im Gegenteil: Das Berliner Gericht
verteidigte das Grundrecht auf freie Rede und Pressefreiheit. In Berlin
konnte man keine Unterlassungsbegehren durchsetzen gegen die Bezeichnung
„Zickenkrieg“ für eine Auseinandersetzung zwischen einer
Landesfinanzministerin und einer Rechnungshofpräsidentin.
Man konnte in Berlin auch nicht verlangen, dass über einen Professor nicht
mehr geäußert würde „Der Staat fördert und billigt kriminelles Verhalten …
universitären Bereich“, oder über ihn von „unwissenschaftlichem
Scheißelabern“ oder „dem Durchgeknallten sind sämtliche akademischen Titel
abzuerkennen“ geschrieben wurde. Das war – obschon sich Mauck bescheiden
und höflich selbst gegenüber regelrechten Rüpeln zeigte – eben
Meinungsäußerungsfreiheit, die das Gericht zu verteidigen hatte.
Die Berliner Richter ließen sich auch nicht auf Kleinigkeiten ein. Ob
jemand ein oder zwei Autos aus der DDR mit in den Westen nehmen konnte,
taten sie als Bagatellabweichung ab und wiesen den Antrag zurück. Ebenso
gestatteten sie Verdachtsberichte, wenn ausreichend recherchiert worden
war.
## Auch eine taz-Geschichte
Mauck lernte schnell und nachhaltig die Lektion des Verfassungsgerichtshof
Berlins im Jahre 2008: Der Berliner Polizeipräsident hatte es sich zur
schlechten Gewohnheit werden lassen, die Medien mit kostenträchtigen
Abmahnungen zu überziehen, wenn sie etwas aus seiner Sicht
Beanstandungswürdiges geschrieben hatten.
Der taz warf er vor, eine Polizeistatistik falsch gelesen zu haben, und
klagte auf Gegendarstellung, Unterlassung, Widerruf etc. Der Berliner
Verfassungsgerichtshof hob auf Antrag der taz die Instanzentscheidungen auf
mit dem Argument, der Berliner Polizeipräsident sei kein Grundrechtsträger
und als Behörde müsse er sich auch falsche Kritik gefallen lassen. Bei
Mauck scheiterten in der Folgezeit der Regierende Bürgermeister,
Bezirksbürgermeister, Unternehmen, Stiftungen, die Bundesrepublik
Deutschland. Sie alle konnten nicht wie Private mit den Mitteln des
Presserechts gegen Medien vorgehen.
Die grundrechtsaffine Rechtsprechung der Berliner Gerichte führte dazu,
dass bestimmte Anwaltskanzleien die hiesigen Gerichte regelrecht mieden. Im
Presserecht herrscht „fliegender Gerichtsstand“, das heißt, der Klagende
kann sich aussuchen, wo er klagt. Als willfährige Vollstrecker von
Abmahnanwälten tat sich eine Weile lang das Hamburger Gericht hervor.
Seit einiger Zeit läuft ihm das Kölner den Rang ab. Die Berliner Fallzahlen
sind auf etwa 650 im Jahr zurückgegangen, in Köln werden mittlerweile
Prozesse Berliner Kläger, vertreten durch Berliner Anwälte, gegen nur in
Berlin vertriebene Medien geführt. Das Argument: Die Artikel erschienen
auch im Internet und damit auch in Köln. Bislang war das erfolgreich: Das
Kölner Gericht maßte sich eine Art örtlicher Allzuständigkeit an.
Mauck hat auch dieses Unwesen der örtlichen Allgemeinzuständigkeit für
berlinferne Themen bereits vor einigen Jahren eingeschränkt.
Weil Mauck innerlich unabhängig war, gewannen bei ihm auch Naziführer und
ehemalige DDR-Größen, wenn sie einigermaßen geschickt zu Werke gingen.
Dabei richtete Mauck nicht ohne Ansehen der Person: Der langjährige
Chefredakteur der Bild, Kai Diekmann, musste 2002 in einem Urteil lesen,
warum er kein Schmerzensgeld von der taz erhielt, nachdem diese ihm eine
misslungene Penis-Schönheitsoperation angedichtet hatte: Jemand, der als
Bild-Chef wirtschaftlichen Vorteil aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung
anderer ziehe, sei durch die Verletzung seines eigenen
Persönlichkeitsrechtes weniger schwer belastet und habe folglich keinen
Anspruch auf Schmerzensgeld.
Der Autor ist Anwalt der taz
13 Dec 2016
## AUTOREN
Johannes Eisenberg
## TAGS
Schwerpunkt Pressefreiheit
Kai Diekmann
Spekulanten
Sarrazin
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