| # taz.de -- Buch „Die Stille Revolution“: Revolution der Sesselpupser | |
| > In ihrem Buch „Die Stille Revolution“ dient Mercedes Bunz der Begriff | |
| > „Algorithmus“ als Synonym für Software. Trotzdem ist ihr Essay eine | |
| > Leistung. | |
| Bild: Die Vernetzung von Dingen, Menschen und dem Wissen der Welt, wird ermögl… | |
| Wenn neben einem Blog-Artikel über Meucheltaten mexikanischer | |
| Drogenkartelle die Werbung eines Mexiko-Reisebüros eingeblendet wird oder | |
| wenn jemandem, der auf Amazon nach einem Buch über jüdische Kultur sucht, | |
| das Pamphlet eines Holocaustleugners empfohlen wird, dann waren | |
| wahrscheinlich sie schuld: die Algorithmen. | |
| Ein Algorithmus ist laut Duden ein Verfahren zur schrittweisen Umformung | |
| von Zeichenreihen, also ein Rechenvorgang nach einem bestimmten Schema. In | |
| jüngster Zeit wird der Begriff „Algorithmus“ zunehmend für die Mechanismen | |
| verwendet, die uns das Gefühl geben, unsere Lieblings-Websites wüssten | |
| genau, was wir brauchen und wer wir sind, auch wenn Sie häufig vollkommen | |
| danebenliegen. | |
| Deshalb weckt der Titel des Buches „Die Stille Revolution. Wie Algorithmen | |
| Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm | |
| zu machen“ von Mercedes Bunz falsche Erwartungen. Es geht in diesem Buch | |
| nicht primär darum, Algorithmen monographisch zu entmystifizieren, zu | |
| entschlüsseln, zu hinterfragen und zu kritisieren. Zentral ist die Frage, | |
| wie Digitalisierung der Welt unser Leben auf allen Ebenen beeinflusst. | |
| Unsere Experten- und Dienstleistungsgesellschaft befindet sich im Wandel. | |
| Es kann von beliebigen Orten gearbeitet werden, Flirtportale suchen den | |
| passenden Partner, Online-Petitionen und Projekte wie LiquidFeedback | |
| erweitern die Möglichkeiten der Einflußnahme auf demokratische Prozesse. | |
| Revolutionen werden herbeigetwittert und Börsenprogramme können | |
| Entscheidungen treffen, die zuvor von Menschen getroffen wurden. | |
| ## Auswirkungen auf den Journalismus | |
| Jeder kann Produkte auf den Markt bringen, die er dank des Internets in | |
| Billiglohnländern herstellen lassen kann. Plötzlich sind Arbeitsplätze | |
| bedroht, die vorher für nicht automatisierbar gehalten wurden. Mercedes | |
| Bunz ist Journalistin. Sie leitete die [1][Online-Redaktion des | |
| Tagesspiegel] und schrieb [2][für den Londoner Guardian] über Medien und | |
| Technologie. | |
| Es ist nicht überraschend, daß sie besonders auf die Auswirkungen für den | |
| Journalismus eingeht. So erwähnt sie etwa die Software [3][„Stats Monkey“], | |
| die in der Lage ist, mit Hilfe des Internets und einer eigenen Bibliothek | |
| von Textmustern selbsttätig Sportberichte zu erstellen. Was passiert mit | |
| den Menschen, die vorher diese Arbeit gemacht haben? | |
| Für den Journalismus spielt die neue Öffentlichkeit, die das Internet dem | |
| Einzelnen bietet, ebenfalls eine große Rolle. Bunz stimmt in den Tenor ein, | |
| mit dem die Branche sich selbst beruhigt: Gut recherchierter, objektiver | |
| Journalismus wird weiterhin wichtig sein, die Arbeitsfelder der | |
| Journalisten werden sich verändern, aber nicht verschwinden. Über mögliche | |
| Finanzierungsmodelle findet sich nichts. Aber das ist leider der | |
| Knackpunkt. Werden Zeitschriften, gedruckt oder online, finanzierbar | |
| bleiben? Oder werden Journalisten zu bloggenden Einzelkämpfern, die sich | |
| ihre Miete zusammenflattrn? | |
| Der eher freie und literarische Umgang der Autorin mit wissenschaftlichen | |
| Fakten, ihre Art frei zu assoziieren und einige Themengebiete nur flüchtig | |
| zu behandeln, bietet einige Ansätze zu berechtigter Kritik. Der | |
| „Algorithmus“ dient ihr als Synonym für „Software“, wohl weil es sich | |
| knackiger und neuer anhört und im Zusammenhang mit der Unterstellung | |
| künstlicher Intelligenz irgendwie auch spooky klingt. | |
| ## Fortschrittsgläubigkeit | |
