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# taz.de -- Interview mit Fluglärmgegnerin: "Flüge in Wildwest-Manier"
> Marela Bone-Winkel stand beim Kampf gegen die BER-Flugrouten in der
> ersten Reihe. Nun kümmert sie sich auch in Tegel um den Lärmschutz.
Bild: Klare Botschaft - nun auch für Tegel.
taz: Frau Bone-Winkel, eine der ersten Amtshandlungen von Hartmut Mehdorn
als neuer BER-Chef war die Forderung, den Flughafen Tegel offen zu lassen.
Wie fanden Sie das?
Marela Bone-Winkel: Jemand hat mal gesagt, man müsse sich mit Blick auf die
Berliner Flughäfen immer das Schlimmste ausdenken. Das tritt dann ein. Es
macht einen schon sprachlos, was da passiert.
Steht denn ein Weiterbetrieb von Tegel wirklich zur Debatte?
Fakt ist, dass Tegel noch Jahre offen bleibt. Aber der
Planfeststellungsbeschluss erlaubt ja den neuen Flughafen nur, wenn die
anderen geschlossen werden. Den anzufechten werden sie wohl nicht wagen.
Das würde man nie mehr so genehmigt bekommen.
Sie haben den Fluglärmprotest am BER mit initiiert. Der öffnet nun am
Sankt-Nimmerleins-Tag, und bis dahin jagen die Airlines so viel wie möglich
über Tegel raus. Jetzt sind Sie in die Tegeler Fluglärmschutzkommission
berufen worden. Da gibt es viel zu tun, oder?
Allerdings. Zum Beispiel ist sicher, dass die dort geltenden Flugrouten
nicht genutzt werden. Es wird in Wildwestmanier kreuz und quer über Berlin
geflogen. Das kann man vielleicht eine kurze Zeit lang aushalten, aber da
Tegel nun länger aufbleibt, muss man aktiv werden.
Wie?
Zuerst, indem man öffentlich macht, dass hier offiziell festgelegte Routen
missachtet werden, um mehr Flugzeuge rausschicken zu können. Dabei gibt es
sogar das „Tegeler Modell“, das unter bestimmten Umständen vorschreibt, die
Flugrouten länger einzuhalten als sonst. Warum wird das missachtet? Das
muss die Flugsicherung begründen.
Nach dem BER-Debakel wurde der Flugplan in Tegel ausgeweitet. Die
Fluglärmschutzkommission hat das gebilligt. Auf welcher Grundlage
eigentlich?
Es gibt eine Ausnahmegenehmigung. Die Fluggesellschaften haben nun mal ein
Recht darauf, das Kontingent an Flügen abzuwickeln, das ihnen zugesagt
worden ist. Und den Sommerflugplan 2012, der noch für den BER geplant war,
hätten sie einklagen können. Der musste also gewährleistet werden. Aber
jetzt gilt es zu unterbinden, dass die Ausnahme zur Regel wird.
In Tegel galt früher Nachtruhe ab 23 Uhr – bis auf Postflüge.
Das wurde auf 23.30 Uhr ausgedehnt und mit Ausnahmegenehmigung auch darüber
hinaus. Wenn das noch weiter aufgeblasen wird, fragt man sich, warum man
nicht frechweg rund um die Uhr fliegt. Tegel bewältigt inzwischen das
dreifache Fluggastaufkommen der ursprünglichen Planung. Das muss auf der
Lärmschutzseite unbedingt abgefedert werden.
Warum spielt dieses Thema für die Politiker und in den Medien keine Rolle?
Weil man auf die Anhörungsrechte in Berlin und Brandenburg keinen Wert
gelegt hat. Lärm hat man hinzunehmen, ist die Botschaft. Lärmschutz wird
als Luxusproblem abgetan. Das sieht man auch an Tegel. Hier müsste es
Umweltverträglichkeitsprüfungen geben. Gibt es aber nicht.
In Brandenburg bekommen die Häuser Lärmschutz, rund um Tegel nicht. Wieso
nicht?
Man ignoriert den Lärmschutz, indem man sagt: Ach, ist doch nur ein
bisschen länger, nur noch ein paar Monate. Und noch ein paar Monate. Diese
Salamitaktik muss aufhören.
