# taz.de -- Polizeigewalt in Ägypten: Prügel, Lügen und ein Video | |
> Ein Film zeigt, wie ägyptische Polizisten auf einen Demonstranten | |
> eindreschen. Es folgt eine Posse staatlicher Schadensbegrenzung. | |
Bild: Ausschnitt aus dem Video von Freitagnacht in Kairo. | |
KAIRO taz | Ein Mann wird von der Polizei über eine dreckige, schlammige | |
Straße geschleift. Der Oberkörper ist nackt, seine Hosen sind bis zu den | |
Knöcheln heruntergelassen. Mindestens sieben Polizisten prügeln abwechselnd | |
auf den wehrlosen Mann ein. Er leistet keinen Widerstand. Die minutenlange | |
Szene wird von der Kamera einer Nachrichtenagentur bei den Protesten vor | |
dem Kairoer Präsidentenpalast Freitagnacht aufgezeichnet, lief kurz darauf | |
über alle Sender und verbreitete sich in Windeseile im Internet. Seitdem | |
gibt es in Ägypten kein anderes Thema mehr. | |
Ägypten hat eine neue Ikone eines Opfers der Polizeigewalt. Hamada Saber | |
heißt der Mann, der nackt über den Boden geschleift wurde. Der 48jährige | |
Tagelöhner hatte mit seiner Familie die Freitagsdemonstration gegen | |
Präsidenten Muhammad Mursi besucht und endete am Abend im | |
Polizeikrankenhaus. | |
Was dann folgte war ein bizarres Narrenstück staatlicher | |
Schadensbegrenzung. Das Innenministerium entschuldigte sich zunächst und | |
versprach, den Fall zu untersuchen. Mursi ließ eine Erklärung | |
veröffentlichen. „Es ist schmerzlich, das schockierende Bild zu sehen, wie | |
Polizisten in einer Art und Weise jemanden herumschleifen, die nicht mit | |
der menschlichen Würde und den Menschenrechten vereinbar ist“, heißt es | |
dort. Gleichzeitig wies Mursi aber auch darauf hin, dass der Vandalismus | |
und die Gewalt der Demonstranten ebenfalls nicht akzeptabel gewesen sei. | |
## Das Opfer wird zum Täter gemacht | |
Dann wurde das Opfer zum Täter gemacht. Seitens der Staatsanwaltschaft hieß | |
es, eine erste Untersuchung habe ergeben, dass Saber 18 Molotow-Cocktails | |
und zwei Benzinkanister bei sich geführt hätte. Daraufhin meldete sich | |
Innenminister Muhammad Ibrahim auf einer Pressekonferenz zu Wort und gab | |
dem Ganzen einen neuen Dreh. Saber sei bei einer Schlägerei mit | |
Demonstranten ausgezogen worden und von Schrotkugeln in den Fuß getroffen | |
worden - wobei er offen ließ, wer geschossen hat. Die Polizei habe Saber | |
auf dem Boden liegend gefunden und den Mann „etwas exzessiv“ in einen | |
Transporter geladen. | |
Noch absonderlicher wurde das Ganze, als sich Saber mit seiner Frau aus dem | |
Polizeikrankenhaus bei der privaten ägyptischen Fernsehstation ON-TV | |
meldete. Er sei von Demonstranten angegriffen worden, als er mit seiner | |
Familie ein Tee getrunken habe. Sie hätten ihn mit einem Polizisten | |
verwechselt. Seine Frau Fathya erklärte, die Polizei sei sehr respektvoll | |
und stünde auf Sabers Seite und sie sei sehr dankbar. Zwischen den | |
Antworten gab es längere Pausen und im Hintergrund redete jemand - so, als | |
würden Antworten vorgegeben. | |
## Hamadi Saber und seine Versionen der Ereignisse | |
Noch am gleichen Abend änderte Saber seine Version und erklärte gegenüber | |
dem Staatsfernsehen, er einfach nur in die Auseinandersetzungen zwischen | |
Demonstranten und Polizei geraten. Dann hätten ihn die Demonstranten | |
ausgeraubt und er sei in Richtung Polizei davongelaufen. Die Polizisten | |
hätten ihm helfen wollen und seien hinter ihm hergelaufen, bis er | |
schließlich hinfiel. Warum die Polizei vor den Augen eines | |
Millionenpublikums auf ihn eingeprügelt haben, konnte er nicht erklären. | |
In einem weiteren Interview mit Hayat TV, meinte Saber nur, die Polizei | |
hätten einen guten Grund gehabt ihn so zu behandeln, weil er sich der | |
Verhaftung widersetzt habe , um dann zu dem Moderator zu sagen: „Ich muss | |
an mich selbst denken, bitte macht mir keine Probleme“. | |
Der Höhepunkt erreichte das Ganze bei einer Konferenzschaltung zwischen | |
Saber, seiner Tochter und einer privaten TV-Station, wo es zum offenen | |
Streit kam. Die Tochter flehte Saber an, die Wahrheit zu sagen, dass er von | |
der Polizei verprügelt wurde. Saber erklärte, seine Tochter sei von | |
privaten TV-Stationen bezahlt worden, um die Polizei anzuschwärzen. | |
## Polizei stetzt Opfer und ihre Familien unter Druck | |
„Sie haben Saber zweimal misshandelt. Einmal vor dem Präsidentenpalast und | |
das zweite Mal, als sie ihm zum Papageien für ihre Szenarien gemacht haben, | |
was angeblich vorgefallen ist“, erklärte der ägyptische Menschenrechtler | |
Muhammad Zaree. | |
In den beiden Jahren nach dem Sturz Mubaraks wurden zwar 135 Polizisten für | |
den Tod oder der Verletzung von Demonstranten angeklagt, aber nur zwei | |
Polizisten zu Gefängnisstrafen verurteilt. Einer der Gründe: Die Polizei | |
setzte die Opfer und deren Familien immer wieder unter Druck, ihre | |
ursprünglichen Aussagen zurückzunehmen. Der Unterschied zu Sabers Fall: | |
Eine Kamera hat diesmal alles aufgezeichnet. | |
3 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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