| # taz.de -- Forschung zur NS-Vergangenheit: Morsches Fundament | |
| > Die Bundesbehörden geben viel Geld aus, um eigene NS-Belastungen zu | |
| > erhellen. Doch Auftragsforschung kann problematisch sein. | |
| Bild: Die Rosenburg im Bonn Ortsteil Kessenich im Jahr 2006. | |
| BERLIN taz | Es geht um Biografien wie die des Juristen Eduard Dreher. 1943 | |
| war er als Staatsanwalt in Innsbruck an Todesurteilen wegen | |
| Bagatelldelikten beteiligt. Nach dem Krieg machte er Karriere im | |
| Justizministerium und wurde Ministerialdirigent. 1968 schrieb Dreher in dem | |
| unscheinbaren Ordnungswidrigkeiten-Gesetz einen Passus, der einen großen | |
| Teil von NS-Tätern fortan wirksam vor der Justiz schützte. | |
| Danach konnten auch Planer des Holocaust im Reichsicherheitshauptamt de | |
| facto nicht mehr für Mord, sondern nur noch für Mordversuch angeklagt | |
| werden. Und der war 1960 verjährt. Der Bundestag winkte das Gesetz durch – | |
| offenbar ohne zu bemerken, was er tat. | |
| Die Geschichte der NS-Belasteten in den Führungsetagen ist im Großen und | |
| Ganzen bekannt. Aber wie viele waren es in Ministerien und Behörden genau? | |
| Haben sich die Exnazis angepasst, um dem Scheinwerferkegel der in den 60er | |
| Jahren zunehmend kritischen Öffentlichkeit zu entgehen? Oder waren sie doch | |
| von NS-Ideologie beseelt? | |
| Ist es Common Sense, dass die Übernahme der Funktionseliten aus NS-Zeiten | |
| der Preis für den Aufbau der Demokratie war? Oder war das Fundament der | |
| Bundesrepublik, institutionell gesehen, doch morsch? | |
| Diese Fragen ventilierte am Mittwoch ein Symposion in Berlin zur | |
| Erforschung der NS-Geschichte bundesdeutscher Ministerien (siehe unten | |
| stehender Kasten). | |
| ## Im Justizministerium war fast die Hälfte NS-belastet | |
| Dem Bundesjustizministerium kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Es | |
| beeinflusste nicht nur die Verfolgung von NS-Tätern, es war auch der Ort, | |
| an dem die Republik zum Rechtsstaat modelliert wurde. Die Studie „Die | |
| Rosenburg“, benannt nach dem ersten Bonner Sitz des Justizministerium und | |
| herausgegeben von Manfred Görtemaker und Christoph Safferling, versucht | |
| eine Bestandsaufnahme. | |
| Ende der 50er Jahre waren 48 Prozent aller Beamten im Ministerium | |
| NS-belastet, bei den Abteilungsleitern sogar 60 Prozent. Diese Zahlen nennt | |
| der Rechtsprofessor Joachim Rückert in einem Aufsatz für den Band – und | |
| kommt zu einem erstaunlichen Schluss: Es war alles nicht so schlimm. Die | |
| reinen Zahlen mögen zwar „niederschmetternd“ klingen. Doch die | |
| NS-Belasteten seien „einfach eine professionelle Elite in neuer Funktion“ | |
| gewesen. | |
| Die Juristen aus der NS-Zeit hätten, so Rückert, nach 1945 „einigermaßen | |
| erschütternde Entnazifizierungsverfahren“ ertragen müssen. Die | |
| NS-Belasteten im Justizministerium erscheinen bei Rückert eher als Opfer | |
| einer juristisch kenntnislosen, empörungsbereiten Öffentlichkeit. | |
| So seien Drehers Todesurteile nur Teil „einer ziemlich rohen Kriegsjustiz“ | |
| gewesen. Harte Zeiten, harte Urteile. Außerdem sei Dreher nicht typisch für | |
| die NS-Belasteten gewesen. Sondern jemand wie Karl Dallinger, ein Fachmann, | |
