# taz.de -- Wave aus Werbejingles: Die Dunstglocke der Hipness | |
> Ein höchst artifizieller Sound ist der nächste Hype. Vaporwave zapft | |
> Muzak und Werbejingles an, die Künstler tun dies im Schutz des Internets. | |
> Ist das neu? | |
Bild: Der V-Effekt des Artwork: asiatische Schriftzeichen auf dem Cover von „… | |
Was folgt auf die unerfüllte Verheißung des Kapitals? Nach einem Essay des | |
britischen Musikwissenschaftlers Adam Harper („Infinite Music“, 2011) die | |
Bloßstellung der Verheißung. | |
Vaporwave, zu deutsch „Dunstwelle“, sorgt als Genrebegriff nicht erst seit | |
Harpers im Londoner Musikmagazin Dummy Mag erschienenem Essay für | |
Konfusion. Vaporwave ist ein Kunstwort, sagt der amerikanische | |
Genre-Mitbegründer Will Burnett alias INTERNET CLUB, und es soll neblige | |
Ungewissheit vermitteln. | |
Nicht zufällig erinnert es an Vaporware – ein Fachausdruck für Soft- oder | |
Hardware, die über lange Zeit angekündigt, aber nie veröffentlicht wird. | |
Burnett bleibt die große Ausnahme. Über die meisten Protagonisten ist weder | |
Alter, noch Geschlechtszugehörigkeit, noch ihre Nationalität bekannt. Sie | |
operieren anonym im Internet. | |
Vaporwave-Sound ist dagegen einfach zu dechiffrieren. Er besteht aus | |
Samples der Oberflächenwelt von Werbung und Hintergrundmusik. Seine Akteure | |
greifen auf Hotellobby-Easy-Listening, Warteschleifen-Melodien und Jingles | |
zurück, wie sie zwischen 1988 und 1995 komponiert wurden. Als Hauptquelle | |
dient der hoch artifizielle Zwecksound der Shopping Mall: Fahrstuhlmusik. | |
## Anonyme Protagonisten | |
Die Idee ist nicht völlig neu. Ebenso wie die „Incredibly Strange | |
Music“-Compilations, auf denen das in San Francisco beheimatet | |
Underground-Magazin RE/Search Anfang der Neunziger allerlei | |
Exotica-Abseitigkeiten aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren ausgegraben | |
hatte, provoziert auch Vaporwave durch Aneignung. | |
Unmittelbare Vorläufer des Genres sind indes die Arbeiten des | |
US-Hauntology-Künstlers [1][James Ferraro]. Der Kalifornier spielte mit den | |
omnipräsenten Melodien der Konsumwelt schon 2011 auf seinem Album „Far Side | |
Virtual“. | |
Für die Gesamtheit dieser Aneignungsmusik gilt: Erst durch Neuverortung | |
erhält die eigentlich uncoole Soundsignatur Hipness. Hört man einen | |
Vaporwave-Track isoliert aus seinem Zusammenhang, bietet er kaum Mehrwert | |
über die ursprüngliche Funktionalität hinaus. Im Kontext aus | |
medienkritischem Überbau und Web 2.0-Produktionsweise jedoch bedeutet | |
Vaporwave einen Quantensprung. | |
In den Worten des Künstlers [2][Laserdisc Visions] steckt hinter dem Genre | |
„eine Karikatur der Massenmedien in den ausgehenden Achtzigern, kurz bevor | |
die Computerkultur in Amerika explodierte“. Laserdisc Visions zeigt sich | |
davon fasziniert, wie „die Welt die Realität in den letzten 20 Jahren | |
sukzessive abgeschaltet hat“. Über den Rückgriff auf kommerzielle | |
Medienbruchstücke jener Zeitenwende möchte er „deren surrealistische | |
Untertöne so einfangen, dass sie die Leute heute genauso nachhaltig treffen | |
wie damals“. | |
## MediaFired, Macintosh Plus, Prism Corp | |
Zur Verbreitung ihrer Gratis-Downloads nutzen Vaporwave-Künstler | |
Onlinelabels mit Unternehmenskürzeln wie Corp. oder Ltd. Schon in der Wahl | |
ihrer Pseudonyme ([3][MediaFired], [4][Macintosh Plus], [5][Jóhó Desuku | |
VIRTUAL], [6][Prism Corp Virtual Enterprises]) hallt das obsolet gewordene, | |
retrofuturistische Heilsversprechen des Silicon Valley nach, als Personal | |
Computer und Cyberspace noch von neuen libertären Räumen kündeten. | |
Wobei der Blick zurück auch den Blick aufs Jetzt bedeutet. [7][Google | |
