| # taz.de -- US-Schießkurs für Frauen: Die Wumme fürs Handtäschchen | |
| > Unsere Autorin durfte offiziell nicht an einem Schießkurs für Frauen | |
| > teilnehmen. Mitmachen wollte sie trotzdem. Undercover mit einer Glock 19. | |
| Bild: Frau mit Beretta bei einer Waffenausstellung der NRA in Texas, im Mai 201… | |
| FAIRFAX taz | „Fotografieren verboten“, steht an der Türe. Im Inneren | |
| tragen die Empfangsdamen Pistolen am Holster. Der langgestreckte verglaste | |
| Raum hinter ihnen sieht aus wie eine Bowlingbahn, aber statt der Kegel gibt | |
| es Papierbögen, auf denen Konturen von menschlichen Oberkörpern gezeichnet | |
| sind. Am Schwarzen Brett werden gebrauchte „Bushmaster“ und „Sig Sauer“ | |
| angeboten – die Schnellfeuerwaffen von den Herstellern, die auch die Mörder | |
| im Kino von Aurora, in dem Tempel von Oak Creek und in der Grundschule von | |
| Newtown benutzt haben. | |
| Der Schießkurs, an dem ich teilnehmen werde, ist „Ladies Only“. Theorie am | |
| ersten Abend. Schießen am zweiten. 11 Teilnehmerinnen sind gekommen. Die | |
| Jüngste von uns darf mit 19 Jahren noch nicht legal Bier trinken. Die | |
| Älteste ist seit mehr als einem Jahrzehnt in Rente. | |
| Treffpunkt ist die Schießanlage der [1][National Rifle Association (NRA)] | |
| in Fairfax. Sie ist neben der Tiefgarage untergebracht. Aus den | |
| darüberliegenden Etagen des rundum schwarz verglasten Büroblocks am Highway | |
| 66 organisiert die NRA ihr Lobbying, mit dem sie den Kongress der USA | |
| erfolgreich vor sich hertreibt. An den Wänden unseres Seminarraums hängen | |
| ausgestopfte Bären- und Hirschköpfe. | |
| Aber für das Jagen interessieren sich die Teilnehmerinnen nicht. Sie sind | |
| um ihre private Sicherheit besorgt. Die meisten haben Kinder. Leben in | |
| Einfamilienhäusern im Grünen. Eine hat einen Mann mit einem Safe voller | |
| Schusswaffen. „Er ist ein Sammler“, sagt sie, „hat mir auch schon mehrere | |
| Pistolen geschenkt.“ Eine andere ist als Kind von ihrem Polizisten-Vater an | |
| Waffen herangeführt worden. | |
| ## "Weigere dich, ein Opfer zu sein!" | |
| Mehrere Teilnehmerinnen sind mit schmalen Hartschalenköfferchen gekommen. | |
| Darin liegen Pistolen in Schaumstoff gebettet. Wir anderen, die keine | |
| eigene Waffe haben, werden eine ausleihen. Vor Kursbeginn untersuchen | |
| Empfangsdamen die Köfferchen. Außerhalb des Schießraumes dürfen Waffen | |
| nicht geladen sein. „Ist das leer?“, werde ich gefragt und soll von hinten | |
| durch einen zum Boden gerichteten Pistolenlauf schauen. Ich sehe nichts. | |
| „Weigere dich, ein Opfer zu sein“, lautet ein an Frauen gerichteter | |
| Werbeslogan der NRA. Die USA sind das am stärksten bewaffnete Land der | |
| Welt. Sie haben fast genauso viele Schusswaffen in privater Hand wie | |
| Einwohner. Aber bislang besitzen nur 15 Prozent der Frauen in den USA | |
| Schusswaffen. Das macht den weiblichen Teil der Bevölkerung zu der Hoffnung | |
| für die Branche. Der „Ladies Only“-Kursus ist Teil einer Charmeoffensive. | |
| In Zeiten nach tödlichen Schießereien ist der Zulauf zu diesen Kursen immer | |
| besonders groß. | |
| „Schießen ist so einfach wie Autofahren“, sagt unsere Ausbilderin, „am | |
| Anfang verspannen sich ein wenig die Schultern. Aber das geht schnell | |
| vorbei.“ Wir stehen mit hüftweit aufgestellten Beinen, leicht angewinkelten | |
| Knien, ganz leicht vorgebeugtem Oberkörper und nach vorne ausgestreckten | |
| Armen in einer Reihe vor der Wand. Mein rechter Zeigefinger liegt | |
| ausgestreckt am Lauf einer Pistole, darunter greifen die anderen drei | |
| rechten Finger von vorne um den Pistolengriff. Die vier Finger meiner | |
| linken Hand wickeln sich von links über die rechten Finger und den Griff. | |
