| # taz.de -- Psychische Gewalt: Der Albtraum nach dem Honeymoon | |
| > Erst sind sie ein Traumpaar, dann werden seine Sprüche immer | |
| > verletzender. Psychische Gewalt gegen Frauen ist oft nicht leicht | |
| > erkennbar. | |
| Bild: An Anfang schweben sie auf Wolken. | |
| BERLIN taz | Es beginnt als ganz große Liebesgeschichte. Ein strahlender | |
| Mann, charmant und klug, Geld hat er auch noch. Ein Zahnarzt, der mit in | |
| die Praxis einsteigen kann und gleich das Management übernimmt. Anke hat | |
| das große Los gezogen. | |
| Vorher war Anke mit Ernst verheiratet, mit dem sie auch die Praxis teilte. | |
| Eine langweilige Ehe, die auseinanderdriftete. Aber jetzt kommt Frank, | |
| zahlt Ernst aus und möbelt die Praxis auf. Die älteren Semester unter den | |
| Arzthelferinnen ersetzt er durch junge und hübsche. Anke überschüttet er | |
| mit Aufmerksamkeit, alles, alles möchte er von ihr wissen. Er erfüllt ihr | |
| ihre Lust auf kleine Reisen: Immer wieder überrascht er sie mit | |
| Flugtickets. Er vermittelt ihr: „Wir sind ein unschlagbares Team. Niemand | |
| von den anderen Idioten kommt an uns beide heran.“ | |
| Honeymoon nennen die Fachleute jene Endorphinwolke, auf der diese beiden | |
| schweben. Kerstin Zander aber, die diese Geschichte erzählt, bezeichnet es | |
| anders: „Sucht“, sagt sie und: „Enthirnung“. Kerstin Zander hat ein | |
| Selbsthilfeforum für die Opfer psychischer Gewalt gegründet, sie kennt | |
| viele solche Geschichten. | |
| Der Honeymoon ist ein typischer Anfang einer Misshandlerbeziehung. „Man | |
| wird von den Endorphinkicks abhängig: Zusammen sind wir grandios. Das heißt | |
| auch: Allein ist man nicht mehr grandios und auch nicht mehr happy.“ | |
| ## Er nennt sie frigide | |
| Die Glückseligkeit bekommt Risse. Frank lacht mit den jungen Angestellten. | |
| Wenn Anke in den Raum kommt, sagt er: „Oh, jetzt müssen wir aber wieder | |
| arbeiten.“ Seiner Freundin ruft er ins Behandlungszimmer hinterher: „Aber | |
| nicht wieder den falschen Zahn ziehen!“ Die Helferinnen lachen. Wird Anke | |
| sauer, finden er und seine Entourage das humorlos. Beschwert sie sich, | |
| erklärt er, das sei ja neurotisch. | |
| Dann verschwindet ihr Schlüssel. Plötzlich ist er wieder in der Tasche. | |
| Frank richtet Anrufe nicht aus: vergessen. „Crazy-making“ nennt das Zander. | |
| Anke wird ängstlich und depressiv. Im Bett ist es schon lange nicht mehr | |
| toll, er nennt sie „frigide“. Anke traut ihrer eigenen Wahrnehmung nicht | |
| mehr. Ist sie humorlos, neurotisch und frigide? | |
| 42 Prozent aller befragten Frauen haben laut einer Studie des | |
| Frauenministeriums schon einmal psychische Gewalt erfahren. Die reicht von | |
| Einschüchterung oder Anschreien über Verleumdungen, Drohungen und | |
| Demütigungen bis hin zu Psychoterror. Vier von zehn Frauen, das klingt | |
| erschreckend. Aber wo ist die Grenze zum normalen Beziehungskrach, den es | |
| unter Partnern eben gibt? „Wir üben alle mal psychische Gewalt aus“, sagt | |
| Zander, „aber nicht systematisch“. | |
| Julia Schellong ist Oberärztin an der Dresdner Uniklinik für Psychotherapie | |
| und Psychosomatik. Sie ist auf Gewalt spezialisiert und meint, dass man | |
| durchaus Grenzen erkennen kann: „Die Angegriffene wird als Mensch nicht | |
| ernst genommen. Ihre Meinung ist nichtig und wird nicht anerkannt. Es geht | |
| immer um Macht.“ Der Partner sendet doppelte Botschaften, meint Zander. „Es | |
| ist wie mit Dr Jekyll und Mr Hyde: Das Opfer ist süchtig nach der | |
| strahlenden Jekyll-Figur, aber es bekommt immer öfter den monströsen Dr | |
| Hyde“. | |
| ## AkademikerInnen sind überrepräsentiert | |
| Auch Frauen üben psychische Gewalt aus, wenn auch nicht so oft wie Männer, | |
| sagt eine Studie aus Österreich, die Frauen- und Männergewalt vergleicht. | |
| So berichten 51 Prozent der Frauen, sie seien schon auf verletzende Weise | |
| gehänselt und gedemütigt worden, gegenüber 37 Prozent der Männer. 27 | |
| Prozent der Frauen fühlten sich durch Eifersucht unter Druck gesetzt – und | |
| 17 Prozent der Männer. TäterInnen und Opfer kommen aus allen Schichten, | |
| AkademikerInnen sind überrepräsentiert. | |
| Wie kann man Opfern psychischer Gewalt helfen? Der schwierigste Teil ist, | |
| ihnen Einsicht in die Dynamik ihrer Beziehung zu vermitteln, sagt | |
| Schellong. Das sei schwer für Polizei und Beratungsstellen. „Er meint das | |
| nicht so.“ – „Sie ist doch hilflos, und meistens läuft es ja auch gut.�… | |
| lauten die Leugnungen. Was tun? Die Opfer stärken, sagt Kerstin Zander. | |
| Nicht umsonst heißt ihr Forum „Re-Empowerment“. Sie dazu bringen, dass sie | |
| wieder ihrer eigenen Wahrnehmung trauen. Ihnen helfen, Grenzen zu setzen. | |
| TäterInnen dagegen reagieren in einigen Fällen auf direkte Ansprache, | |
| berichtet Psychologin Julia Schellong. Die Polizei habe gute Erfahrungen | |
| damit gemacht, Stalkern zu erklären, was sie da eigentlich tun und dass das | |
| strafbar ist. 90 Prozent der Stalker hörten daraufhin damit auf. | |
| Anke hat bisher kein Happy End erlebt. Frank verließ sie, zog mit einer | |
| anderen Frau zusammen. Und Anke floh – aus ihrer eigenen Praxis, aus ihrer | |
| Heimat. In eine andere Stadt, in eine Gemeinschaftspraxis. Die Endorphine, | |
| die muss sie nun wieder selbst produzieren. Noch weiß sie nicht, wie das | |
| geht. | |
| 22 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Heide Oestreich | |
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