Glass] oder [8][Second Life] bieten sich als jüngere Verheißungen an. Dabei | |
hinterfragt das Genre Pop-Art-gemäß unser Verständnis von Urheberschaft. | |
Statt Dagewesenes lediglich als retroästhetischen Ausgangspunkt zu nutzen, | |
grenzt der Vaporwave-Sound hier ans 1:1-Zitat. | |
Abseits DJ-typischer Verfremdungseffekte – Pitchshifting, Loopschleifen | |
oder Geschwindigkeitsvariation – balsamieren die Vaporwave-Digital-Natives | |
ihre Vorlagen aus Einkaufszentren und TV-Werbung meist regelrecht ein. | |
Ihr kreativer Beitrag steckt in syntaktischer wie semantischer Neuverortung | |
von Copy-paste-Material. Vaporwave verdichtet die Bedeutungsebene im Stück | |
selbst wie in der Collage. Unter dem Schirm des Gattungsbegriffs löst der | |
Sammler sich von der Schöpferidee und wechselt in die Position des | |
Kurators. | |
Entsprechend unterstreichen Originalclips die suggestiven Melodien. Während | |
New-Age-Exotica wie Panflöte oder Lounge-Jazz-Saxofon sedierende Wellness | |
besorgen, laufen Vintage-Werbebilder. Sie tragen Francis Fukuyamas Utopie | |
vom Ende der Geschichte in sich, den Traum der ultimativen Marktwirtschaft. | |
Zu sehen sind lauter surreal überzeichnete Idealmenschen, die sich in | |
teuren Autos und prachtvollen Villen mit Markenprodukten umgeben. | |
## Vom Ende der Geschichte | |
Auch auf visueller Ebene intervenieren die Kuratoren folglich nur subtil, | |
dafür nachdrücklich, indem sie etwa bestimmte Sequenzen wiederholen. Wie | |
bei den Audioloops entsteht so ein Paradox: Zwischen unseren gegenwärtigen | |
Sehstandards und der veralteten Ästhetik des Ausgangsmaterials liegt eine | |
befremdliche Distanz. | |
Darüber hinaus trägt eine Auffälligkeit im Artwork zum Verfremdungseffekt | |
bei. Durch den Gebrauch asiatischer Schriftzeichen werden wir aus dem | |
Hörfluss gerissen und erkennen das manipulative Moment des Dargebotenen. | |
Die Dystopie, entlarvt im glatt gebügelten Konsum-Utopia. | |
Vaporwave bezeichnet damit einen Paradigmenwechsel. Die Avantgarde räumt | |
das Schlachtfeld, auf dem sie seit der Erfindung von Underground mit dem | |
Mainstream um das Vorrecht auf Authentizität gestritten hat. Ein | |
Kapitalismus, der die Aneignung subversiver Kulturströmungen über ein | |
halbes Jahrhundert perfektioniert hat, könne nur durch Karikatur entlarvt | |
werden, behauptet der Künstler Computer Dreams. Es ist eine Dekonstruktion | |
der Gleitmittel von Werbewirtschaft, jener ikonischen Samples, die | |
Konsumwünsche kreieren. | |
Das Subversive des Vaporwaves liegt in der Überaffirmation des | |
Artifiziellen. „Ich halte es für äußerst wichtig, als Musiker auf unsere | |
Umwelt zu reagieren“, sagt Laserdisc Visions. „In einer Zeit, in der alles | |
zum Protestsong wird, sehe ich im Dialogfreien den effektivsten sozialen | |
Kommentar.“ | |
Offene Fragen bleiben indes viele. Ist es nicht ein Armutszeugnis für den | |
Status quo von Pop, wenn seinen vermeintlichen Erneuerern im 21. | |
Jahrhundert nichts anderes einfällt, als sich ausgerechnet bei | |
Fahrstuhl-Muzak zu bedienen? Wie können die Vaporwave-Akteure sicher sein, | |
dass ihre Botschaft als Zynismus verstanden und nicht erneut vereinnahmt | |
wird? Und nicht zuletzt: Welche Rolle nimmt im digitalen Zeitalter der | |
Kurator neben dem Urheber ein? | |
15 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] /!87056/ | |
[2] http://beerontherug.bandcamp.com/track/laserdisc-visions | |
[3] http://www.mediafire.com/vaporwave | |
[4] http://soundcloud.com/beerontherug/macintosh-plus-untitled | |
[5] http://newdreamsltd.tumblr.com/ | |
[6] http://beerontherug.bandcamp.com/album/home-tm | |
[7] /!112653/ | |
[8] /!23339/ | |
## AUTOREN | |
Matthias Manthe | |
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