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# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Jung bleiben ohne Chanel
> Mit geplanter Obsoleszenz sorgt die Industrie dafür, dass ihr die
> Nachfrage nicht ausgeht. Mode ist doch eigentlich nichts anderes. Ich bin
> gegen Mode.
Bild: Mode kann Spaß machen? Nein, sie richtet Leben zugrunde.
Alle sind gegen kaputte Waschmaschinen. Also gegen Waschmaschinen, die
absichtlich so konstruiert werden, dass sie früh kaputtgehen. Gegen
Drucker, die nach einer bestimmten Anzahl von Seiten nach Wartung
verlangen, gegen Schuhsohlen, die unnötig schnell verschleißen.
Wie ich kürzlich lernte, gibt es sogar einen Begriff dafür: geplante
Obsoleszenz. Damit sorgt die Industrie dafür, dass ihr die Nachfrage nicht
ausgeht. Die Grünen diskutieren über Gesetze gegen den unnötigen Verfall.
Aber wenn man so überlegt: Mode ist doch eigentlich auch reine Obsoleszenz.
Mode bedeutet, dass sich die Idee des Schönen in kurzen zeitlichen
Abständen wandelt. Speziell auf die Kleidung bezogen: Es ist nicht bloß
Kollateralschaden, sondern konstitutiv für die Mode, dass für jede oder
spätestens jede zweite Saison neue Klamotten und Schuhe (und Schmuck,
Gürtel, Lippenstifte etc.) gekauft werden müssen. Unglaubliche Mengen von
Material (und Geld) werden dabei verschleudert. Auf die Gefahr hin, dass es
mir den Vorwurf der Lila-Latzhosen-Tante eintragen wird: Ich bin gegen
Mode.
Natürlich fordere ich keine Gesetze gegen Mode, doch ändert sich unsere
Wahrnehmung vielleicht, wenn wir zumindest einräumen: Die Obsoleszenz der
Kleidung ist Quintessenz der Mode. Tatsächlich leitet sich das Wort laut
Wikipedia von dem Verb obsolescere ab, das bedeutet: sich abnutzen, alt
werden, aus der Mode kommen. Sic!
## Lila-Latzhosen-Tante?
Zur Verteidigung der Mode könnte man einwenden, sie sei immerhin auch eine
Form von Alltagskunst. Und Kunst kostet. Kunst ist per definitionem nicht
überlebensnotwendig. Der Mensch leistet sich Kunst, um anderen Bedürfnissen
Raum zu geben – zum Beispiel gestalterischen. Deswegen gilt Kunst
üblicherweise als etwas Positives. Und deshalb misst man nicht genau nach,
was für Belastungen zum Beispiel für die Umwelt sie bedeutet.
Dass es allerdings auch eine Ethik der Kunst gibt (und geben muss), dazu
ist gerade im Campus-Verlag ein Buch der Philosophin Dagmar Fenner
erschienen. Doch sollten wir bei der Mode ohnehin etwas strenger
hinschauen, ob sie diesen Sonderstatus als Kunst überhaupt verdient; zu eng
ist sie mit der Wirtschaft verbandelt.
Es ist vermutlich nicht der einzige Sinn von Mode, Menschen zum Einkaufen
zu bewegen – aber es wird auch nicht das Letzte sein, was den
Textilimperien in den Sinn kommt. Und schon vor dem Kapitalismus war die
Frage der „richtigen“ Kleidung hauptsächlich mit Ansehen, Status,
Klassenzugehörigkeit verknüpft. Sie mündete mit der Industrialisierung der
Textilherstellung direkt in die Ausbeutung von Arbeiterinnen – eine
Tradition, die heute mit der Ausbeutung von Frauen und Kindern in Süd- und
Südostasien fortgesetzt wird.
