| # taz.de -- Soulsängerin Jessie Ware: Die Schleierhafte | |
| > Sophisticated und massenkompatibel: Die britische Soulsängerin Jessie | |
| > Ware flirtet beim Konzert im Berliner Astra Club mit der Tanzfläche. | |
| Bild: Jessie Ware ist am Mikrofon die Schnoddrigkeit in Person. | |
| BERLIN taz | Irgendwie meint man das alles schon mal gehört zu haben. Und | |
| doch klingt es vollkommen neu. Gedämpftes Schlagzeug, sinnliche, langsame | |
| Jams: Im ausverkauften Berliner Club Astra liefert die britische | |
| Soulsängerin Jessie Ware am Dienstagabend mit ihrer Band eine blitzsaubere | |
| Show ab, die an unbewusste Erinnerungen appelliert und gerade damit so | |
| besticht. | |
| Man fühlt sich wohl in dieser zeitlosen Weite. Künstlicher Studiosound | |
| füllt den Raum. Statt einem Chor aus schnippenden Backgroundsängern hat | |
| Jessie Ware ein Soundpad dabei, mit dem sie sich auf Knopfdruck gesanglich | |
| selbst verstärken kann. | |
| Das funktioniert nicht nur reibungslos, die technische Pragmatik steht dem | |
| Neosoul der jungen Sängerin ziemlich gut. Die Londoner Musikerin gehört zu | |
| den spannendsten Newcomern in letzter Zeit. Wollte man ein Genre für sie | |
| erfinden, müsste es Sophisticated Pop heißen. | |
| ## Eingängig und raffiniert | |
| Jessie Wares Sound ist eingängig genug fürs Radio und zugleich viel zu | |
| raffiniert, um im ganzen Hype des bedeutungslos glatten Brit-Soul gemeinsam | |
| mit Adele und Joss Stone unterzugehen. Das Publikum ist denkbar | |
| unspezifisch. Touristen aus dem In- und Ausland mischen sich unter das | |
| bequeme Berliner Publikum. Bemerkenswert nur, dass wenig von den hippen | |
| jungen Leuten da sind, die sich sonst so gern im Viertel Friedrichshain | |
| herumtreiben. | |
| Für die mag Jessie Wares Musik nicht kantig genug sein. Ihr Debütalbum | |
| „Devotion“ klingt so gar nicht nach einem Erstlingswerk, sondern eher schon | |
| nach dem kreativen Höhepunkt eines gereiften Popstars. Die Single „Running“ | |
| etwa hat alle Merkmale eines handfesten Klassikers: grandiose Hookline, | |
| eingängige Gitarrensoli, leichtfüßiger Bounce. | |
| Blutige Anfängerin ist Jessie Ware sowieso nicht, die 28-Jährige ging als | |
| Backgroundsängerin mit dem britischen Singer-Songwriter Jack Penate auf | |
| Tour und lieh ihre Stimme verschiedenen Dance-Projekten. Als sie 2010 dann | |
| auf dem Garage-Kracher „Nervous“ vom Dubstep-Produzenten SBTRKT zu hören | |
| war, der sie dann auch mit auf einen Gig in den „Boiler Room“ nahm – dem | |
| populärsten Livestream-Club im Netz –, kamen erste Labelanfragen für die | |
| damals unbekannte Vokalistin mit der gewaltigen Stimme. | |
| „Es war schon immer mein größter Traum, Backgroundsängerin zu werden“, | |
| erzählte sie dem Guardian, Soloambitionen habe sie nie gehabt. | |
| Zurückhaltung ist auch Teil der Künstlerpersona Jessie Ware. Auf der Bühne | |
| belässt es die Sängerin bei konzentriert bedächtigen Gesten, selbst wenn | |
| gerade ein Uptempo-Beat durch den Saal pumpt. Halftime schleppt sich ihr | |
| zentnerschweres Soultimbre über Produzent Dave Okumus blecherne | |
| Traumkonstruktionen. Dazu gibt es ordentlich Hall auf Wares Bombenstimme, | |
| live wie auf Platte. Die schleierhafte Sängerin nimmt so erst richtig | |
| gespenstische Formen an. | |
| ## Glanzvolle Unnahbarkeit | |
