| # taz.de -- Gegen die eigene Arbeit: „Wir schaffen Hartz IV ab“ | |
| > Eine Mitarbeiterin im Jobcenter Altona kritisiert öffentlich ihre eigene | |
| > Arbeit und die geltende Sozialpolitik. Das bringt ihr Unterstützer ein – | |
| > aber auch Feinde. | |
| Bild: Wartende Arbeitslose: Inge Hannemann will vor dem Europäischen Gerichtsh… | |
| Inge Hannemann sitzt in einem Café in Altona, vor ihr ein Latte macchiato – | |
| und ihr Handy, auf dem ständig Nachrichten einlaufen. „Da“, sagt sie leise, | |
| „noch ein Whistleblower. Ich muss gar nicht da sein, um über Neuigkeiten | |
| informiert zu werden“, sagt die Fallmanagerin im Jobcenter Altona lächelnd. | |
| Noch bis zum 21. April hat Hannemann Urlaub. Sie glaubt allerdings nicht, | |
| dass sie danach noch einmal an ihren Arbeitsplatz zurückkehren kann. | |
| „Die werden alles dagegen tun. Mein Büro wurde schon durchsucht, um etwas | |
| gegen mich in der Hand zu haben“, sagt sie. Arbeitskollegen hätten sie und | |
| ihre Familie bedroht, ein Vorgesetzter habe gesagt, sie solle zu ihrem | |
| eigenen Schutz besser kein Jobcenter mehr betreten. Denn Hannemann | |
| kritisiert öffentlich ihre eigene Arbeit, die ihrer Kollegen und die | |
| Strukturen des Jobcenters. | |
| „Da wird ein Mobbing-Opfer zum Täter gemacht“, klagt die 44-Jährige. Seit | |
| 2005, als die Jobcenter gegründet wurden, ist Hannemann Fallmanagerin. | |
| Anfangs gefiel ihr die Arbeit. „Es war nichts geregelt, alles war unklar.“ | |
| Es habe das Sozialgesetzbuch II (SGB II) gegeben, „aber ohne die 58 | |
| Änderungen, die es heute gibt. Es ging damals noch darum, Menschen zu | |
| Arbeit zu verhelfen“, sagt Hannemann, „und nicht darum, Menschen Arbeit zu | |
| vermitteln.“ | |
| Das erste Mal zweifelte sie an der Arbeit der Jobcenter, als das SGB | |
| II-Fortentwicklungsgesetz in Kraft trat. Aber auch danach folgten weitere | |
| Möglichkeiten für die Jobcenter, Arbeitssuchende zu sanktionieren. | |
| Hannemann und ihre Altonaer Kollegen vermitteln inzwischen vier von fünf | |
| der Betroffenen an Zeitarbeitsfirmen. Weil deren Löhne nicht reichten, | |
| blieben die Menschen ewig „Aufstocker und abhängig“, sagt Hannemann: | |
| abhängig von der Tageslaune der Kollegen in den Jobcentern, gezwungen zu | |
| teilweise sinnlosen Maßnahmen. Dahinter steckten Vorgaben, die die | |
| Fallmanager und Arbeitsvermittler von ihren Teamleitern bekämen. | |
| Hannemann erzählt, sie habe immer versucht, die persönliche Ebene zu | |
| bewahren: „Wenn sich jemand aus Angst nicht ins Jobcenter traut, fahre ich | |
| zu ihnen. Manchmal schaue ich mir das Arbeitsumfeld der Maßnahmen an, um zu | |
| sehen, wer da hineinpasst und wer nicht“, beschreibt sie. Mit diesem | |
| Engagement sei sie im Jobcenter Altona aber fast ganz alleine. | |
| 2007 habe sie erstmals versucht, mit Mitarbeitern und Vorgesetzten über die | |
| Ungerechtigkeiten zu sprechen, sei auch auf leisen Zuspruch gestoßen – | |
| meistens aber auf Ablehnung. „Wenn es dir hier nicht gefällt, dann geh | |
| doch“, habe sie oft gehört. Doch der gelernten Speditionskauffrau und | |
| studierten Journalistin geht es um mehr als ihr persönliches Wohlbefinden: | |
| Sie will das System verändern, Hartz IV abschaffen, weil es gegen das | |
| Grundgesetz verstoße. Dafür hat sich Hannemann vernetzt: Sie bloggt und | |
| findet viel Zuspruch in ganz Deutschland, hat inzwischen zahlreiche | |
| Unterstützer, darunter auch Wissenschaftler und Kabarettisten. | |
| Diese organisieren sich über Facebook, Twitter und treffen sich auf | |
| Veranstaltungen. Sie selbst umgibt sich mit mehreren Anwälten, einer | |
| Psychologin und einer PR-Beraterin. Es sei ein Weg gefunden worden, vor dem | |
| Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen Hartz IV zu klagen. „Es | |
| ist alles geplant“, sagt Hannemann, „lange kann es nicht mehr dauern.“ | |
| 5 Apr 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Lintschnig | |
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