## Der Hass auf Heidi Klum
Übrigens ist sonderbar, dass so viele Menschen einen Hass auf Heidi Klum
haben, aber so wenige einen auf die Mode. Heidi Klum ist eine der gar nicht
so zahlreichen Frauen, die anscheinend ohne psychischen und körperlichen
Schaden von ihrer Arbeit in ihrer Branche profitieren. Viele andere Models
schaffen das nicht, plagen sich mit Hungerkuren und zweifelhaften
Gefall-Strukturen ab und werden in den Zeitschriften ebenso oft als
Patientinnen von Entzugskliniken abgebildet wie bei der Ausübung ihrer
beruflichen Tätigkeiten.
Nicht nur die Herstellung von Mode richtet also Leben, insbesondere
Frauenleben, zugrunde, sondern auch das vermeintliche Glamour-Business. Wer
Heidi Klums Mädchen bemitleidet, sollte ihnen wünschen, dass sie früh aus
ihrer Sendung herausfliegen und einen anderen Lebensweg wählen.
Und darf ich das Offensichtliche überhaupt erwähnen? Natürlich ist auch das
Endprodukt Mode zumeist sexistisch, schon allein durch die extreme
Polarisierung der Geschlechter, selbst in vermeintlich androgynen Zeiten.
Unübersehbar, dass das einstige Privileg der Frau, unbequem und ungesund
angezogen zu sein, auch den Männern spätestens mit der rutschenden Jeans
zuteil wurde. Doch nach wie vor gehören absurd untragbare,
bewegungsbehindernde und bisweilen nichtwärmende „Kleidungsstücke“ zumeist
in das Repertoire der Damenabteilung.
## Chanel-Tasche mit 20 oder mit 40
Neulich brachte das SZ-Magazin ein Interview mit der zweifellos
beeindruckenden ehemaligen Vogue-Chefin Carine Roitfeld. Zu denken gab vor
allem ihre Antwort auf die Frage, warum sie noch so jung aussehe: „Ich
altere allerdings langsam, vielleicht weil ich ein so konservatives Leben
führe. Ich hatte zum Beispiel erst mit 40 eine Chanel-Tasche, nicht mit 20
wie die meisten Mädchen heute. Ich habe keine Tattoos oder Piercings, ich
habe keine Selbstzerstörung betrieben. Fantasien musste ich nicht ausleben,
die wanderten alle gleich in meine Arbeit.“
Sagt sie damit nicht auch, dass der Inhalt ihrer Arbeit
selbstzerstörerische Praktiken und Lebensweisen propagiert, idealisiert,
anempfiehlt? Wenn Roitfeld dankbar ist, dass ihr die Chanel-Tasche so lange
erspart blieb, ist das nicht ein Beleg dafür, aus berufenstem Munde, dass
die Mode ihren Konsumentinnen nicht wohl bekommt?
Ach, mir fiele noch so viel ein gegen die Mode: unter anderem, dass sie der
Diskriminierung dicker Körper (und Menschen) Vorschub leistet. Da mag man
sagen: Das wechselt. Es gab und gibt auch Zeiten, wo Dicke in sind. Aber
das macht die Sache ja nicht besser. Wieso verlangt Kleidung, dass die
Körper sich ihr anpassen – und passt sich nicht gefälligst den Körpern an?
So aber sind auch Körperideale und entsprechende Umformungsbemühungen ein
Effekt der Mode.
Selbstverständlich weiß auch ich es zu genießen, wenn sich Leute schön
anziehen. Finde aber eigentlich, dass jene Freundinnen und Freunde, die
besonders gut angezogen sind, eben nicht unbedingt das tragen, was derzeit
Mode ist, sondern sich den Inhalt ihres Kleiderschranks eher eklektisch
zusammengestellt haben. Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Gegner der
Obsoleszenz haben recht, doch sie sollten ihren Zorn nicht nur auf die
Waschmaschine richten. Sondern auch auf ihren Inhalt. Die Mode.
17 Apr 2013
## AUTOREN
Hilal Sezgin
## TAGS
Mode
Obsoleszenz
Glamour
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Schlagloch
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