| # taz.de -- Das Schlagloch: Samstagsgeschichten | |
| > Karsamstag zeigt, wie das Vergangene auf die Gegenwart wirkt. Gedanken zu | |
| > Franziskus, Tschechow, Petrus und über die Schönheit des Ostergeschehens. | |
| Bild: Und an manchen Orten kann man in der Osterzeit einen Zauber spüren: Peru… | |
| Ostern steht bevor. Das Kostümspektakel in Rom, unter der Anteilnahme 150 | |
| profaner Machthaber und Milliarden erlösungsbedürftiger Fernsehzuschauer, | |
| drängt mich, erneut meine Haltung zur Kirche, zum Glauben, zu Jesus, also | |
| auch zu Ostern zu überprüfen. | |
| Auch zum Papst? Ach nein. Da sind andere kompetenter und wissen es schon | |
| ganz genau. [1][Der fromme Matussek etwa], der einen Papst so ganz nach | |
| seinem Geschmack kommen sieht: einen, von dem keine „linksradikalen | |
| Schwächeanfälle“ zu befürchten sind, und dessen soziale Spiritualität nic… | |
| weiter reicht als bis zur nächsten Suppenküche. | |
| Oder der Welt-Liberale [2][Richard Herzinger], dem Franziskus’ | |
| Fundamentalismus – „wer nicht zu Gott betet, betet zum Teufel“ – nach | |
| „Selbstgeißelung“ und „Verzicht“ klingt, also einer Todsünde gegen die | |
| unauflösliche Einheit von „Reichtum, Genuss und irdischer Lebensfreude“. | |
| Ich kann auch nicht beurteilen, ob im Programm der „armen Kirche für die | |
| Armen“ auf dialektische Weise eine sozialdemokratisch gewendete | |
| Befreiungstheologie zum Zuge kommt, oder ob ein rechts-mystischer Peronist, | |
| der einst Glaubensbrüder verraten hat, die Macht übernimmt. Und schon gar | |
| nicht, ob er – wie im taz-Interview zu lesen war – vielleicht von der CIA | |
| auserkoren ist, die lateinamerikanische Linke zu neutralisieren. | |
| Ob und wie der Mann den Vatikan verändern kann, oder dieser ihn, hängt wohl | |
| nur begrenzt von ihm ab. Sondern, wie im wirklichen Leben, von den | |
| Kräfteverhältnissen seiner Organisation und den Basisbewegungen. Und damit | |
| bin ich bei Ostern. | |
| ## Tschechow zu Ostern | |
| Und bei Anton Tschechow. Denn von allen Ostergeschichten, die ich kenne, | |
| hat er die merkwürdigste geschrieben. In einer kalten Karfreitagsnacht – so | |
| heißt es in seiner Erzählung „Eines Abends“ – trifft ein Theologiestude… | |
| zwei Frauen, die Winterreisig verbrennen. „In genau so einer kalten Nacht“, | |
| so sagt er ihnen, „hat sich der Apostel Petrus am Lagerfeuer gewärmt. Auch | |
| damals war es kalt. Ach, was für eine furchtbare Nacht war das, | |
| Großmütterchen! Eine ungewöhnlich trostlose, endlose Nacht.“ | |
| Dann erzählt er den beiden von Petrus, der gerade verkündet hatte, er werde | |
| Jesus bis in den Tod folgen; aber einschlief, als dieser verzweifelt war. | |
| Petrus, der dreimal leugnete, ein Jünger zu sein. Dann krähte der Hahn, | |
| Petrus floh. „Und er weinte bitterlich.“ | |
| Als die Frauen am Feuer in der kalten russischen Freitagnacht dies hörten, | |
| schluchzten sie. Und der Student dachte, dies „bedeutete offenbar, dass | |
| alles, was er soeben erzählt hatte, und was vor neunzehn Jahrhunderten | |
| geschehen war, eine Beziehung zur Gegenwart haben musste – zu diesen beiden | |
| Frauen und zu diesem öden Dorf, zu ihm selbst, zu allen Menschen. | |
| Und Freude regte sich plötzlich in seinem Herzen. Die Vergangenheit, so | |
| dachte er, ist mit der Gegenwart durch eine ununterbrochene Kette von | |
| Ereignissen verknüpft, von denen sich eins aus dem anderen ergibt. Und die | |
| Wahrheit und die Schönheit, die das menschliche Leben dort, im Garten und | |
| auf dem Hof des Hohepriesters, geleitet hatten, setzten sich ununterbrochen | |
