# taz.de -- Boris Palmer über „Mohrenköpfle“: „Bei Rassismus denke ich … | |
> Tübingens OB findet den Begriff nicht rassistisch. Viele würden dabei nur | |
> an eine Süßspeise denken. Der Streit um Worte lenke von weit | |
> gravierenderen Problemen ab. | |
Bild: Hell und dunkel: Schokoküsse in einer Fabrik | |
taz: Herr Palmer, in Tübingen gab es Streit, weil ein Konditor seine | |
Süßspeise „Mohrenköpfle“ genannt hatte. In Ihrer Region ist dieser Ausdr… | |
verbreitet, in Berlin wäre das undenkbar. Gehen die Uhren in der Provinz | |
anders? | |
Boris Palmer: Im Schwäbischen hört sich das sicher anders an. Aber ich | |
verstehe, dass sich auch bei uns Menschen dadurch verletzt fühlen. Sie sind | |
in mein Büro gekommen und haben mir das eindrücklich geschildert. Das ist | |
für mich Grund genug, den Begriff nicht mehr zu verwenden. Ich rate aber | |
dringend davon ab, beim „Mohrenköpfle“ von Rassismus zu sprechen. Das füh… | |
nicht zu gegenseitigem Verständnis, sondern zu Gegenwehr. | |
Ist der Begriff nicht rassistisch? Man kann rassistische Begriffe im Munde | |
führen, ohne sich dessen bewusst zu sein. | |
In der Debatte wird da leider nicht immer so fein differenziert. Wenn ein | |
Begriff für viele, die ihn verwenden, keine rassistische Bedeutung hat, | |
muss es doch auch eine Rolle spielen, wie er gemeint ist. Deshalb finde ich | |
es falsch, gleich von Rassismus zu sprechen. | |
Warum? | |
Weil das Rassimus bagatellisiert und von weit gravierenderen Problemen | |
ablenkt, etwa von Polizeikontrollen nach Hautfarbe. Jemandem Rassismus zu | |
unterstellen ist, gerade in Deutschland, ein sehr harter Vorwurf. Wenn ich | |
Rassismus höre, dann denke ich an Mengele. | |
Rassismus fängt ja nicht erst beim Massenmord an. Und gerade die Grünen | |
haben doch immer viel Wert auf Sprache gelegt – und so zum Beispiel | |
erfolgreich dazu beigetragen, das man heute nicht mehr von Ausländern | |
spricht, sondern von Einwanderern. War das falsch? | |
Nein. Sprache bestimmt das Bewusstsein. Sicher war es richtig, dass | |
Feministinnen darauf gepocht haben, dass Frauen in unserer Sprache | |
gleichberechtigt vorkommen. Heute reden wir ganz selbstverständlich auch | |
von Ministerinnen und Geschäftsfrauen. Die Methode hat aber Grenzen. Das | |
große Binnen-I dagegen hat sich nicht durchgesetzt – auch in der taz nicht! | |
Deswegen kann man doch nicht behaupten, dass in der taz nur Machos | |
schreiben. | |
Sie haben kritisiert, Teile Ihrer Partei würden „den Kampf für Minderheiten | |
mit einem Kampf gegen Mehrheiten verwechseln“. Sollen die Grünen nur für | |
Dinge eintreten, die bei einer Mehrheit populär sind? | |
Nein. Wer gesellschaftlichen Wandel will, muss dafür kämpfen. Mehrheiten zu | |
bekämpfen finde ich aber falsch. Das ist eine Frage des Habitus – wie ich | |
auf die Mehrheit zugehe, die ich überzeugen will. Wenn ich denen sage, die | |
sind eh alle Rassisten, dann machen die zu. | |
In Süddeutschland wurden bestimmte Feuerwerksknallkörper im Volksmund lange | |
Zeit als „Judenfurz“ bezeichnet. Heute ist das tabu. Haben Politiker nicht | |
die Aufgabe, aktiv am Sprachwandel mitzuwirken? | |
Ja doch. Ich sehe aber einen Unterschied zwischen diesen Begriffen. Ein | |
„Judenfurz“ ist in keinem Kontext neutral. Im Sprachgebrauch vieler | |
Menschen ist ein Mohrenkopf dagegen einfach nur eine Süßspeise, bei der man | |
auch nicht entfernt an Menschen dunkler Hautfarbe denkt. | |
Müssen sich Minderheiten andere Parteien suchen, wenn sie Schutz vor | |
diskriminierender Sprache suchen? | |
Im Gegenteil. Ich rate nur dazu, Minderheitenanliegen so vorzutragen, dass | |
man Menschen überzeugt, statt sie vor den Kopf zu stoßen. Deshalb kann es | |
besser sein, nicht jeder Erwartungshaltung zu entsprechen – auch wenn sie | |
von einer Minderheit kommt, für die man sich einsetzt. Allein meine | |
Weigerung, den Begriff komplett zu ächten, wurde mir so ausgelegt, als | |
würde ich mich mit Rassismus gemein machen. Aber der besagte Konditor sucht | |
jetzt einen neuen Namen für sein Produkt. Ich finde, dabei kann man es | |
belassen. | |
25 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
Daniel Bax | |
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Schwerpunkt Rassismus | |
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Boris Palmer | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Sharon Dodua Otoo | |
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