# taz.de -- Die Wahrheit: Kein Heim für Tiere | |
> Die animalische Wohnungsnot greift immer stärker um sich. Selbst | |
> Wildtiere und Gartenvögel haben Probleme, eine bezahlbare Bleibe zu | |
> finden. | |
Bild: Nirgendwo hat man als Hausmaus seine Ruhe, dauernd ist der verdammte Verm… | |
Die Hände von Martina S., 57, zittern, als sie Kaffee eingießt: „Hören Sie | |
das?“ Sie blickt hoch zu den Oberschränken der Einbauküche. Tatsächlich – | |
aus der Wand dringt ein Geräusch. Es klingt wie ein feines Scharren. „So | |
geht es Tag und Nacht. Mein Mann und ich glaubten zunächst, da sei eine | |
Motte gefangen oder ein großer Käfer. Aber wir haben Mäuse.“ | |
Das Ehepaar aus Hamburg wandte sich an den Vermieter. Doch der, erzählt S., | |
habe nur abgewinkt: „Mit den Mäusen, das gehe schon in Ordnung, sagte er. | |
Die hätten einen Vertrag mit ihm. Wir konnten es nicht fassen.“ | |
Mietverträge mit Nagern? Längst kein Einzelfall mehr, beklagt Eckard | |
Pahlke, Vorsitzender des Mietervereins Hamburg: „Die extreme Wohnungsnot in | |
unserer Stadt betrifft inzwischen auch Wildtiere und Gartenvögel. Kein Loch | |
in der Mauer, kein Geräteschuppen, in denen sie einfach so unterschlüpfen | |
könnten. Überall hält ein Grundbesitzer die Hand auf. Und jetzt im Winter | |
haben die Mieten noch mal enorm angezogen.“ | |
Hubert Weiger, Vorstand des BUND e.V., spricht von einer „Riesensauerei“. | |
Die Politik sei nun dringend in der Pflicht zu handeln. „Sonst droht schon | |
in diesem Sommer die Abwanderung unserer Fauna in sozial verträglichere | |
Regionen.“ | |
Unter den Betroffenen selbst geht die Angst um. Die meisten möchten nicht | |
einmal anonym zitiert werden. Konrad lässt sich das Schnäuzchen allerdings | |
nicht verbieten. Die Hausmaus bewohnt in einem Heizungskeller eine | |
halbverrottete Zigarrenschachtel. „Dreihundert Euro kostet mich diese | |
Bruchbude im Monat – ohne Nebenkosten!“ Er sei eben zu naiv gewesen, als er | |
den Mietvertrag unterschrieb. | |
„Ich dachte: Hey, super, ein ganzer Heizungskeller, da hol ich die Familie | |
nach.“ Kaum jedoch hatte er seine 200 engsten Verwandten einquartiert, | |
beschwerten sich die Nachbarn beim Hauseigentümer. „Ich hatte ja keine | |
Ahnung“, sagt Konrad, „dass auch die Spinnen und Kellerasseln bei dem | |
unterschrieben haben!“ | |
Ähnliches berichtet Timmi. Der junge Igel muss seit November tief in die | |
Tasche greifen, um in seinem Laubhaufen überwintern zu dürfen. „Dabei habe | |
ich gar keine Tasche!“, schnaubt er. „Ich wäre ja bereit, kleine Arbeiten | |
hier im Garten zu übernehmen, Schnecken fressen oder so. Aber fünfzig Euro | |
die Woche! Mein Preisgeld vom Wettlauf gegen diesen Hasen vergangenes Jahr | |
ist fast aufgebraucht. Und was mach ich dann?“ | |
Das fragt sich Doris bereits seit Wochen. Die zierliche Braunelle wurde aus | |
ihrem Nisthäuschen vertrieben, weil sie die 250 Euro Monatsmiete nicht mehr | |
begleichen konnte. Zitternd sitzt sie nun in einer kahlen Buchenhecke und | |
hält ängstlich nach den Geldeintreibern Ausschau. „Diese verdammten | |
Kleiber!“, schimpft sie. „Für ein paar Sonnenblumenkerne erledigen die | |
jeden fiesen Job. Fragen Sie mal die Kohlmeisen hier im Viertel – falls Sie | |
sie erkennen. Viele von denen haben derart auf den Kopf gekriegt, dass sie | |
wie Blaumeisen aussehen.“ | |
Aber nicht nur Kleiber erledigen für skrupellose Vermieter die | |
Schmutzarbeit. Kellermaus Konrad weiß von einer Eichhörnchen-Bande, die | |
sich auf das Drangsalieren säumiger Kleinsäuger spezialisiert hat: | |
„Besonders schlimm ist ihr Anführer, dieser Ulf. Der hatte immer schon | |
einen schäbigen Charakter. Doch mittlerweile ist er ein echter Pinsel.“ Die | |
sogenannte „Nutella-Gang“ verdingt sich unter anderem für den Vermieter von | |
Martina S. | |
„Die Dame“, sagt Konrad, „muss sich gar nicht wundern, dass bei ihr in der | |
Wand so viel Betrieb herrscht. Ulf und seine Kumpane scheuchen Mausfamilien | |
schon beim geringsten Zahlungsverzug aus den Nestern. Und dann wird alles | |
abgeschleppt, was sich irgendwie versilbern lässt. Käsehobel, | |
Getreidemühlen, Flachbildfernseher … Da geht’s zu wie auf einem Basar.“ | |
Eichkater Ulf bestreitet all diese Vorwürfe. Er gibt jedoch zu, dass die | |
Fluktuation in den Zwischenwandapartments sehr hoch ist. „Mir bricht es | |
förmlich das Herz, wenn ich so ein Mauspärchen mit seinen 30 Kindern an die | |
Luft setzen muss“, behauptet er mit einem verdächtigen Zucken seines | |
Schweifs. „Aber so ist nun mal das Gesetz des freien Marktes.“ | |
Als wir Martina S. mit den Ergebnissen unserer Recherche konfrontieren, | |
schweigt sie lange. Dann steigt sie auf den Küchenstuhl und kratzt an der | |
Wand über der Dunstabzugshaube. „Solidarität“, sagt sie mit grimmigem | |
Unterton, „ist unsere einzige Waffe gegen die Miethaie.“ Ein aufgeregtes | |
Schrappen antwortet ihr | |
18 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Kay Sokolowsky | |
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