| Dass die von Bunz genannten Techniken von künstlicher Intelligenz noch sehr | |
| weit entfernt sind, tritt in der „stillen Revolution“ nicht deutlich genug | |
| zu Tage. Ein Algorithmus ist ein Automatismus. Die Vernetzung von Dingen, | |
| Menschen und dem Wissen der Welt, wird ermöglicht und gesteuert von | |
| Automatismen, die wiederum kontrolliert eingesetzt werden. | |
| Mit Kritik an den möglichen Auswirkungen dieses Zusammenspiels hält sich | |
| Bunz zurück, so daß der Eindruck einer gewissen Fortschrittsgläubigkeit | |
| entsteht. Aber die Kritik fehlt zum Glück nicht ganz. [4][Eli Pariser zum | |
| Beispiel, der die Vorauswahl von Informationen kritisiert, die Google, | |
| Facebook & Co ihren Benutzern oft ungefragt aufdrängen], findet immerhin in | |
| einem Satz Erwähnung. | |
| Jenen, deren politischer Aktivismus darin besteht, Online-Petitionen zu | |
| unterzeichnen, nimmt sie den Wind aus den Segeln, indem sie den Publizisten | |
| [5][Evgeny Morozov] heranzieht, um die Quintessenz seines Buches „The Net | |
| Delusion“ treffend zu formulieren: „Die Revolution der Sesselpupser lässt | |
| einstweilen noch auf sich warten. Um wirklich einen Effekt zu haben, müssen | |
| die sogenannten 'Clicktivisten' auch in der realen Welt etwas auf die Beine | |
| stellen.“ | |
| Trotzdem, „Die stille Revolution“ ist eine Leistung. Der Autorin ist es | |
| gelungen, auf 169 Seiten in geballter Form die Entwicklung des Internets | |
| und dessen immensen Einfluss auf unsere Lebens- und Arbeitswelt | |
| darzustellen. Sie liefert keine neuen Erkenntnisse, zeigt aber alle | |
| wichtigen Zusammenhänge zwischen Digitalisierung, Globalisierung, | |
| Vernetzung, Datenballungen, Miniaturisierung von Endgeräten, dadurch | |
| bedingten sozialen Veränderungen und weiteren Aspekten modernen Lebens. | |
| ## Guter Einstieg | |
| Es wird ein guter Einstieg in und Überblick über diese Thematik geboten. | |
| Bei reflektiertem Genuß eine geeignete Grundlage für die kritische | |
| Diskussion. Dem interessierten Leser wird ein umfangreiches | |
| Literaturverzeichnis an die Hand gegeben, das von Walter Benjamins | |
| „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ über Frank | |
| Schirrmachers „Payback“ bis hin zu Max Webers „Die protestantische Ethik | |
| und der Geist des Kapitalismus" alles nötige enthält. | |
| Nach der Lektüre dieses Buches dürfte selbst dem widerspenstigsten | |
| Digitalisierungsignoranten klar sein, wie tief die Auswirkungen der | |
| Vernetzung von Menschen, Daten und Software auf die Gesellschaft und damit | |
| auch auf sein Leben wirken und dass er – soweit er das politische und | |
| wirtschaftliche Leben weiterhin mitbestimmen will – sich schleunigst mit | |
| diesen Dingen beschäftigen sollte. | |
| Frau Bunz prophezeit, dass die Bedeutung des Geldes für die Gesellschaft | |
| durch neue und günstigere Produktions- und Kollaborationsmöglichkeiten | |
| abnehmen wird: „Zudem ist nun nicht mehr das Budget ausschlaggebend für die | |
| Größe eines Projekts. Entscheidend für die Durchführung ist nicht die Höhe | |
| der finanziellen Aufwendungen, sondern die Koordination von Geräten, Räumen | |
| und Fähigkeiten.“ Und nicht zuletzt, weil das mehr als zweifelhaft ist, ist | |
| es nötig, das Bewußtsein für diese stille Revolution der Dinge zu schärfen. | |
| Mercedes Bunz: „Die stille Revolution. Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, | |
| Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen“. | |
| Suhrkamp Berlin 2012, 169 Seiten, 14 Euro (Kindle Ebook: 13,99 Euro) | |
| 18 Apr 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.tagesspiegel.de/bunz-mercedes/6804066.html | |
| [2] http://www.guardian.co.uk/profile/mercedes-bunz | |
| [3] http://infolab.northwestern.edu/projects/stats-monkey/ | |
| [4] /!87459/ | |
| [5] http://www.evgenymorozov.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Ulf Schleth | |
| Ulf Schleth | |
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