# taz.de -- Rechte der Hausangestellten in Brasilien: Abschied von der Privatsa… | |
> In Brasilien bekommen die Hausangestellten mehr Rechte. Der Senat stimmt | |
> am Dienstag darüber ab. Der Mittelstand sucht bereits nach | |
> Schlupflöchern. | |
Bild: Globaler Spitzenwert: Sieben Millionen Hausangestellte gibt es in Brasili… | |
RIO DE JANEIRO taz | Wenn sie abends alle zusammen auf dem Sofa sitzen, ist | |
Telenovela-Zeit. Dann essen alle Popcorn, schimpfen über untreue Liebhaber | |
oder verwöhnte Töchter. Wird in der Fernsehserie eine Braut vor dem Altar | |
sitzengelassen, dann werden die Taschentücher rausgeholt. Nur nicht bei | |
Angélica. Während die Familie schluchzt, schmunzelt sie. Sie ist die | |
Hausangestellte, hat im Alter von vierzehn Jahren das erste Mal geheiratet | |
und nie Glück gehabt. Mit der jungen Braut hat sie kein Mitleid. Manche | |
Unterschiede bleiben. Trotz Popcorn, Sofa und [1][Novela]. | |
Angélica ist eine empregada doméstica, eine Hausangestellte, in Brasilien | |
[2][ein weit verbreiteter Beruf]. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es mehr | |
Hausangestellte als in dem südamerikanischen Land, sieben Millionen sind es | |
derzeit. Sie stellen acht Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse. | |
Nach jahrelangen Auseinandersetzungen wird nun eine Verfassungsänderung | |
beschlossen, die ihnen die gleichen Rechte zugesteht wie anderen | |
Berufsgruppen, also zum Beispiel bezahlte Überstunden und einen besseren | |
Kündigungsschutz. In der Debatte im brasilianischen Senat wurden die | |
Änderungen sogar mit dem Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei 1888, dem Lei | |
Áurea, [3][verglichen]. Viele Arbeitgeber fürchten um „ihre“ doméstica. | |
Angélica ist hoch gewachsen, hat krauses schwarzes Haar und dunkelbraune | |
Haut. Sie ist bei Familie Souza seit über zehn Jahren angestellt. In deren | |
Vierzimmerwohnung macht sie den Haushalt. Die Souzas leben in einer | |
Appartment-Wohnanlage. Sie sind keine Großverdiener: der Vater ist | |
Musikschullehrer, die Mutter arbeitet als Bürokraft in einem | |
Erdölunternehmen. | |
## Der Tag beginnt um vier Uhr morgens | |
Dennoch haben sie, wie fast alle ihre Bekannten auch, eine Hausangestellte. | |
Die wohnt in Duque de Caxias, einer Stadt auf der anderen Seite von Rio de | |
Janeiro. An zwei Tagen in der Woche steht sie um vier Uhr morgens auf, | |
nimmt den Bus um fünf und ist um halb acht in der Wohnung der Souzas. Die | |
Familienmitglieder sind dann meistens schon unterwegs zur Arbeit oder in | |
die Schule. | |
Angélica schlüpft in ein bequemes T-Shirt und in ihre Flipflops. Sie | |
beginnt damit, das stehen gelassene Geschirr von zwei Tagen einzuweichen. | |
Anschließend setzt sie die erste Waschmaschine an und putzt die Bäder und | |
das Wohnzimmer. Auf dem Parkett im Wohnzimmer trägt sie ein übel riechendes | |
Wachs auf, das sie später, auf Knien, wieder wegpoliert. | |
„Niemand will Hausangestellte werden, davon träumt man nicht. Meine Mutter | |
war auch schon eine und hat sich sicher was anderes für mich gewünscht“, | |
sagt Angélica. Eine doméstica zu haben, hat in Brasilien Tradition. Es ist | |
ein Arbeitsverhältnis, das schon zu Kolonialzeiten existierte als | |
afrobrasilianische Hausmädchen in den Herrenhäusern der weißen, meist | |
portugiesischen Bevölkerung putzten oder die Kinder großzogen. | |
Während die Wäsche im Trockner ist, beginnt Angélica mit dem Kochen und | |
erzählt von ihrer Kindheit. Mit vierzehn hat sie die Schule abgebrochen, | |
kurz danach geheiratet. Ihr erstes Kind starb noch im Säuglingsalter. Für | |
