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# taz.de -- Tochter von NSU-Opfer schreibt Biografie: Als die glückliche Kindh…
> Neonazis und Behörden zerstörten den Alltag der Simseks. Die Tochter des
> NSU-Opfers Enver Simsek schreibt, wie ihr die Heimat fremd wurde.
Bild: Als Gewissheiten ins Wanken gerieten: Semiya Simsek spricht auf der Geden…
„Bin ich hier, wo ich geboren wurde, überhaupt zu Hause? Ist Deutschland
meine Heimat?“ Es ist das erste Mal, dass für Semiya Simsek diese
Gewissheiten ins Wanken geraten, als sich die 26-jährige Sozialpädagogin
Anfang 2012 entschließt, bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer der
NSU-Morde vor der gesamten Staatsspitze Deutschlands eine Rede zu halten.
Auf ihren Vater Enver Simsek war am 9. September 2000 an seinem
Straßenstand in Nürnberg acht Mal geschossen worden. Er war das erste von
insgesamt acht Opfern, die im Laufe des folgenden Jahrzehnts alle mit
derselben Waffe getötet wurden und von denen jeder einen
Migrationshintergrund hatte. Dennoch war bis zum Auffliegen der
rechtsterroristischen Vereinigung NSU im November 2011 von den Ermittlern
nie ein fremdenfeindlicher Hintergrund in Betracht gezogen worden.
Gemeinsam mit dem Journalisten Peter Schwarz hat Semiya Simsek nun ein Buch
geschrieben, das den Titel „Schmerzliche Heimat“ trägt. Es beschreibt
einerseits die glückliche Kindheit in der hessischen Provinz, wo ihr Vater
Enver, der mit 25 Jahren aus der Türkei nach Deutschland emigriert war,
erst als Fabrikarbeiter am Band arbeitete und sich später als Blumenhändler
selbstständig machte.
Zugleich ist das Buch eine Klageschrift gegen Staat und Polizei, die vom
Tag seiner Ermordung an bis zuletzt darauf beharrten, Enver Simsek sei von
der eigenen Familie wegen Geldes ermordet worden oder von einer kriminellen
Organisation, für die er im Drogenhandel aktiv gewesen sei. Simseks
erfolgreiche Geschäftskarriere, deren mühsame Erarbeitung seine Tochter
detailliert nachzeichnet, schürte das Misstrauen der Behörden und führte zu
den einseitigen Ermittlungen, die auch nach Jahren nirgendwo hinführten.
## Der Exotismus der Behörden
Mit dem Fokus auf das Schicksal, das Familie Simsek nach dem rätselhaften
Mord ereilte – das Fahrzeug wurde verwanzt, Enver Simseks Witwe Adile galt
als Hauptverdächtige und erlitt daraufhin schwere Depressionen –, stellt
„Schmerzliche Heimat“ zugleich Autobiografie und zeitgeschichtliches
Dokument dar.
Die Erzählung teilt sich in zwei Ebenen: den Hauptteil machen Semiya
Simseks Erinnerungen an die elf Jahre der Ungewissheit aus, dieser wird
mehrmals von einem Außenblick durchbrochen, der, sich auf Ermittlungsakten
beziehend, die folgenden acht Morde und die Ermittlungsspuren der Behörden
rekonstruiert.
Das Festhalten an der vagen Theorie um eine Mafia, die sich in türkischer
Sprache verständige und nach eigenem Ehrenkodex handle, verdeutlicht, mit
welch redundantem Exotismus die migrantischen Opfer der Mordserie behandelt
wurden.
## Ein realistisches Bild der Migrantenkultur
Insofern ist auch der biografische Gehalt des Buchs, das vom
deutschtürkischen Familienalltag, von harmlosen Bräuchen und von eigentlich
als westlich geltenden Sichtweisen erzählt, von großer Bedeutung. Er
vermittelt ein realistisches Bild der Migrantenkultur, das der
Einwanderungsgesellschaft offenbar nottut, zugleich aber gibt es auch dem
Opfer inmitten des Diskurses um Ermittlungspannen und dem Horror des
rechtsextremistischen Untergrunds endlich ein Gesicht.
Die totale Umkehrung der Öffentlichkeit gegenüber ihrer Familie, nachdem
der Hintergrund des Mordes an Enver Simsek durch die Bekenner-DVD des NSU
und dem Freitod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bekannt wurde, macht
Semiya Simsek besonders ratlos. Mittlerweile lebt sie mit ihrem Ehemann in
der Türkei und erfährt dort, so schreibt sie, eine ähnliche Fremde wie ihr
Vater einst in Deutschland.
Beim Prozess gegen Beate Zschäpe, der am 17. April in München beginnen
wird, tritt Semiya Simsek als Nebenklägerin auf, um nicht mehr nur passives
Opfer zu sein, sondern auch Fragen und Anträge stellen zu dürfen.
## Semiya Simsek/Peter Schwarz: "Schmerzliche Heimat. Deutschland und der
Mord an meinem Vater". Rowohlt Berlin 2013, 272 Seiten, 18,95 Euro
2 Apr 2013
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Autobiografie
Schwerpunkt Rechter Terror
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Migration
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rechter Terror
Terror
Rechtsextremismus
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