| Meine beiden Daumen liegen übereinander auf der linken Seite der Pistole. | |
| Dann schiebe ich mit dem vordersten Glied meines rechten Zeigefingers den | |
| Auslöser bis zum Widerstand. „Gute Position“, lobt die Ausbilderin eine | |
| Teilnehmerin. | |
| Die Anatomie von Frauen ist wie für das Schießen geschaffen, erklärt sie. | |
| Der Grund: Wir haben mehr Gewicht in der unteren Körperhälfte. Das gibt | |
| Stabilität. Unsere Ausbilderin ist ein paar Minuten zu spät gekommen. Und | |
| entschuldigt sich mit den beiden Bomben, die am Nachmittag in der | |
| Zielgeraden des Boston Marathons explodiert sind. | |
| ## Unter der Jacke kommt ein Lederholster zum Vorschein | |
| Sie ist eine drahtige, kleine Frau. Bei der Ankunft in unserem Seminarraum | |
| zieht sie zuerst ihre Jacke aus. Darunter kommt eine Pistole in einem | |
| Lederholster zum Vorschein, die an einem Gürtel befestigt ist und sich an | |
| ihre Taille schmiegt. Damit sind wir bereits mitten im Thema. Mit dem | |
| Fachvokabular sind die meisten Kursteilnehmerinnen längst vertraut. Aber | |
| unsere Ausbilderin geht über den Jargon hinaus. Sie sagt „Ammo“ für | |
| Munition und nennt ihre Pistole: „meine Semiauto“. | |
| Im Prinzip gilt die Regel, dass „eine Schusswaffe, die zu Hause liegt, | |
| nicht hilft, wenn du sie brauchst“, sagt unsere Ausbilderin. Sie selbst | |
| besitzt offenbar ein ganzes Arsenal. Und sie scheint sicher zu sein, dass | |
| wir ihr bald auf diesem Weg folgen werden. Denn verschiedene Orte – zu | |
| Hause, im Coffeeshop, im nachts geöffneten Supermarkt – verlangten nach | |
| verschiedenen Waffen. | |
| Eine Frage muss jede von uns mit sich selbst klären: „Kann ich töten?“ Wir | |
| sollen sorgfältig in uns hineinhorchen. Falls wir die Frage mit „ja“ | |
| beantworten, wird sich der Rest fast von selbst ergeben. Wir werden einen | |
| Antrag auf verdecktes Waffentragen stellen. Wir werden eine Waffe kaufen. | |
| Und wir werden entscheiden, wie wir sie tragen wollen. Unsere Ausbilderin | |
| ist kein Fan von Pistolenholstern, die am BH, direkt auf dem Bauchband, am | |
| Oberschenkel oder am Fußgelenk befestigt sind: „weil der Zugriff | |
| umständlich ist“. Aber sie führt sie uns alle vor. Holster, die im | |
| Hoseninneren getragen werden, hält sie für eher männertauglich: „weil sie | |
| auftragen“. | |
| ## Der richtige Fummel | |
| Und falls wir eine Handtasche mit einem Mittelfach für eine Pistole | |
| anschaffen wollen, sollen wir darauf achten, dass es eine harte Schale hat, | |
| damit wir uns beim Griff nach der Waffe nicht verheddern. Schließlich muss | |
| es schnell gehen, wenn wir sie brauchen. Vermutlich werden wir auch unsere | |
| Kleidung dem neuen Lebensstil anpassen. Möglicherweise kaufen wir unsere | |
| Kleider künftig eine Nummer größer und entscheiden uns für festeren Stoff, | |
| weil sich Pistolen darunter nicht abzeichnen. Lediglich ein Outfit hält | |
| unsere Ausbilderin für schwer vereinbar mit der Pistole: Das hautenge, | |
| kleine Schwarze. „Wenn bei einer Party Schusswaffen nötig sind, würde ich | |
| erwägen, nicht hinzugehen“, sagt sie. | |
| Wir sitzen im Halbkreis auf Stühlen vor ihr, während sie vor uns am Boden | |
| kniet und ihre „Semiauto“ in Windeseile in vier Einzelteile zerlegt. Uns | |
| zeigt, wie wir sie mit Watte, Bürsten und Q-Tipps reinigen können. Und uns | |
| versichert, dass wir alle anderen Wartungsarbeiten ohne Gesichtsverlust den | |
| Fachleuten überlassen können: „dafür sind die da“. Mehrere Teilnehmerinn… | |
| klatschen, als sie sehen, wie einfach das Zerlegen ist. | |
| Die Stimmung ist wie bei einem Tupperware-Treffen. Ich erfahre die Namen | |
| von besonders guten Accessoires-Herstellern. Und die Adressen der besten | |
| Waffenhändler in Virginia. Es sind Geschäfte, die Frauen genauso wie Männer | |