| über den nichts Übles zu sagen sei, schreibt Rückert. | |
| ## Rückerts Aufsatz zeigt eine gewöhnungsbedürftige Publikationspraxis | |
| Was klingt wie eine Generalabsolution, ist ein Herzstück des Bandes „Die | |
| Rosenburg“. Man mag dies für ein Indiz halten, dass es mit dem Konsens, | |
| dass die Integration der Eliten moralisch skandalös, aber funktional war, | |
| doch nicht so weit her ist. Schon die Studie „Das Amt“, die der Legende von | |
| den unpolitischen Diplomaten im Dritten Reich widerspracht, löste eine | |
| Kontroverse aus. Es war noch einmal das Duell Aufbaugeneration gegen 68er. | |
| Rückerts Aufsatz zeigt auch eine gewöhnungsbedürftige Publikationspraxis. | |
| Die Forschung, die Sichtung der Personalakten hat noch gar nicht begonnen. | |
| Der Band „Die Rosenburg“, immerhin von Justizministerin Sabine | |
| Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) beim Symposion in Berlin vorgestellt, | |
| enthält daher kaum Neues. War es nicht mal Usus, erst zu publizieren, wenn | |
| man schon geforscht hat? | |
| Herausgeber Christoph Safferling hat inzwischen recherchiert, dass Dreher | |
| in Innsbruck an weit mehr Todesurteilen beteiligt war als bisher bekannt. | |
| Rückerts schräge Thesen stehen auch faktenmäßig auf sandigem Grund. | |
| Es geht nicht nur um das Justizministerium, das für die Forschung rund 1 | |
| Million Euro lockermacht. Fast alle Ministerien werden auf NS-Kontinuitäten | |
| analysiert. Rund 10 Millionen Euro kosten diese Projekte zusammen. | |
| Ausgelöst hat diese Forschungslawine die Kontroverse um „Das Amt“. Weil | |
| sich die NS-Forschung akademisch seit Jahren auf dem absteigenden Ast | |
| befindet, wird dies wohl das letzte große Historikerprojekt zur NS-Zeit | |
| sein. | |
| ## Auftragsarbeiten mobilisieren oft Misstrauen | |
| Doch Auftragsarbeiten mobilisieren oft Misstrauen. Schon die Herausgeber | |
| der vom damaligen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) beauftragten Studie | |
| über „Das Amt“ wurden als „Fischers willige Helfer“ denunziert. Das war | |
| dumme Polemik. Doch die Frage, ob Historiker einen Graubereich betreten, | |
| wenn Auftraggeber und Forschungsgegenstand in eins fallen, ist nicht | |
| abwegig. Manfred Görtemaker, Mitherausgeber von „Die Rosenburg“, lobt darin | |
| ausführlich das geschichtspolitische Wirken des FDP-Justizministers Hans | |
| Engelhardt, Vorgänger und Parteifreund von Leutheusser-Schnarrenberger. | |
| Auch wenn das sachlich begründet sein mag: Es hat schnell einen Geschmack. | |
| Die Gefahr ist nicht, dass die Ministerialbürokratie den Historikern sagt, | |
| wo es langgeht. Sondern dass die Historiker „Teil der | |
| Kommunikationsstrategie der Auftraggeber“ werden, so Constantin Goschler, | |
| der die NS-Vorgeschichte des Verfassungsschutzes erforscht. Der | |
| selbstkritische Umgang mit der Vergangenheit ist, 50 Jahre danach, eher | |
| imageförderlich. Die frühere NS-Belastung von Ministerien lässt sich gut | |
| als glücklich überwundener und nun wissenschaftlich analysierter Missstand | |
| inszenieren. Der Wandel zur demokratischen Vorzeigeinstitution erscheint | |
| damit umso glänzender. | |
| 10 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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