| # taz.de -- Die Wahrheit: Wut zu Fuß | |
| > Auf den Gehwegen der Großstädte köchelt weltweit immer mehr Ärger hoch. | |
| > Mit den Wutgängern ist dabei keinesfalls zu spaßen. | |
| Bild: Unbegabte Nachahmer erreichen niemals an die Eleganz des echten Lurchi. | |
| Die Zeiten werden rauer. So wurden einem guten Freund unlängst Prügel | |
| angedroht, weil er an der Kasse seine Lebensmittel zu langsam einpackte. | |
| Doch auch auf der Straße wird das Tempo angezogen, US-Forscher berichten | |
| vom sogenannten Sidewalk-Rage-Syndrom auf den Straßen der Großstädte. | |
| Man könnte die Sidewalk Rager zu Deutsch „Wutgänger“ nennen, denn diese | |
| Grobiane der Fußgängerzonen fallen durch ihr dreistes Kampfgehen auf. | |
| Zeitgemäß lassen diese Wutnickel auch auf Facebook Dampf ab. „I Secretly | |
| Want to Punch Slow Walking People in the Back of the Head“ hat dort | |
| mittlerweile 21.478 unheimliche Freunde gefunden. | |
| Der köchelnde Ärger der Bürgersteigwüteriche könnte tiefer liegen und auf | |
| „Intermittend Explosive Disorder“ (IED) hinweisen. Diese interessante | |
| „Tickende-Zeitbomben-Störung“ merkt man laut Professor Leon James von der | |
| Universität Hawaii den Kranken durch ihr verstörendes Verhalten an: Sie | |
| murmeln Verwünschungen, rempeln Passanten und schneiden ihnen provokant den | |
| Weg ab. | |
| So etwas fällt im entspannten Hawaii natürlich besonders auf, und die | |
| klinische Beschreibung klingt aus dem Mund eines Hawaiianers prima: | |
| „Muttering or bumping into others, hogging a walking lane, giving a ’mean | |
| face‘“, fasst es Leon James zusammen. Aber wer zum Teufel bringt die | |
| Sidewalk Ragers so auf? | |
| Die schlimmsten Trödler unter den Fußgängern sind natürlich die Touristen, | |
| die sich durchschnittlich 1,16 m pro Sekunde vorwärtsbequemen. Nur wenig | |
| schneller sind Raucher, Handyquatschköpfe und Leute mit Taschen und Tüten. | |
| Sie trotten mit 1,27 m und 1,3 m pro Sekunde vor uns her. Die Speedkings | |
| der Bürgersteige sind die Verstöpselten, die zur Musik 1,4 m pro Sekunde | |
| zurücklegen. | |
| Die Werte noch einmal in Fuß, weil das lustiger klingt – Tourist: 3,79 | |
| Fuß/Sek, Männer: 4,42 Fuß/Sek, Frauen: 4,10 Fuß/Sek, Menschen mit Tüten: | |
| 4,27 Fuß/Sek. Dies hat die „Pedestrian Level of Service Study“ der Wildlife | |
| Conservation Society ergeben, für die 8.978 Fußgänger in Lower Manhattan | |
| gemessen wurden. | |
| Ob die Untersuchung von wütenden Londoner Ladenbesitzern anregt wurde? Die | |
| hatten sich nämlich über zu langsame Fußgänger in der Oxford Street | |
| beschwert. Diese Schlaftabletten bewegten sich zur Weihnachtszeit mit | |
| weniger als einem halben Meter pro Sekunde fort, kann man in einem Artikel | |
| der Süddeutschen Zeitung lesen. | |
| Das störe „die Harmonie auf dem Bürgersteig“, argumentierten die | |
| Ladenbesitzer nicht ganz uneigennützig. „Andere Passanten sollten möglichst | |
| schnell an ihr Ziel kommen“. An das Ziel „Ladenkasse“ natürlich. Konsequ… | |
| forderten die Kaufleute ein Bußgeld für zu langsame Passanten. Gut so, das | |
| beugt dem gefährlichen Köchelnden-Wutgänger-Syndrom vor. | |
| Wir sehen, es fehlen einfach klare Vorgaben im Fußgängerverkehr. Das war in | |
| den goldenen Kindertagen des Fußgängers natürlich ganz anders. Der „Gute | |
| Ton“ von 1919 formuliert klare Verhaltensregeln für Spaziergänger: „Einen | |
| gebildeten, gut erzogenen Menschen wird man sofort an der Art erkennen, in | |
| der er sich auf der Straße bewegt. Er mag schnell oder langsam gehen, immer | |
| ist sein Schritt gleichmäßig. Kurz: Er bewegt sich so, dass er niemanden | |
| behindert oder stört.“ | |
| Der Tourist wird gewarnt: „Wer sich danach nicht richtet, darf sich nicht | |
| wundern, wenn er in Ungelegenheiten kommt.“ Vorläufer der Wutgänger gab es | |
| offensichtlich auch schon: „Breitspurig bewegt sich ein solcher Mensch auf | |
| dem Bürgersteig, ohne Rücksicht, ob ihm jemand Platz macht.“ | |
| Einem solchen Zeitgenossen soll man aus dem Wege gehen und eines sollte man | |
| keinesfalls tun: Ihm „keck ins Gesicht zu schauen“. Die Folge in den | |
| Metropolen heute wäre ein beleidigtes „Was guckst du?“. Spätestens dann | |
| sollte der Flaneur seinen Schritt beschleunigen – auf mindestens 4 Meter | |
| pro Sekunde! | |
| 21 Apr 2013 | |
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