| behandeln. Anderswo würde unsere Ausbilderin niemals einkaufen. | |
| ## Schusswaffe möglichst hörbar laden | |
| Wenige Tage vor dem Kurs hat ein vierjähriger Junge beim Spiel im | |
| Elternhaus einen Sechsjährigen erschossen. Das in den USA nicht seltene | |
| Drama hat Schlagzeilen gemacht. Aber in unserem Kurs kommt es nicht vor. | |
| Wir befassen uns nicht mit Politik oder Moral. Wir lernen schießen. | |
| Techniken. | |
| Zum Thema Gefahren sagt die Ausbilderin einen Satz aus dem NRA-Repertoire. | |
| Der ist so bekannt, dass mehrere Teilnehmerinnen ihn laut mitsprechen: | |
| „Schusswaffen töten nicht – Menschen töten“. Kinder und Schusswaffen si… | |
| für sie kein Problem. Immer vorausgesetzt, die Eltern machen die Erziehung | |
| richtig. Vor allem müssen sie Kindern beibringen, dass sie sich von Waffen | |
| fernhalten. Möglichst schon im Krippenalter. Zusätzlich können sie ihre | |
| Kleinen ab drei in „sichere Schusswaffen“-Kurse der NRA schicken. | |
| Etwas länger als mit Kindern halten wir uns mit der Frage auf: Was tun, | |
| wenn der Ernstfall kommt? Unsere Ausbilderin empfiehlt die Aufbewahrung von | |
| Schusswaffen in einem Safe im Schlafzimmer. Wenn wir „den Kriminellen“ | |
| hören, sollen wir drei Dinge tun: „911“ wählen und die Polizei | |
| verständigen. Die Schusswaffe aus dem Safe holen und laden – und zwar | |
| möglichst laut hörbar. Anschließend rufen wir dem Kriminellen zu, dass wir | |
| bewaffnet sind und schießen. „Das ist auch eine rechtliche Absicherung“, | |
| rät unsere Ausbilderin. Eine Teilnehmerin fügt hinzu, dass eine solche | |
| Vorwarnung in Texas unnötig ist, wenn jemand unerlaubt Privatbesitz | |
| betritt. | |
| ## Ich kriege eine Glock 19 | |
| Das Waffenrecht in den USA ist eine komplizierte Sache. Jeder Bundesstaat | |
| hat unterschiedliche Gesetze. Und überall versucht die NRA, die Grenzen zu | |
| ihren Gunsten zu verschieben. | |
| Tags drauf händigt mir eine der bewaffneten Damen am Empfang Ohrschützer, | |
| eine Schutzbrille und eine halbautomatische Pistole aus. Ich bekomme eine | |
| Glock 19. Die Dame rät mir zum Kauf einer Großpackung Patronen: „Das ist | |
| günstiger.“ Aber ich bleibe bei 50 Stück. Für diesen praktischen Teil des | |
| Kurses wird jede von uns von einer Lehrerin in die Schießbox begleitet. Ich | |
| drücke Patronen ins Magazin. Meine Lehrerin schickt die Zielscheibe per | |
| Knopfdruck auf die Bahn vor mir. Ich gebe meine ersten Schüsse im Sitzen | |
| ab. | |
| Die Pistole wird durch einen Aufsetzer auf dem Tisch vor mir gestützt. Ich | |
| richte Kimme und Korn aus. Ziele. Treffe. Meine Lehrerin nimmt den Tisch | |
| weg. Ich stehe an der roten Linie und schieße. Anfangs bin ich benommen von | |
| jedem Knall. Und ich bin schockiert darüber, wie einfach es ist. Dann | |
| ballere ich eine kleine Serie. Wieder gehen alle Schüsse in die beiden | |
| innersten Kreise. | |
| Zum Schluss bekomme ich ein Zertifikat, mit dem ich eine Genehmigung für | |
| verstecktes Pistolentragen in Virginia beantragen kann. Und die Frage, ob | |
| ich NRA-Mitglied werden möchte. Meine Lehrerin umrandet meine Einschüsse | |
| mit einem breiten roten Filzer. „Sehr gut“, sagt sie und überreicht mir die | |
| durchlöcherte menschliche Zielscheibe als Souvenir: „Du solltest wieder | |
| kommen.“ | |
| Als Journalistin an einem Schießkurs teilzunehmen, gestaltete sich als | |
| äußerst schwierig. Die NRA reagierte gar nicht erst auf die Anfrage der | |
| taz. Deswegen meldet sich unsere Reporterin als gewöhnliche Teilnehmerin | |
| an. Weil sie dort inkognito war, kann sie nicht namentlich zitieren. | |
| 8 May 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://home.nra.org/ | |
| ## AUTOREN | |
| Dorothea Hahn | |
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