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# taz.de -- Filmstart „Verliebte Feinde“: Die Frau jenseits des Laufgitters
> Iris von Roten stritt in der Schweiz für Gleichberechtigung und
> Frauenstimmrecht. Werner Schweizer und Katja Früh widmen ihr den Film
> „Verliebte Feinde“.
Bild: Polyamourös, bevor es das Wort gab: Iris von Roten (Mona Petri) und, ver…
Im Grunde reicht eine Jahreszahl, um das Interesse an diesem Film zu
wecken: 1971, dieser ungeheuerliche, heute nur noch basses Staunen und
Kopfschütteln hervorrufende späte Termin, an dem die Schweiz das allgemeine
Stimm- und Wahlrecht für Frauen einführte.
In „Verliebte Feinde“ wird dieses glorreiche Datum gar nicht erst genannt,
stattdessen bringt der Film die Zeit davor in Erinnerung, die langen
Jahrzehnte, in denen mit den reaktionärsten und irrationalsten Argumenten
(„Die Frau, dieser Knalleffekt der Natur, wie Schopenhauer sagt, steht in
ihrer anatomischen Entwicklung dem Kinde näher als dem Mann!“) den
Schweizer Frauen die demokratische Mitbestimmung verweigert wurde.
Inmitten dieser mit dem Gerede von Naturrecht und „Mutterschaft als
göttlicher Bestimmung“ betonierten Intoleranz aber gab es eine Frau, die
privat und politisch, in ihrer Lebensweise und ihrem Schreiben, ihrer
missbilligenden Umwelt zum Trotz auf radikale Gleichberechtigung bestand.
Ihr Name war Iris von Roten, und wer „Verliebte Feinde“ gesehen hat, wird
noch vor jeder Bewertung zustimmen: Es war höchste Zeit, dass über sie mal
ein Film gemacht wurde.
## Sündenbock für alle
Im Jahr 1971 wurde Iris von Roten, die Frau, die im Zentrum des Films von
Werner Schweizer und Katja Früh steht, 54 Jahre alt. Wenn man den Quellen
glauben kann, dann hat sie sich persönlich zu dem Zeitpunkt nicht mehr für
die Frauenbewegung interessiert. Das Interesse war ihr vergangen, als sie
nach der gescheiterten Abstimmung über die Einführung des Frauenstimmrechts
von 1959 erleben musste, wie sie zum Sündenbock für alle Seiten wurde.
Wenige Monate vor dem Urnengang, an dem die Schweizer Männer allein darüber
entscheiden sollten, ob zukünftig auch Frauen mitstimmen dürfen, war Iris
von Rotens Buch „Frauen im Laufgitter“ erschienen. Es war eingeschlagen wie
eine Bombe. Von Rotens Ansichten über Hausarbeit (in der sie eine
Versklavung der Frau sah), Kindererziehung (die sie vergesellschaftet haben
wollte) und Ehe (deren Exklusivität sie infrage stellte) lösten in der
biederen Schweiz atemlose Entrüstung aus.
Die Basler Nachrichten rezensierten das Buch mit den Worten: „Man kann als
Frau nicht hingehen und ein Buch von 564 Seiten schreiben, in dem man
unentwegt erbittert gegen die Männerwelt vom Leder zieht.“ Iris von Roten
hatte es gekonnt und getan – und musste sich anschließend sogar von
Frauenverbänden vorwerfen lassen, die Männer damit so verschreckt zu haben,
dass diese mit Zweidrittelmehrheit gegen das Frauenstimmrecht entschieden.
## Spielszenen udn Dokumentarmaterial
„Verliebte Feinde“ zeigt die Ereignisse von damals in der Dopplung von
Spielszenen und Dokumentarmaterial, die sowohl den Reiz als auch die
Irritation des Films ausmachen. In der Spielszene sieht man Mona Petri, die
Iris von Roten als bildschöne, zarte, aber eigenwillige Blondine
verkörpert, in einer Runde am Tisch mit lauter streng schauenden Damen
mittleren bis älteren Semesters sitzen.
Sie alle haben einen Band von „Frauen im Laufgitter“ vor sich liegen. Das
mit der Sexualität, also sie wisse schon, freie Liebe und so, das gehe doch
nicht, heißt es. Man müsse sich von diesem Werk distanzieren – im Interesse
des Frauenwahlrechts, auf das man sich konzentriere. Iris rennt daraufhin
hinaus und bricht im Flur in einen bitteren Weinkrampf aus.
Im Anschluss sieht man die Theologin Marga Bührig, eine Aktivistin der
Frauenbewegung seinerzeit, im Interview: Sie denke heute, dass Iris von
Roten damals bitteres Unrecht geschehen sei. Weitere Archivaufnahmen zeigen
den Basler Fasnachtsumzug von 1959, auf dem von Roten zur Zielscheibe
verunglimpfender Verkleidungen und Karikaturen wurde. Weitere Zeitzeugen
erzählen, wie schlimm diese Reaktionen von Roten getroffen hätten. Mit der
Frauenbewegung hat sie daraufhin gebrochen. 1960 setzte sie sich in ihren
Fiat 600, um alleine ein halbes Jahr lang durch die Türkei zu fahren.
## Offene Beziehung mit dem Ehemann
So krude die Zusammenstellung von Spielfilmszenen, Zeitzeugeninterview und
Archivmaterial in „Verliebte Feinde“ oft ist, so schnell wird auch klar,
warum die Filmemacher diese Mischform wählten: das Leben von Iris von Roten
enthält einfach zu viele divergierende, interessante Aspekte, als dass man
es in eine „ästhetisch reine“ Form bringen könnte. Selbst das im Titel
„Verliebte Feinde“ ja angekündigte Vorhaben, Iris von Roten in erster Linie
im Spiegel ihrer problematischen Beziehung zu ihrem Ehemann Peter zu
betrachten, hält der Film nicht wirklich durch.
Die tolle Liebesgeschichte zwischen einer forschen, schon mit 20 dem
Konzept der freien Liebe anhängenden Protestantin und einem konservativen
Katholiken aus adligem Haus bildet zwar den Erzählbogen des Films, und die
Zitate aus den Briefen, die das Ehepaar sich auch über Trennungen und
andere Liebschaften hinweg schrieb, sind seine wichtigsten Stimmen. Auch
der von Fabian Krüger dargestellte Peter glänzt in seiner Wandlung vom
braven Sohn aus stockkonservativen Verhältnissen zum libertinären
Unterstützer seiner Frau.
Aber es ist Iris, und zwar in all ihren Inkarnationen – sei es die
glamouröse von Mona Petri in den Re-Enactments, die ungeschminkte Frau auf
den Fotos oder die Autorin der klaren, oft bissigen Zeilen –, die alles
überstrahlt. Mit ihrer Lebendigkeit, ihrem Starr- und Eigensinn, ihrer
radikalen Unangepasstheit. Man möchte nach dem Film noch viel mehr über sie
wissen.
## ■ „Verliebte Feinde“. Regie: Werner Schweizer und Katja Früh. Mit Mona
Petri, Fabian Krüger u. a., Schweiz 2012, 108 Min.
2 May 2013
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Film
Feminismus
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