# taz.de -- Gewaltschutzgesetz in Deutschland: Aus Angst Brutalität ertragen | |
> Seit das Gewaltschutzgesetz gilt, können sich Frauen gegen häusliche | |
> Gewalt wehren. Doch gerade Mütter können ihr oft nicht entkommen. | |
Bild: Kinderlose Frauen können sich besser vor Gewalt schützen, als Mütter. | |
BERLIN taz | Er schlägt sie. Aber sie geht nicht zur Polizei. Sie belügt | |
den Arzt, wenn der ihre Verletzungen behandelt. Sie vertuscht die Gewalt | |
ihres Mannes vor den Freundinnen, vor den Kollegen und vor allem vor den | |
Kindern. Warum? | |
Seit das Gewaltschutzgesetz in Deutschland vor zehn Jahren in Kraft trat, | |
können sich Frauen erfolgreich gegen häusliche Gewalt wehren. Sie können | |
den Schläger aus der Wohnung weisen und ihm verbieten lassen, sich ihr zu | |
nähern, sie anzurufen, ihr Mails zu schreiben. Laut einer Studie des | |
Familienministeriums geht häusliche Gewalt überwiegend von Männern aus. | |
„Das Gewaltschutzgesetz ist ein Erfolg“, sagt die Berliner Psychologin | |
Katja Grieger. Und schränkt sogleich ein: „Kinderlose Frauen sind heute gut | |
geschützt, Mütter sind es nicht.“ Die Leiterin des Bundesverbands | |
Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe kennt viele Fälle, bei denen | |
Frauen aus Angst um ihre Kinder die Gewalt ertragen oder – wenn sie den | |
Täter angezeigt haben – der Brutalität dennoch nicht entkommen können. | |
Wenn nicht eindeutig nachgewiesen ist, dass sich der prügelnde Mann nicht | |
auch an seinen Kindern vergreift, muss die Mutter den Umgang des Vaters mit | |
seinen Kindern zulassen. Es gilt das Credo: Ein prügelnder Mann muss noch | |
lange kein schlechter Vater sein. | |
## Mütter am häufigsten Gewaltbetroffen | |
Katrin Hille, Psychotherapeutin und Fachberaterin beim Frauennotruf | |
Göttingen, kritisiert das: „Solange die gängige Praxis die Rechte aus dem | |
Gewaltschutzgesetz dem Umgangsrecht der Eltern unterordnet, wird die | |
Wirkung der Schutzmaßnahmen gewaltbetroffener Frauen und deren Kindern | |
laufend unterhöhlt.“ Der Anteil der Mütter macht mit rund siebzig Prozent | |
den größten Teil der Gewaltbetroffenen aus. | |
Es ist ein Fall bekannt, bei dem ein gewalttätiger Vater Umgang mit seinen | |
Kindern haben durfte. Bei einem seiner Besuche vergewaltigte er die Mutter | |
im Beisein des Kleinkindes. Danach ordneten die Richter begleiteten Umgang | |
an – jetzt sieht der Vater das Kind, wenn jemand vom Jugendamt dabei ist. | |
Warum stößt das Gesetz hier an seine Grenzen? Manche Beraterinnen der | |
Frauenhäuser und -notrufe vermuten, dass etliche Jugendämter sehr | |
vorsichtig geworden sind im Umgang mit gewalttätigen Männern. Seit Väter in | |
Deutschland mehr Rechte an ihren Kindern bekommen und Gerichte das | |
gemeinsame Sorgerecht als Regelfall angemahnt haben, drängen RichterInnen | |
vielfach auf „Einvernehmlichkeit und Mediation“: Eltern sollen sich um | |
jeden Preis einigen. „Das ist bei häuslicher Gewalt der falsche Trend“, | |
sagt Grieger. | |
## Geheim gehaltene Wohorte nicht mehr geheim | |
Sie berichtet von Frauen, die bei der Übergabe der Kinder erneut dem Druck | |
des Schlägers ausgesetzt sind. Darüber hinaus würden zum Schutz der Frauen | |
und Kinder geheim gehaltene neue Wohnorte bekannt. „Damit ist jeder Schutz | |
hinfällig“, sagt sie. | |
Zahlreiche Studien belegen zudem, dass Männer, die ihre Partnerinnen | |
misshandeln, auch ihren Kindern gegenüber Gewalt ausüben. Einer | |
Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstuts Niedersachsen zufolge | |
erleben nur rund fünf Prozent der Jugendlichen in Haushalten mit Gewalt | |
diese nicht unmittelbar. | |
Was passieren kann, wenn Kinder regelmäßig Gewalt mitbekommen, berichten | |
Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern: Da packt ein kleiner Junge seine Mutter | |
am Hals, ein Mädchen schlägt in die Luft und schreit: „Dir werd ich's | |
zeigen.“ Ein anderes Kind nässt ein und ruft im Schlaf: „Bitte nicht ins | |
Gesicht.“ | |
## Gesetz nachbessern | |
Auf die Gefahr, dass das Gewaltschutzgesetz zum „Zweiklassenschutz“ | |
mutieren könnte, wie Katja Grieger es nennt, haben schon vor seinem | |
Inkrafttreten die Gewalt-Expertinnen Birgit Schweikert und Gesa | |
Schirrmacher hingewiesen. Kinderschutz und Frauenschutz sollten „nicht mehr | |
als zwei getrennte Wege angesehen“ werden, sondern „als zwei Seiten ein und | |
derselben Medaille“, schreiben sie in einer Expertise für das | |
Familienministerium. | |
Jetzt hat die Lobbyorganisation Deutscher Frauenrat die Bundesregierung | |
aufgefordert, das Gewaltschutzgesetz nachzubessern: Gewalt und Nachstellung | |
gegen eine Mutter müssten als Gefährdung des Kindeswohls anerkannt werden – | |
auch in Fällen, in denen die Kinder nicht selbst von Gewalt betroffen sind. | |
Die Losung „Wer schlägt, der geht!“ müsse ergänzt werden durch den Satz: | |
„Und kann seine Kinder erst dann wiedersehen, wenn er nachweislich | |
gefährdendes Verhalten geändert hat.“ | |
14 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
Simone Schmollack | |
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