| # taz.de -- Victor Hugo als Musical verfilmt: Sollen die Elenden doch singen le… | |
| > Tom Hoopers macht aus dem Erfolgsmusical „Les Misérables“ einen erwartbar | |
| > uninspirierten Film. Seine oscarnominierten Darsteller aber machen alles | |
| > wieder wett. | |
| Bild: Anne Hathaway als Fantine in „Les Misérables“. | |
| An die 30 Jahre lang war es möglich, am Phänomen „Les Misérables“ fast | |
| unberührt vorbeizugehen. Sicher, die Meldungen über den Erfolg des | |
| Musicals, das 1980 in Paris und 1985 in einer erweiterten englischen | |
| Fassung im Londoner Westend Premiere feierte, drangen auch an das Ohr des | |
| wenig am Genre Musical Interessierten. Schließlich lässt sich das Wissen | |
| über Rekorde wie „am längsten laufende Westend-Produktion nach ’Die | |
| Mausefalle‘ “ in so mancher Unterhaltung gut verwerten. | |
| Aber erst mit der Verfilmung steigt nun auch für die bisherigen „Les | |
| Misérables“-Ignoranten die Dringlichkeit, dem Werk Aufmerksamkeit zu | |
| schenken. Acht Oscar-Nominierungen sprechen da eine eigene Sprache, zumal | |
| die ganz reelle Aussicht besteht, dass zumindest einer der Hauptdarsteller | |
| – Ann Hathaway und/oder Hugh Jackman – eine Trophäe erhält; manche setzen | |
| gar darauf, dass sich „Les Misérables“ zwischen „Argo“ und „Lincoln�… | |
| der Verleihung am 24. Februar als lachender Dritter in der Kategorie Bester | |
| Film erweisen wird. | |
| Bei so viel Vorgeschichte ist Unvoreingenommenheit schwer. Wer sich trotz | |
| des unguten Vorgefühls ins Kino schleppt, dass das alles irgendwie zu viel | |
| ist, zu viel Stars, zu viel Gesang, zu viel 19.-Jahrhundert-Pathos, kann | |
| aber in Tom Hoopers Verfilmung auch einige erfreuliche Entdeckungen machen. | |
| ## Großes Elend, große Liebe | |
| Die erste: Die epische Geschichte um den entlassenen Sträfling Jean Valjean | |
| und seinen ewigen Widersacher, den Polizeiinspektor Javert, ist tatsächlich | |
| spannend. Victor Hugo hat in seiner Romanvorlage starke Reize gesetzt: | |
| großes Elend, große Gnade, große Liebe. | |
| Da ist die schreiende Ungerechtigkeit, mit der alles begann: Valjean wurde | |
| einst wegen eines gestohlenen Stück Brots für 15 Jahre ins Straflager | |
| geschickt. Da ist das unsäglich tragische Schicksal von Fantine, einer | |
| jungen Frau, die ins Elend der Prostitution absteigt, um ihr Kind zu | |
| versorgen. Später gibt es den unendlich traurigen Tod des frechen | |
| Straßenjungen Gavroche, der mit erwachsenen Revolutionären im Juni-Aufstand | |
| 1832 auf den Barrikaden in Paris kämpft. Und dazu stelle man sich vor: All | |
| das Elend wird besungen. | |
| Eine zweite Überraschung liegt darin, dass man all das Pathos dann doch | |
| ganz gut ertragen kann. Was auch mit dem sozialrevolutionären Elan | |
| zusammenhängen mag, der sich mit Liedprosa wie „Look down upon your fellow | |
| man!“ oder „We will not be slaves again!“ durch die Songs zieht. | |
| ## Ausgerechnet im Westend-Musical überlebt der Idealismus | |
| Wer hätte gedacht, dass der mit dem Fall der Mauer ganz aus der Mode | |
| gekommene Arbeiterbewegungsidealismus ausgerechnet in einem | |
| Westend-Musical, sozusagen in „splendid isolation“, überlebt? „Do you he… | |
| the people sing? Singing the song of angry men?“ Ja, es sind ein Paar echte | |
| Ohrwürmer dabei. | |
| Inszenatorisch spult der Regisseur Tom Hooper, den der große Erfolg seines | |
| Films „The King’s Speech“ vielleicht unverdient aus der relativen | |
| Anonymität eines TV-Regisseur-Daseins geholt hat, das erwartbare visuelle | |
| Bombastprogramm ab. Seien es die Armutsbehausungen, der Palast des Bischofs | |
| oder die verwinkelten Gassen des postnapoleonischen Paris – stets ist alles | |
| bis in den letzten Winkel ausgestattet und auf Epoche getrimmt. | |
| Halsbrecherische Kamerafahrten können das solchen Kostüminszenierungen | |
| inhärente Steife nur bedingt aufbrechen. | |
| Und dass Javert den Freitod nicht am Ufer der Seine, wie wir sie kennen, | |
| erwägt, sondern über einem gigantischen Wasserstrudel, der aus den | |
| Abenteuerreisen des Hobbit zu stammen scheint, ist nur eins von vielen | |
| Indizien dafür, dass hier oft zu viel gewollt wird. | |
| ## Überwältigende Darsteller | |
| Weniger als Überraschung denn als Überwältigung empfindet man am Ende den | |
| Auftritt der Darsteller. Sie allein sind es, die aus einem wenig | |
| inspirierten Film doch noch ein echtes Erlebnis machen. Hugh Jackman und | |
| Ann Hathaway beherrschen das Singen und gleichzeitige Schauspielern (der | |
| Gesang wurde „on set“ aufgezeichnet) mit ehrfurchtgebietender Präzision und | |
| Ausdruckskraft. | |
| Die „Jungen“, Amanda Seyfried als Cosette, Eddie Redmayne als Marius und | |
| besonders auch Aaron Tveit als Enjolras stehen ihnen darin nur wenig nach. | |
| Sacha Baron Cohen und Helena Bonham Carter machen in ihren | |
| grotesk-burlesken Zwischeneinlagen ebenfalls eine gute Figur. | |
| Bleibt allein Russell Crowe als Javert, der hier quasi öffentlich vorführen | |
| muss, wie limitiert seine Sangeskünste sind. Aber er tut es. Und man kann | |
| am Ende kaum anders, als ihn für diesen Mut zur Entblößung auch zu | |
| bewundern. Außerdem gilt wohl, dass man erst mit ihm als Kontrastfigur die | |
| Höchstleistungen der anderen so richtig schätzen lernt. | |
| ## | |
| 21 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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