ihre anderen beiden Kinder hatte sie selten Zeit. Oft halfen Verwandte aus, | |
weil Angélica zur Arbeit musste. Heute wird sie die Mahlzeiten für zwei | |
Tage vorbereiten und anschließend einfrieren. Reis und braune Bohnen, das | |
brasilianische Nationalgericht ist praktisch immer dabei. Der Nachmittag | |
vergeht mit Bügeln und Bettbeziehen. | |
## Hausmädchen-Kammer | |
Um fünf Uhr abends verlässt Angélica die Wohnung wieder, noch bevor ihre | |
Arbeitgeber zurück sind. Wenn alles gut läuft, ist sie um halb acht wieder | |
zu Hause. Nur ab und zu, wenn sie den dichten Feierabendverkehr fürchtet, | |
schläft sie in der Hausmädchen-Kammer und verbringt dann den Abend mit | |
Familie Souza, zum Beispiel auf der Couch vor dem Fernseher. | |
Tatsächlich haben die Familien der eher hellhäutigen brasilianischen | |
Mittelschicht ein sehr inniges Verhältnis zu ihren meist | |
afrobrasilianischen Hausangestellten. Angélica und die Souzas besprechen | |
privateste Probleme, das Hausmädchen wird zu den Geburtstagsfeiern der | |
Kinder eingeladen (umgekehrt natürlich nicht). Früher wurden die Kinder in | |
nicht wenigen Familien vom Hausmädchen gestillt und großgezogen. Noch heute | |
reden viele Brasilianer mit mehr Begeisterung über die Beziehung zu ihrer | |
doméstica als über die zur eigenen Mutter. | |
Auch Maria de Souza hat ein gutes Verhältnis zu ihrer Angestellten | |
Angélica:„Nach so vielen Jahren, da lernt man sich gut kennen. Du musst | |
nicht mehr sagen, was du willst. Diejenige weiß, was du willst.“ Sie hat | |
ihrer Angestellten auch schon Geld geliehen, wenn es eng wurde. Angélica | |
hört zu und kennt die geheimen Probleme der Kinder. Manchmal vermittelt sie | |
sogar, wenn es unter den Eheleuten Streit gibt. Angélica gehört zur Familie | |
Souza – mehr als das in einer deutschen Familie vorstellbar wäre. | |
In der brasilianischen Gesellschaft spielt die doméstica eine wichtige | |
Rolle. Sie gehört zum guten Ton. Da die volkswirtschaftlichen Indikatoren | |
für Wohlstand über Jahrzehnte hinweg schwankten, gibt es in Brasilien zum | |
Erkennen des gesellschaftlichen Status andere, feinere Unterschiede. Die | |
Möglichkeit, körperliche Arbeit an andere abgeben zu können, zum Beispiel. | |
Wer sich ein Hausmädchen, einen Portier, einen Gärtner oder einen | |
Autowäscher leisten kann, der gehört in Rio zu den oberen Schichten. Dies | |
schafft einen enormen Arbeitsmarkt für ungelernte Arbeitskräfte. | |
## Rassismus? „Klassenunterschiede“! | |
„Das System hängt davon ab, dass Hausarbeit die am schlechtesten bezahlte | |
Arbeit sein muss, damit sie sich auch die Ärmsten der oberen Schichten | |
leisten können – ein unverzichtbares Kennzeichen des Lebens der | |
Mittelschicht“, beschreibt die Soziologin Donna M. Goldstein diesen | |
Zusammenhang. Nur so gehört man dazu – und nicht zur „bedienenden Klasse�… | |
In Brasilien existiert kein Rassismus, zumindest in der Meinung der meisten | |
Brasilianer. Sie sehen Brasilien als ein Land der „Mischung“, anders als | |
etwa Südafrika oder die USA, wo Rassenunterschiede sogar gesetzlich | |
festgeschrieben wurden. In Brasilien gab es solche Gesetze nie. Wer von | |
Rassismus spricht, wird korrigiert, es handele sich um | |
„Klassenunterschiede“, die vielleicht mit unterschiedlichen Hautfarben | |
korrelierten. | |
Zwar gehören die Souzas schon länger zur Mittelschicht und mögen ihre | |
doméstica sehr, aber dass bedeutet nicht, dass sie ihre Hausangestellte | |
fair bezahlen würden. „Mein Arbeitstag hat heute 14 Stunden und ich | |
verdiene ungefähr anderthalb Mindestlöhne. Am Ende des Monats bleiben mir | |
