| # taz.de -- Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Ich sitze in der erste… | |
| > Die Souffleuse: Am Maxim Gorki Theater kennt sie jeder. Doch die | |
| > Zuschauer übersehen Bärbel Kleemann, obwohl sie zwischen ihnen sitzt. | |
| Bild: „Die Unsichtbaren“ – Protokolle der taz zum Internationalen Frauent… | |
| Mein Platz ist immer in der ersten Reihe. Das Maxim Gorki Theater in | |
| Berlin, an dem ich arbeite, geht offensiv mit der Sichtbarkeit um und | |
| versteckt mich als Souffleuse nicht. Trotzdem werde ich – außer auf den | |
| Plätzen um mich herum – nur selten wahrgenommen. | |
| Aber es gibt Ausnahmen. Häufig erlebe ich Besucher neben mir, die sich | |
| regelrecht anstrengen, den Text in meinem Buch mitzulesen. Ich gebe dann | |
| mit Blicken zu verstehen, dass mir das nicht recht ist und bedeute ihnen, | |
| doch besser das Geschehen auf der Bühne zu verfolgen. | |
| Souffleuse scheint ein Beruf zu sein, von dem wenig bekannt ist. Oder nur | |
| recht antiquierte Ideen existieren. Es gibt Zuschauer, ob jung oder alt, | |
| die gehen jahrelang ins Theater und wissen, dass es Souffleusen gibt. | |
| Aber wenn sie mich entdecken, fragen sie mich, warum ich nicht in der | |
| Muschel sitze. Ich frage dann zurück, in welchem Theater sie in diesen | |
| Tagen eine Bühnenmuschel gesehen haben. | |
| Wenn der Vorhang fällt, bin ich für viele Zuschauer oft die erste sichtbare | |
| Ansprechpartnerin des Theaters. Einfach nur, weil ich in der ersten Reihe | |
| und damit mitten im Publikum sitze. Manche Gäste laden ihren Unmut über das | |
| Stück oder die Schauspieler bei mir ab. | |
| Aber ich hatte auch schon schöne Erlebnisse mit dem Publikum. Es gibt | |
| Besucher, die sich jede Inszenierung ansehen, mit denen ich über Jahre | |
| immer wieder ins Gespräch gekommen bin. Ich freue mich, wenn ich sie sehe. | |
| Sie freuen sich, wenn ich da bin. | |
| ## Erst Grafikerin | |
| Souffleuse wurde ich erst im Laufe meines Leben, jetzt bin ich 63 Jahre | |
| alt. Eigentlich bin ich gelernte Grafikmalerin. 1984 habe ich am Maxim | |
| Gorki Theater angefangen und damals zusammen mit zwei Kollegen die Werbung | |
| fürs Haus gemacht. Wir haben damals handwerklich gearbeitet, große | |
| Werbeflächen wurden von Hand beschriftet und bemalt. | |
| Nach der Wende bot man mir eine Stelle als Grafikerin an. Aber so ab 2006 | |
| wurde mir klar, dass dieser Beruf für mich durch ist, er stimmte nicht | |
| mehr. Ich spürte Unruhe in mir und wollte etwas Neues wagen. Am Haus wollte | |
| ich unbedingt bleiben. Als Souffleuse? Soll ich das machen? | |
| Ich habe lange darüber nachgedacht und mich mit Theaterfreunden beraten. | |
| Und dann hab ich es gemacht. Seit fast sieben Jahren bin ich jetzt | |
| Souffleuse. Ob ich sichtbar oder unsichtbar bin, spielte zunächst überhaupt | |
| keine Rolle. Ich würde nie sagen, dass ich unsichtbar bin, eher, dass ich | |
| im Verborgenen arbeite. | |
| Bereut hab ich meinen Schritt nie. Aber es ist ein Unterschied, ob ich | |
| administrativ am Theater arbeite oder direkt an einer Inszenierung | |
| mitwirke. Die Arbeit bereichert mich. | |
| ## Aufarbeitung der Vergangenheit und der Blick auf das Jetzt | |
| Ich habe das Glück, mit wunderbaren Schauspielern zu arbeiten. Die Themen | |
| und Inszenierungen von Armin Petras, der noch bis zum Sommer hier Intendant | |
| ist, sind mir sehr nah. Aufarbeitung der Vergangenheit und der Blick auf | |