Wen vertreten Sie jetzt eigentlich in der Tegeler Fluglärmschutzkommission?
Ich sitze dort für die Bundesvereinigung gegen Fluglärm. Und meine Aufgabe
ist es, das tatsächliche Ausmaß der aktuellen Probleme offenzulegen. Wie
oft wird das Nachtflugverbot verletzt? Wie hoch ist die Lärmbelastung
wirklich? Wie lange soll das anhalten? Bald kommt der Sommerflugplan, und
von der Politik heißt es immer nur: Wir müssen doch, man kann doch nicht.
Im Moment sind viele gesetzliche Vorgaben ausgehebelt. Wenn sich die
Fluggesellschaften an die gültigen Routen hielten, ergäbe das automatisch
eine Beschränkung der Flugbewegungen. Und sehr schnell tauchte die Frage
auf, ob man Flüge nach Schönefeld-Alt verlagern kann und muss.
Die Politiker argumentieren, Sie hätten keine Handhabe gegen die
Fluggesellschaften.
Ja, im Moment ducken sich alle nur weg. Aber man muss den Politikern
darlegen, welche Lärmschutzmaßnahmen auf sie zukämen, wenn man eine
richtige Informationslage über die Lärmbelastung hätte. Dann könnte der
eine oder andere schnell seine Meinung revidieren. Und man müsste fragen,
wie sicher dieses Kreuz-und-quer-Gefliege ist. Es gibt Experten, die das
für riskant halten. Ich will nicht sagen, dass Tegel ein unsicherer
Flughafen ist, aber es hat zuletzt relevante Zwischenfälle gegeben.
Vom Fluglärm rund um Tegel sind extrem viele Menschen betroffen. Wie wirkt
sich das auf die Gesundheit aus?
Dazu gibt es Studien. Es ist davon auszugehen, dass durch das Nachtfliegen
ein ständiger Weckreiz entsteht, der Herz-Kreislauf-Probleme nach sich
zieht. Es ist auch erwiesen, dass es bei Kindern zu Lernstörungen kommt.
Die Kosten, die das verursacht, muss die Gesellschaft tragen, für die
haftet niemand persönlich. Den Fluggesellschaften sind sie schlicht und
einfach egal.
Es gibt aber auch ökonomische Folgen: Leute haben Wohneigentum in Pankow,
Reinickendorf oder Spandau gekauft, weil sie davon ausgingen, dass Tegel
vor der Schließung steht.
Ja, da gibt es einen Wertverlust. Und es ist bemerkenswert, dass man den
völlig entschädigungsfrei und anhörungsfrei hinzunehmen hat. Weder in Tegel
noch am BER gibt es einen Vertrauensschutz. Den einen hat man gesagt: Keine
Sorge, über euch verlaufen die Routen nicht. Bei den anderen hieß es: Der
Flughafen wird zugemacht. Auf so was muss man sich verlassen können. Es war
eine offizielle Auskunft, dass Tegel geschlossen wird, das erfuhr man nicht
am Stammtisch. Und wenn das Recht auf Vertrauensschutz und
Planungssicherheit verletzt wird, werden demokratische Grundrechte
verletzt.
Werden denn die Standards für Lärmschutz, die jetzt in Tegel gesetzt
werden, später auch für den BER maßgeblich sein?
Die Schallschutzmaßnahmen am BER sind höher. Die Schutzziele sind im
Vergleich zu anderen Flughäfen relativ hoch. In Tegel ist das alles
ausgehebelt. Da ist einfach alles so, weil es immer so war. Einer
detaillierten Nachprüfung würde es nicht standhalten. Das Problem ist: Man
kann nur die Flugrouten beurteilen, nicht den tatsächlichen Lärm. Darin
stecken ein gewolltes Versagen des Systems und ein gewisser Freifahrtschein
für die Airlines. Im Grunde müsste man Fluggesellschaften belohnen, die
sich an die Routen halten.
Und solange das keine Option darstellt?
Mein erstes Ziel ist: offenlegen, dass die bestehenden Routen Makulatur
sind. Das lässt ja auch Rückschlüsse zu, wie die Verantwortlichen mit den
BER-Routen umzugehen gedenken.
14 Mar 2013
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Flughafen
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Fluglärm
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
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