| bis heute fort und bildeten offenbar die Hauptsache im menschlichen Leben | |
| und überhaupt auf Erden.“ | |
| ## Osterglauben ohne Wunder | |
| Nicht im Abendmahl, in der Kreuzigung, in der Auferstehung läge die | |
| Wahrheit und die Schönheit des Ostergeschehens? Sondern im Verrat und den | |
| Tränen des Petrus? Ich denke, das ist eine Geschichte, die zum Osterglauben | |
| derer passt, die nicht an Wunder glauben. Denn Petrus und die anderen kamen | |
| zurück, fanden nach einer hektischen Flucht wieder zusammen. Sein | |
| Märtyrertod sollte nicht das letzte Wort sein. Mit ihrem und seinem | |
| Scheitern sollte die Botschaft nicht sterben. Ja, sie waren geflohen, aber | |
| nun folgten sie ihrem Versprechen erneut, über den Tod hinaus. | |
| „Wenn die Toten nicht auferstehen“, so wird es Paulus später schreiben, | |
| dann „lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot!“ Das Leben, | |
| das Leiden und Wollen, die Taten und die Gedanken derer, die vor uns | |
| gestorben sind, so übersetzt es im 20. Jahrhundert der messianische | |
| Materialist Walter Benjamin, richten einen Anspruch an uns, der uns „eine | |
| schwache messianische Kraft“ gibt. Sie ist so schwach, dass wir sie leicht | |
| überhören können. Dann bricht die „geheime Verabredung zwischen den | |
| gewesenen Geschlechtern und unserem“. | |
| Die Kette kann reißen, immer wieder, durch Gedankenlosigkeit, Lieblosigkeit | |
| – oder Angst. Botschaften können also verloren gehen, wenn wir sie nicht | |
| weitererzählen – diese Samstagsgeschichten, zwischen den Freitagen des | |
| Scheiterns, der Niederlage, des Verrats und der Schmerzen und den Sonntagen | |
| der Befreiungen, der Liebe, der Gerechtigkeit, des Gelingens und der | |
| Neuanfänge. | |
| ## Das Gorbatschow-Epos | |
| Am vorletzten Sonntag stand eine dieser Geschichten in der FAS: Sie beginnt | |
| mit dem Spaziergang von zwei Männern am Schwarzen Meer, die ihr Land „von | |
| oben bis unten verfault“ fanden. Der Spaziergang hatte Konsequenzen. | |
| Zunächst beabsichtigte, danach vor allem unbeabsichtigte. | |
| Aber, so endet diese Rezension von Gorbatschows Memoiren, „es war nicht | |
| David Hasselhoff, nicht Reagan, der die Mauer geöffnet hat, es waren nicht | |
| Bush und nicht Kohl. Es war ein beleibter Kommunist in lächerlichen | |
| Anzügen, der plötzlich danach handeln wollte, was er am Strand des | |
| Schwarzen Meeres erkannt hatte. Er wollte das so nicht mehr. Heute gibt es | |
| viele, die ein ähnliches ungutes Gefühl haben wie Schewardnadse und | |
| Gorbatschow damals, die die Absurdität der Lage erkennen. Und doch leben | |
| wir in Zeiten der irren Vorsicht, der entleerten Aussagen und unter einer | |
| politischen Klasse, die eine Enge des Herzens und der Gedanken | |
| kennzeichnet. Gorbatschows Geschichte ist ein Epos, das man Kindern | |
| erzählen soll, damit sie werden wie er.“ | |
| Das ist ein starker Satz, den Nils Minkmar geschrieben hat. Aber er trifft | |
| zu. Und trifft. Aber es gibt nicht nur diese Geschichte. „All of old. | |
| Nothing else ever. Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail | |
| again. Fail better.“ Sagte Samuel Beckett, der an einem Karfreitag geboren | |
| wurde. | |
| 30 Mar 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.spiegel.de/panorama/papst-franziskus-radikaler-in-sandalen-a-889… | |
| [2] http://freie.welt.de/2013/03/15/der-fundamentalistische-papst-und-sein-teuf… | |
| ## AUTOREN | |
| Mathias Greffrath | |
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