| # taz.de -- Aachener Ultra über Nazifans: „Wir sind mürbe geworden“ | |
| > Die linken Aachener Ultras ziehen sich wegen ständiger Attacken von | |
| > Nazifans aus dem Stadion zurück. Dass ihr Klub fast tatenlos zusieht, | |
| > macht sie ratlos. | |
| Bild: Linke Fans von Alemannia Aachen fühlen sich vom Verein im Stich gelassen. | |
| Es ist ein einmaliger Vorgang: Eine Fußball-Fangruppe löst sich auf, aus | |
| politischen Gründen. Die [1][Aachen Ultras (ACU)], seit 1999 Heimat für | |
| zuletzt rund 100 Fans der Alemannia, wurden von Rechten gejagt, attackiert | |
| und eingeschüchtert und fühlen sich vom Verein im Stich gelassen. | |
| 2010 hatte sich von der ACU die Karlsbande abgespaltet, die enge | |
| Verbindungen zur rechten Szene hat, etwa zur verbotenen Kameradschaft | |
| Aachener Land (KAL). Einer der Aachen Ultras erklärt die Hintergründe. | |
| Seinen Namen will der 26-jährige Student aus Angst vor neuen Übergriffen | |
| der Tivoli-Nazis nicht nennen. | |
| taz: Was ist seit der Abspaltung 2010 passiert? | |
| Die Stimmung wurde immer aggressiver. Wir wurden beschimpft als Juden, | |
| Zecken und Homos. Und immer wieder bedroht von Hooligans und Neonazis. | |
| Auswärts im Gästeblock gab es Angriffe, uns wurde aufgelauert. Zuletzt, | |
| nach einem Auswärtsspiel, traf der Bus der Karlsbande auf einem Rastplatz | |
| auf ein Auto von uns: Fast alle aus dem Bus sind raus, haben den Wagen | |
| angegriffen und mit Flaschen beworfen; der Fahrer konnte nur mit Mühe | |
| abhauen. Und hier in Aachen gab es Hausbesuche, wo Leute der Karlsbande die | |
| Wohnungstür eingetreten haben. | |
| Ist die Karlsbande eine Neonazi-Gruppe? | |
| Die Karlsbande sagt: Es interessiert uns nicht, was unsere Leute denken, | |
| Hauptsache, sie sind für die Alemannia. Aber alle wissen: Die Karlsbande | |
| duldet Nazis in ihren Reihen und im nahen Umfeld, wir kennen die | |
| Verbindungen zur Rechtsaußen-Szene gut. Der Tivoli war immer schon | |
| Rekrutierungsfeld für Neonazis. Wer von denen groß geworden ist in der | |
| Region, hatte seine Anfänge meist am Tivoli. | |
| Wie waren intern die Debatten? | |
| Es war ein schleichender Prozess. Wir haben festgestellt, dass wir uns von | |
| anderen Fans und auch vom Klub immer weiter distanziert haben. Gespräche | |
| mit Alemannia haben wir gesucht, vereinzelt gab es die auch, aber dann | |
| schlief alles wieder ein. Tolle Empfehlungen gab es da – wie: Setzt euch | |
| mit denen an einen Tisch. Mit Leuten, die mich zwei Wochen vorher | |
| angegriffen haben! Wie das denn?! Von außen haben sich Mediatoren | |
| angeboten, Beratungsstellen der Stadt, Politologen der Hochschule. Im | |
| Verein hat man darauf nicht reagiert – aus Angst vor dem Eindruck, man käme | |
| allein mit dem Problem nicht zurecht. Das gäbe doch auch dem Verein gute | |
| Publicity. | |
| Immerhin darf die Karlsbande ihr Banner nicht mehr im Stadion aufhängen. | |
| Darauf hat die Karlsbande reagiert durch das große Plakat „Unerwünscht“. | |
| Und dann, bei einem Spiel, hing das Karlsbande-Banner auf einmal wieder. | |
| Niemand ist eingeschritten. Auch im Nachgang gab es nichts dazu. | |
| Beim „Rettungsspiel“ des derzeit insolventen Drittligisten gegen den FC | |
| Bayern am Sonntag (2:5) war der Block der ACU tatsächlich leer. Gehen Sie | |
| jetzt auch privat nicht mehr zum Tivoli? Das wäre ja Kündigung der Liebe. | |
| Die Liebe ist erkaltet. Wenn man sich nicht mehr wohl fühlt in dem | |
| gewohnten Umfeld und dort permanent einer Bedrohung ausgesetzt ist, | |
| entfremdet man sich. Jetzt wird kaum noch jemand von uns hingehen, auch | |
| nicht als Einzelperson. | |
| Oder ist die Auflösung der ACU eine geschickte Inszenierung? | |
| Das war der einzig logische Schritt, wenn man Ideale vertritt. Wir sehen | |
| aktuell keine Perspektive für eine antirassistisch eingestellte Gruppe. Bei | |
| unserem letzten Spiel haben wir viel Solidarität aus anderen Fanszenen | |
| bekommen. Auch die fragen: Warum macht Aachen so wenig gegen rechts?! In | |
| Bremen bekamen acht Dortmunder Neonazis am Wochenende Stadionverbot. So ein | |
| krasses Zeichen würde ich mir hier auch wünschen. Man muss die Nazis | |
| ächten. Wenn der Verein das machen würde, dann könnte er doch auch die | |
| vielen Leute ins Boot holen, die sonst sagen: Fußball hat nichts mit | |
| Politik zu tun … | |
| Sind die ACUler Märtyrer? | |
| Wir sind keine Märtyrer – ich leide nicht, wenn ich nicht mehr hingebe. Wir | |
| sind mürbe geworden. Die vielen Solidaritätsbekundungen zeigen: Es kann | |
| wohl so verkehrt nicht gewesen sein, was wir getan haben. Aber ansonsten | |
| ist es zwiespältig. Die Rechten sind ja nicht aus dem Stadion – wir gehen. | |
| Gibt es von den Rechten schon Reaktionen über die linken Feiglinge, die | |
| sich verpissen … | |
| Die feiern das. Die feiern sich selber. Und wir werden außerhalb Aachens | |
| gelobt für unseren Schritt. Schon seltsam. | |
| Am Wochenende schrieb die IG der Fanclubs: „Die Lossagung der Aachen Ultras | |
| hat uns allen sehr wehgetan und der Alemannia sehr geschadet.“ Das negative | |
| Bild in der Öffentlichkeit gefährde sogar „akut das Überleben unseres | |
| Traditionsvereins“. Der Klub schloss sich „vorbehaltlos“ an. Werden die | |
| Aachen Ultras posthum zum Totengräber? | |
| Unser Bestreben war niemals, der Alemannia zu schaden. Nur irgendwann ist | |
| der Punkt gekommen, wo man bei Perspektivlosigkeit einen Schlussstrich | |
| ziehen muss, zumindest vorläufig. Jetzt gelten wir als Nestbeschmutzer, | |
| wenn wir die Rechten thematisieren und sind die Beschuldigten. Übrigens: | |
| Vom Verein hat sich bis jetzt niemand bei uns gemeldet. | |
| 23 Jan 2013 | |
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| [1] http://aachen-ultras.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Müllender | |
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