# taz.de -- Knut im Museum: Ein Bär wie Berlin | |
> Eisbär Knut ist wieder da, diesmal als Ausstellungsstück. Seine | |
> Inszenierung als ein Bild der Stärke wird auch das Elend der Stadt | |
> lindern. | |
Bild: Fast auferstanden: Der ausgestopfte Kult-Eisbär Knut wird am 15. Februar… | |
Dass Zoodirektor Bernhard Blaszkiewitz in der Lage ist, konsequent | |
durchzugreifen, wenn Gefahr droht, bewies er schon vor Jahrzehnten, als er | |
invasiven Kätzchen im Friedrichsfelder Tierpark kurzerhand den Hals | |
umdrehte. Umso erstaunlicher, dass er 2006 am Eisbärgehege des Zoos auf den | |
finalen Rettungsgriff verzichtete. So blieb das von seiner Mutter | |
verstoßene Eisbärjunge am Leben und wurde im Folgenden aufopferungsvoll | |
durch den Tierpfleger Thomas Dörflein von Hand aufgezogen. | |
Eigentlich hätte es eine Sternstunde der modernen Tiergärtnerei werden | |
können. Dörflein und das Zoo-Team zeigten, was kompetente Tierpflege | |
gepaart mit viel Engagement vermag, der Zoo erhielt mit Knut, dem | |
Mini-Bären, einen neuen Sympathieträger, der zudem nicht nur für die | |
Gefährdung der Biodiversität stand, sondern auch symbolisch für eine der | |
größten globalen Herausforderungen, den Klimawandel. Aber irgendwie geriet | |
alles außer Kontrolle. | |
Die Begeisterung um das Bärenjunge nahm hysterische Züge an, Dörflein und | |
Knut wurden zu Yellow-Press-Figuren, zu Ersatzadligen in einer Stadt, die | |
sich so sehr nach etwas Glanz sehnt und nach jemandem, zu dem sie | |
aufblicken kann. Zwar trug Dörflein keine schicke Uniform wie der Alte | |
Fritz und war weniger eloquent als der Führer, auch ob Knut wenigstens | |
schwul werden würde, war noch nicht raus, aber die Berliner erknuddelten | |
jeden Restverstand mit ihrer grenzenlosen Zuneigung zu dem ungleichen Paar. | |
Kein Mensch dachte bei Knuts Anblick an die Erderwärmung, stattdessen wurde | |
das Wildtier zum A-Promi der Berliner Society. Zoologischer Sachverstand | |
spielte keine Rolle mehr, spätestens als die Grünen-Tierschützerin Claudia | |
Hämmerling und die Tierrechtler von Peta auf den Plan traten. | |
Die Katastrophe nahm ihren Lauf. Erst dankte Dörflein ab, zweieinhalb Jahre | |
später sprang auch sein Ziehsohn ein letztes Mal in den Wassergraben. Die | |
Stadt stand unter Schock. Der Zoo wurde des Mordes bezichtigt, die | |
Artgenossen auf dem Eisbärfelsen des Mobbings, Verschwörungstheorien | |
machten die Runde. | |
## Schnitzel und Tränen | |
Menschen, die nichts dabei finden, sich ein Schnitzel vom Discounter in die | |
Pfanne zu hauen, weinten über das Schicksal eines hirnkranken Bären und | |
legten vor die Heimstatt des Umweltschutzbotschafters Blumen, auf die zuvor | |
vermutlich Vierjährige in Bangladesch dicke Pestizidschichten gesprüht | |
hatten. | |
Dann gleich der nächste Schock: Eine offizielle Trauerfeier wurde Knut | |
verweigert, Elton John blieb zu Hause, nicht einmal Grönemeyer textete „Der | |
Weg“ um. Stattdessen kam der Bär ins Naturkundemuseum. Noch einmal brandete | |
Protest auf: Das zum besseren Berliner erhobene Pelztier musste doch ein | |
Staatsbegräbnis bekommen! Endlich kehrte Ruhe ein. Im Museum war man klug | |
genug, den prominenten Kadaver erst mal im Keller zu vergraben, bis sich | |
die Emotionen gelegt hatten. | |
Und fast scheint es, als sei mit Knut der Wille der Berliner gebrochen. Aus | |
der Feier-Metropole mit dem putzigen Vortanzbären Wowi wurde ein Tal der | |
Tränen: BER, Museumsinsel, Staatsoper – die einzigen Bauprojekte, die nach | |
Plan verliefen, waren die Avus, auf der man die Stadt möglichst schnell | |
verlassen kann, sowie der Steglitzer Bankräuber-Tunnel. Ansonsten: Hertha | |
in der zweiten Liga, Senatoren mit Express-Verfallsdatum, Linke, die sich | |
vor Touristen fürchten, Prenzelberger in Angst vor Schwaben, der Zoo-Panda | |
machte auch noch schlapp, und der Regierende Bürgermeister wirkt längst so | |
fahl, dass der im Wassergraben treibende Knut rückblickend wie das blühende | |
Leben erscheint. | |
## Vitale Dermoplastik | |
Aber nun taucht der Eisbärheld wieder auf. Als Dermoplastik im | |
Naturkundemuseum. Vor Kraft strotzend, vital, ehrfurchtgebietend. Vier | |
Wochen lang wird er den Berlinern kostenfrei dargeboten, und sie werden in | |
Scharen kommen. Der Eingangsbereich des Museums wurde eigens dafür | |
umgebaut. | |
Das tapsige, lebensuntüchtige Tier mit seiner tragischen Geschichte, | |
inszeniert als stolzer, ungebrochener, gut aussehender Sohn der Stadt. Die | |
herauspräparierte Vision all dessen, was er zu Lebzeiten nie erreichen | |
konnte. Damit steht er symbolisch für Berlin selbst. Wenn die Berliner im | |
Museum auf die Illusion ihres starken Knuts schauen, blicken sie auch auf | |
das Bild ihrer Stadt. Es mag für einen Augenblick den wirklichen Zustand | |
beider vergessen machen. | |
16 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Heiko Werning | |
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