| das Jetzt, das interessiert mich, da bin ich ganz dabei. | |
| An diesem Prozess beteiligt zu sein, kann gleichermaßen ausfüllen und | |
| belasten, kann beglücken oder tief unglücklich und ratlos machen. Aber wenn | |
| ich spüre, jetzt sind wir auf dem richtigen Weg, bin ich jedes Mal froh und | |
| erleichtert. Dann werden die Träume in der Nacht wieder ruhiger. | |
| Wer denkt, dass ich nur zu den Vorstellungen im Theater auftauche, der irrt | |
| gewaltig. Den Großteil meiner Arbeit machen die Proben aus, bei denen ich | |
| sechs bis acht Wochen lang fast jeden Tag im Theater bin und die | |
| Schauspieler unterstütze. | |
| Während der ersten Proben sind sie noch nicht textsicher, manchmal länger | |
| nicht, weil sich die Texte bis zur Premiere ändern können. Das heißt, ich | |
| gebe den Schauspielern die Texte rein und sie arbeiten damit. Das ist eine | |
| hochkonzentrierte Phase, immer eng am Geschehen. Vor sich hin träumen ist | |
| da nicht drin. | |
| Diese Probenzeit ist so wichtig, weil hier das Verständnis für das Stück | |
| entsteht. Oft reden wir mit Fachleuten über bestimmte Themen, | |
| beispielsweise über historische oder medizinische Details, um die genau | |
| rüberzubringen auf der Bühne. Das sieht man auf der Bühne vielleicht nicht | |
| in jedem Fall, aber es trägt zur Überzeugung bei. Dass ich auf diesem Weg | |
| dabei bin, macht mich zum Teil des Ganzen – und damit sichtbar. | |
| ## Ein Fingerschnipp | |
| Durch die lange Probenzeit geht mir der Rhythmus einer Inszenierung ins | |
| Blut über, das ist mein Rüstzeug für die Premiere und die laufenden | |
| Vorstellungen. Erscheint mir eine Sprechpause zu lang, gehe ich in | |
| Habachtstellung. Es gibt Verabredungen mit den Schauspielern, dass sie mir | |
| mit einem direkten Blick oder mit einem Fingerschnipp signalisieren: Jetzt | |
| musst du. Sonst niemals! | |
| Während der Vorstellungen bin ich für die Schauspieler immer sichtbar und | |
| unsichtbar zugleich, ich bin eine psychologische Stütze. Ein Texthänger | |
| kann jederzeit passieren, echte Blackouts kommen so gut wie nicht vor. In | |
| sieben Jahren habe ich das nur ein oder zweimal erlebt. | |
| Aber ich verlasse mich nicht darauf, dass eine Vorstellung ein Selbstläufer | |
| ist. Da stehen Menschen auf der Bühne, ihnen kann immer etwas passieren. | |
| Ich selbst wollte nie als Schauspielerin auf der Bühne stehen. Die Bühne | |
| ist für mich eine Grenze, man sollte sie einhalten, und ich erfülle jetzt | |
| als Souffleuse meine Aufgabe. Man könnte auch sagen, dass ich die | |
| gründlichste Zuschauerin einer Inszenierung bin. Ich merke oft bereits in | |
| den ersten Minuten, ob es ein guter Abend wird oder nicht. | |
| Ob der Funke von oben nach unten oder umgekehrt überspringt, ist | |
| entscheidend. Wenn der stimmt, wird der Abend toll. Dass die Zuschauer | |
| schon ab der dritten Reihe nicht mehr mitbekommen, dass ich vorn in der | |
| ersten sitze – gut so. | |
| In anderen Ländern sind Souffleusen mittlerweile abgeschafft – der Beruf | |
| ist eben verkannt. Das wird bald auch an deutschen Häusern so sein. Weil | |
| das Geld fehlt, gibt es auch am Gorki Theater in den kleinen | |
| Studioproduktionen keine Souffleuse mehr. Am großen Haus sind wir zurzeit | |
| noch zu zweit. Aber vielleicht denken die Zuschauer auch dann noch, dass | |
| wir hinter den Kulissen sitzen, wenn es uns gar nicht mehr gibt. | |
| 8 Mar 2013 | |
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