800 Reais“, das sind umgerechnet etwa 310 Euro. | |
Aber Angélica will sich nicht beschweren: „Mit meinen Arbeitgebern habe ich | |
großes Glück. Früher hatte ich Arbeitgeber, die mochten es, uns zu | |
erniedrigen. Da durfte man dann im Bad zum Händewaschen nur die billige | |
Seife verwenden. Man durfte bestimmte Gläser nicht benutzen oder musste | |
Brot essen, wenn es Kuchen gab. Auf so etwas wurde dann geachtet.“ | |
## „Für manche existieren wir gar nicht“ | |
Auch in der Luxus-Wohnanlage der Familie Souza erlebt man das, wenn man mit | |
Angélica unterwegs ist. Während sie alle mit einem freundlichen Lächeln | |
grüßt, geht ein älterer Herr wortlos an ihr vorüber. „Für manche existie… | |
wir gar nicht.“ Solche Vorbehalte zeigen sich sogar in der Architektur. | |
Die Wohnung der Souzas verfügt über ein separates Zimmer für die doméstica, | |
das man über einen separaten Hintereingang erreicht. Es gibt alles doppelt: | |
einen eigenen Flur, eigenen Fahrstuhl, sogar einen eigenen Hauseingang, | |
offiziell „Service-Eingang“ genannt. | |
Die Lebensbereiche der „bedienenden“ und der „bedienten“ Klasse werden … | |
voneinander getrennt gehalten. Seit über fünfzig Jahren baut man in | |
Brasilien Apartmentblöcke auf diese Art und Weise. Für die Hausherrin Maria | |
bedeutet es einfach „etwas mehr Privatheit“. | |
Die jüngst beschlossene Verfassungsänderung wird daran nichts ändern. Aber | |
immerhin macht sie Schluss mit der jahrhundertelangen Tradition, domésticas | |
gewissermaßen als Privatsache zu behandeln. Stattdessen werden sie in | |
Zukunft anderen Berufsgruppen gleichgestellt. Im Detail bedeutet das zum | |
Beispiel, dass Arbeitgeber in einen Notfall-Fonds einzahlen müssen, etwa | |
für den Fall einer ungerechtfertigten Kündigung. | |
## Kostensteigerung um zehn Prozent | |
Das bedeutet eine Kostensteigerung von etwa zehn Prozent. Brasilien passt | |
seine Gesetzgebung damit den Forderungen der Internationalen Organisation | |
für Arbeit an. [4][Diese hatte 2011 mit der Konvention 189 ein Abkommen für | |
die Besserstellung häuslicher Arbeit weltweit verabschiedet]. Bisher sind | |
nur vier Länder der Konvention beigetreten. | |
Die Arbeitgeberorganisationen in Brasilien warnen bereits, das bis zu | |
800.000 domésticas durch die Verfassungsänderung ihren Job verlieren | |
könnten. Dabei haben viele Arbeitgeber schon auf die arbeitsrechtliche | |
Gleichstellung der domésticas reagiert. Sie nutzen eine Lücke im Gesetz: | |
Wer seine Hausangestellten nicht mehr als zwei Tage die Woche beschäftigt, | |
für den gelten die neuen Regeln nicht. Auch Maria de Souza beschäftigt | |
Angélica nicht Vollzeit, sie teilt sich „ihre“ Hausangestellte mit Anderen. | |
Angélica arbeitet gewissermaßen freiberuflich in drei verschiedenen | |
Haushalten. Da sie das ohne Arbeitsvertrag tut, gelten auch die neuen | |
Regelungen für sie nicht. Dennoch ist sie sich sicher, dass sie davon | |
profitieren wird: „Es gibt heutzutage nicht mehr genug Mädchen, die als | |
Hausangestellte arbeiten. Weil der Bedarf aber weiter steigt, müssen die | |
Arbeitgeber auch mehr bieten. Sie werden sich schon an die neuen Vorgaben | |
gewöhnen.“ | |
25 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=1tJaSJkHzSg | |
[2] http://de.globalvoicesonline.org/2012/01/24/brasilien-lage-der-hausangestel… | |
[3] http://www.economist.com/node/21541717 | |
[4] http://www.idwn.info/ | |
## AUTOREN | |
Carsten Janke | |
## TAGS | |
Hausangestellte | |
Brasilien | |
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Sklaverei | |
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