| Jessie Wares glanzvolle Unnahbarkeit, gepaart mit mustergültigen | |
| Popkompositionen, lässt zwangsläufig an Stars wie Prince („Still Love Me“) | |
| oder Sade („Sweet Talk“) denken. Sobald ein Song vorbei ist und die Menge, | |
| vom Zauber noch benebelt, applaudiert, kommt jedoch ein eher unbeholfen | |
| daherquasselndes Mädchen zum Vorschein: „Scheiße, Berlin ist so geil! Ich | |
| würde so gerne mit euch auf die Piste gehen!“ Oder: „Ein schlauer | |
| Journalist meinte heute, dieses Lied sei in d-Moll. Er hatte viel mehr | |
| Ahnung von meiner Musik als ich. Echt peinlich!“ | |
| Man muss ein bisschen schmunzeln, da nimmt Jessie Ware schon wieder Haltung | |
| an. Mit ihrem Hit „Wildest Moments“ wagt sie sich gekonnt an die Grenzen | |
| der erträglichen Schnulze, beim eher schattigen „No To Love“ wiederholt sie | |
| immerzu hypnotisch dieselbe Kernfrage eines jeden Liebeslieds: Wer | |
| verweigert sich ihr schon? Mit dem Vocalsample von Latino-Rapper Big Pun | |
| holt sie sich bei dem Stück „110 %“ auch gleich die Straße mit ins Haus: | |
| „Carvin’ my initials on your forehead“ wiederholt die beängstigend | |
| verfremdete Stimme über das basslastige Brett, das von einem Flirt auf der | |
| Tanzfläche erzählt. | |
| Nachdem es zu rechtlichen Problemen mit Nachlassverwaltern der | |
| HipHop-Legende gekommen war, soll die Sängerin bei einem Konzert in Big | |
| Puns Heimatstadt New York angeblich auf der Bühne „Fuck Big Pun!“ gerufen | |
| haben. Das kann man sich nur vorstellen, wenn man Jessie Ware auch live | |
| erlebt hat. Ihre Songs sind großspurige Inszenierungen, die fast | |
| automatisch funktionieren. Zwischen den Stücken aber ertönt eine | |
| sympathisch große Klappe, die nicht so recht weiß, was der ganze Zirkus | |
| eigentlich soll. | |
| 27 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Fatma Aydemir | |
| ## TAGS | |
| Musik | |
| Soul | |
| Dancefloor | |
| Großbritannien | |
| Arte | |
| Musik | |
| Montreal | |
| Neues Album | |
| Musik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Themenreihe auf Arte: Und es wurde Soul | |
| Von bezirzenden TV-Tänzern bis zur Motown-Legende von Detroit: Arte startet | |
| seine Reihe „Summer of Soul“. Mit viel Gediegenem – und ein paar Perlen. | |
| Neues Album von Ghostpoet: Exzentriker auf Dampferfahrt | |
| Der Londoner Musiker Ghostpoet mischt die britische Musikszene auf. Mit dem | |
| neuen Album „Some Say I So I Say Light“ ist er auf Deutschlandtour. | |
| Kanadisches Avantgarde-Label: Ein Herz für musikalische Bastarde | |
| Das kanadische Label Constellation Records ist eng mit Montreal verbunden. | |
| Aber Macher und Künstler setzen auf Alternativstrukturen statt Heimatliebe. | |
| Drittes Album von Solange Knowles: Leiden kann ja so schön sein | |
| Mit ihrem gelungenen Album „True“ hat sich die Singer-Songwriterin Solange | |
| Knowles vom großen Namen ihrer Schwester Beyoncé emanzipiert. | |
| Neues Album von Cody ChesnuTT: Der Bärtige, der sich die Brust hält | |
| Er wäre gern der neue Marvin Gaye: Der afroamerikanische Sänger Cody | |
| ChesnuTT legt sein neues Album „Landing on a Hundred“ vor. Hat ihm die | |
| zehnjährige Auszeit gutgetan? | |
| „Key to the Kuffs“ von Projekt JJ Doom: Bazille mit Maske | |
| „Key to the Kuffs“ heißt das vertrackt klingende Album des Projekts „JJ | |
| Doom“. Es verfolgt eher Bakterienschwärme als Titten und Dollars. |