# taz.de -- Billigarbeiter in der Spamindustrie: Werbung aus dem Sweatshop | |
> Captchas sind Rätsel, die kein Computer lösen kann und Spammails | |
> verhindern sollen. Doch die Spamindustrie weicht geschickt aus: Sie nutzt | |
> Billigarbeiter aus Asien. | |
Bild: Internetnutzer in Peking: Auch in China lohnt sich die Bildschirmarbeit. | |
BERLIN taz | Jainal Abedin* war noch Schüler, als er das erste Mal jobben | |
ging. In einem Laden, in dem viele junge Männer an Computern sitzen. | |
„Dateneingabe“ heißt der Job, der dubiose Angebote angeblich nigerianischer | |
Prinzen in Mailboxen ans andere Ende der Welt befördert: Abedin macht den | |
Weg frei für die Verschicker von Spammails. „Es war eine Möglichkeit Geld | |
zu verdienen“, sagt er. Der Verdienst ist gut: durchschnittlich 400 Euro im | |
Monat, ein sehr gutes Einkommen im ländlichen Bangladesch. | |
Abedins Heimatstadt im Norden liegt in einer der ärmeren Regionen des | |
Landes. Die meisten Menschen sind Bauern. Sie bauen Reis, Kartoffeln, | |
Weizen und ein wenig Tabak an. Wer hier wie Abedin über höhere Schulbildung | |
verfügt, hat nicht unbedingt viele Perspektiven. Doch dank des Internets | |
kann er auf dem Weltmarkt mitbieten und ist dabei in einer günstigen | |
Position. Er fordert einen Tagessatz von gerade einmal 25 Euro und kann | |
etwas, das kein Computer kann: verschwommene, verzerrte Buchstaben | |
erkennen. | |
Die verformten Letter findet man inzwischen überall im Netz: Wer ein | |
Mailkonto eröffnen will, muss ein [1][Captcha] lösen; wer eine dubiose | |
Website auf Facebook verlinken will, muss ein Captcha lösen; wer bei der | |
taz kommentieren will, muss ein Captcha lösen. Die verzerrten Buchstaben | |
können in der Regel nicht von Rechnern gelesen und die Worträtsel nur von | |
Menschen gelöst werden. Sie sollen Computerprogramme aussieben, die | |
massenweise E-Mailkonten erstellen, die in sozialen Netzwerken schädliche | |
Links verschicken oder Blogs und Foren mit Werbenachrichten überfluten. | |
Mit Spammails kann viel Geld verdient werden. Wieviel es genau ist, ist | |
unbekannt, aber Forscher der University of California und des International | |
Computer Science Institute haben [2][eine Schätzung erstellt]. Indem sie | |
ein Netzwerk von kompromittierten Rechnern infiltrierten und echte | |
Spammails manipulierten, fanden sie heraus, dass 350 Millionen Spammails zu | |
[3][gerade einmal 28 Verkäufen] führten – von denen aber jeder einzelne | |
Kunde etwa 100 Dollar ausgab. „Offenbar schaffen es die Spammer, ihre | |
Kosten niedrig zu halten“, kommentiert Studienautor Geoffrey Voelker das | |
Ergebnis. | |
## Digitales Wettrüsten | |
Captchas sollen die Kosten erhöhen und sind Teil eines digitalen | |
Wettrüstens zwischen Spamverschickern und Spamjägern. Um die inzwischen zum | |
Standard gewordenen Spamfilter zu umgehen, setzen die Verschicker häufig | |
auf glaubwürdige Mailkonten, beispielsweise jene von Google. Da Spammer | |
meist Tausende Mails innerhalb kurzer Zeit versenden, beschränken | |
Webmailanbieter meist die Anzahl der Nachrichten, die verschickt werden | |
dürfen. | |
Die Lösung? Mehr Konten, am besten automatisch von Computerprogrammen | |
generiert. Die Lösung dagegen? Captchas, die das verhindern. Und dann | |
kommen Menschen wie Jainal Abedin ins Spiel. | |
Abedin nennt sich einen „Freelancer“, ein Euphemismus für seinen | |
selbstständigen Status und in Anlehnung an die Website [4][Freelancer.com], | |
einem der breitgenutzten Marktplätze für solche Dienste. Ursprünglich wurde | |
die Website eingerichtet, damit Software-Entwickler die niedrigen Löhne und | |
gute Informatik-Ausbildung in Ländern wie Indien ausnutzen konnten, doch | |
inzwischen werden Mailkonten, Facebook-Fans und Twitter-Follower in | |
Tausenderpacks verkauft. | |
Oder man kann sich gelöste Captchas kaufen, [5][der Preis für 1.000 solcher | |
Worträtsel] liegt bei etwa einem Dollar, haben Voelker und sein Team | |
herausgefunden. Gute Kunden zahlen mehr, sagt Abedin. | |
## Menschenarbeit garantiert | |
Nicht nur Bangladeschis und Inder verkaufen ihre Arbeitskraft, um | |
stundenlang Buchstabenreihen in Bildschirme zu tippen. Auf Freelancer.com | |
werden die Dienste auch von Pakistanis, Chinesen und Russen angeboten – | |
überall wo sich die Marktpreise lohnen. Das deckt sich auch mit den Tests | |
von der Forschergruppe um Voelker, die mit Captchas in verschiedenen | |
Sprachen neben Englisch Chinesisch, Russisch und Hindi als die | |
Meistverbreiteten unter den Captcha-Lösern identifizierten. | |
„Ich weiß gar nicht, wer mich bezahlte“, sagt Abedin. Er weiß es auch heu… | |
nicht. Seine Auftraggeber kamen zur Hälfte aus Bangladesch. Vermutlich | |
waren es Mittelsmänner, die den direkten Kontakt zu den Auftraggebern | |
hatten oder ihre Aufträge von anderen Mittelsmännern erhielten. | |
Voelker geht davon aus, dass Captchas selten in Einzelaufträgen verarbeitet | |
und eher durch organisierte Gruppen gesammelt werden, die die Arbeit an | |
Menschen aus der ganzen Welt weitergeben. Die russische Captcha-Fabrik | |
„Antigate“ garantiert beispielsweise, dass es 1.000 Captchas innerhalb von | |
15 Minuten lösen könne – aus reiner Menschenarbeit. Voelker und seine | |
Forschergruppe fanden heraus, dass die Arbeiter zwischen 50 und 75 US-Cent | |
pro 1.000 Captchas verdienten. Der Rest bleibt bei den Mittelsmännern. | |
Jainal Abedin hat heute eine Webdesign-Firma und beteuert keine Captchas | |
mehr zu lösen. Aber „Freelance“-Arbeit gehört weiterhin zu seinem | |
Diensteangebot und er betreibt eine Wechselstube für Online-Bezahldienste | |
wie Paypal. | |
*Name geändert | |
24 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/CAPTCHA | |
[2] http://www.cs.ucsd.edu/~savage/papers/CCS08Conversion.pdf | |
[3] http://www.cs.ucsd.edu/~savage/papers/UsenixSec10.pdf | |
[4] http://www.freelancer.com/ | |
[5] http://www.cs.ucsd.edu/~savage/papers/UsenixSec11-DJ.pdf | |
## AUTOREN | |
Lalon Sander | |
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