# taz.de -- Club Transmediale in Berlin: Maschinenduette und ein roter Zopf | |
> In Berlin treffen sich in diesen Tagen Künstler, Musiker und Kuratoren | |
> beim Club Transmediale. Ein Goldenes Zeitalter der Selbstverwirklichung | |
> soll sie abbilden. | |
Bild: Das Golden-Age-Motto wird von der Club Transmediale so visualisiert. | |
BERLIN taz | Das Berliner Festival Club Transmediale (CTM) jährt sich zum | |
14. Mal. Und für diese schöne Zahl hat man sich eine gar prächtige Losung | |
ausgedacht: „The Golden Age“. Gemeint ist eine Zeit, in der nicht nur | |
Kulturschaffenden alle Mittel zur Eigenproduktion zur Verfügung stehen. Jan | |
Rohlf, Kurator der CTM, formulierte kurz vor Festivaleröffnung einen | |
trefflichen Befund: „Selbstverwirklichung wird zur Norm.“ | |
Der britische Musikjournalist Andrew Keenan findet in der vorab gezeigten | |
schwedischen Feel-good-Dokumentation „PressPausePlay“ ebenfalls deutliche | |
Worte – und verkündet ein Zeitalter der global masturbation. Es gilt also | |
Pole auszuloten zwischen einer Utopie, in der alle Künstler sind, und | |
kulturpessimistischen Vorahnungen. | |
Einen Schritt in die Vergangenheit gingen am Mittwochabend Boris Hegenbart | |
und Felix Kubin. In einer Performance im Haus der Kulturen der Welt | |
versandten sie lose aufeinanderfolgende Kompositionen ins Publikum und | |
vielleicht sogar irgendwo anders hin. Das Setting: Auf einer Leinwand | |
Kubin, mysteriöserweise vor dem Gebäude befindlich. Er hält sich eine | |
Taschenlampe unters Gesicht und verkündet in prophetischem Tonfall ein paar | |
futuristische Sätze, von denen keiner hängen bleibt. | |
## Anstrengend und schön | |
Nach dieser Minilesung kehrt er zurück ins Gebäude und nimmt Platz in einer | |
beklemmend kleinen Kabine. Und da stehen zwei ältliche Synthesizer, von | |
Kubin benötigt, um sein kommunikatives Vorhaben auszuführen. Mit Hegenbart | |
ist er über Kopfhörer mit dem Auditorium verbunden. Die beiden Musiker | |
stimmen ein zum Maschinenduett, mal brummt und donnert es von Kubins Seite, | |
dann ist es Hegenbart, der eine rhythmische Flanke unter die Melodien aus | |
dem Kämmerlein schlägt. Anstrengend und schön. | |
Raus in die Nacht, hinein in den Tag: Über dem Künstlerhaus Bethanien | |
strahlt am Donnerstag die Sonne, vor der Pforte ein Pfropf schöner junger | |
Menschen. Viele sind gekommen, um dem Künstlergespräch mit der zauberhaften | |
US-Musikerin Holly Herndon zu lauschen, die mit ihrem Debütalbum „Movement“ | |
jüngst für Verzückung sorgte. Eine äußerst angenehme Erscheinung in diesem | |
zu großen Pullover, die roten Haare zu einem losen Zopf gebunden; munter | |
und dermaßen lebendig, dass man gleich noch einen zweiten Kaffee trinken | |
muss. | |
Herndons Worte scheppern gegen die Wände des Studio I, was einen Nachhall | |
in diesem sakralen ehemaligen Krankenhaus erzeugt. Ihre Ausführungen sind | |
gespickt mit Anekdoten, was für Erheiterung sorgt, vielleicht sogar für | |
Herzflattern. Sie äußert sich zu den Themenfeldern Frauen und elektronische | |
Musik (pro!) sowie Performance und Laptop (pro!) und zu einem akademischen | |
Kater, der den Kontrabass in die Ecke und computergenerierte Bässe wieder | |
ins Zentrum zu rücken vermochte. Im Anschluss ist der Autor Adam Harper zu | |
erleben, der in seinem Vortrag „The Pop Art of the Virtual Plaza“ durchaus | |
anschaulich in den schauerlich-faszinierenden Kitsch des Vaporwave | |
einführt. Für Harper ist das eine Melange aus dem Schrecklichsten, was die | |
späten achtziger Jahre hervorgebracht haben. | |
Noch immer im Studio I treffen in „Unlimited Access Permitted“ Kenneth | |
Goldsmith (Gründer des Onlineavantgardearchivs UbuWeb) und die Kuratorin | |
Ellen Blumenstein aufeinander. Ein Paar, wie es sich Loriot nicht schöner | |
hätte ausdenken können: „Bertha, das Ei ist hart.“ Hinterher gingen | |
vermutlich beide getrennte Wege. | |
## Ausschweifende Geste | |
Der hier beschriebene Weg jedoch führte zurück zu Holly Herndon und | |
„Science of Synthesis“ ins Berghain. Tosender Applaus für ihre eine lässi… | |
Handbewegung, die anmutet, als bringe sie mit ausschweifender Geste über | |
die Tastatur das Gerät zum Schwingen. Ohne es dabei jemals zu berühren. | |
Magisch. | |
Große Gefühle dann bei Forest Swords alias Matthew Barnes, einem Musiker | |
aus Liverpool. Im Wechselspiel mit experimentellen Projektionen und | |
fragilem, wie in den Boden drückendem Drone-Pop ummantelte dieser alle | |
Besucher des Berghain. Ein spannender Auftakt. Aber die Frage, ob goldenes | |
Zeitalter oder nicht, schwebt noch im Raum. | |
1 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
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