# taz.de -- PROZESS: Es bleibt die Frage: warum? | |
> Am Montag beginnt der Prozess um den tödlichen Angriff auf den | |
> 20-jährigen Jonny K. am Alexanderplatz. Sechs Angeklagte stehen vor | |
> Gericht. Motiv weiter unklar. | |
Bild: Ein Schild vor der Rathaus-Passage am Alexanderplatz erinnert an den Tod … | |
Lärm von Baumaschinen dringt durch die Luft. Menschen hasten vorbei. Der | |
Alexanderplatz am Rathausforum, wo gerade ein neues Kaufhaus entsteht, ist | |
kein Ort zum Verweilen. Gänzlich unbeeindruckt von der Hektik sitzen zwei | |
ältere Damen vor dem Eiscafé Lampe und löffeln Gefrorenes. Warum das Zelt | |
auf dem Bürgersteig vor ihnen steht, beantworten sie sofort. „Jonny K.“, | |
sagt eine, die andere nickt. | |
Man muss nicht am Alexanderplatz wohnen, um Bescheid zu wissen. Im Zelt | |
hängt ein Foto, das einen lächelnden jungen Mann mit in die Höhe gerecktem | |
Daumen zeigt. „Hier starb in der Nacht zum 14. 10. 2012 der 20-jährige | |
Jonny K.“ steht da. | |
An diesem Montag beginnt vor dem Landgericht Berlin der Prozess gegen sechs | |
Männer im Alter zwischen 19 und 24 Jahren, die an der Prügelattacke auf | |
Jonny K. beteiligt gewesen sein sollen. Die Anklage lautet auf | |
Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche Körperverletzung und | |
Beteiligung an einer Schlägerei. | |
Es dürfte voll werden im Gerichtssaal. Der Fall hatte über Berlin hinaus | |
Wogen geschlagen. Das lag auch daran, dass Tina K., die Schwester von | |
Jonny, nach dessen Tod eine große Kampagne gegen Gewalt gestartet hat. Auch | |
der Alexanderplatz geriet als Ort der Gewalt in die Schlagzeilen. Nicht | |
alle Berichte waren sachlich. Die traurige Wahrheit ist: Dieser | |
Gewaltexzess hätte überall passieren können. | |
Es war mitten in der Nacht, genauer gesagt um 4 Uhr morgens, als Jonny K. | |
und seine drei Begleiter vor dem Eiscafé Lampe, wo jetzt das Zelt steht, | |
auf sechs Männer trafen, die sie nicht kannten. Was danach geschah, hat den | |
Ermittlungen zufolge nicht mehr als eine Minute gedauert. Völlig grundlos, | |
meint die Staatsanwaltschaft, sei Jonny K. mit Schlägen und Tritten | |
attackiert worden. Deren Wucht sei so groß gewesen, dass er zu Boden | |
stürzte und mit dem Hinterkopf auf dem Straßenpflaster aufschlug. Der | |
Sturz, so wird angenommen, war ursächlich für die zum Tode führende | |
Hirnblutung. Auch als Jonny wohl bewusstlos am Boden lag, soll er noch | |
mindestens einmal von einem der Angreifer gegen den Kopf getreten worden | |
sein. | |
Schlägereien unter Jugendlichen mit blutigem Ausgang gibt es immer wieder. | |
Auch Tritte gegen den Kopf. Erinnert sei an den Fall des 18-jährigen Torben | |
P., der im U-Bahnhof Friedrichstraße einem bewusstlos am Boden Liegenden | |
viermal mit voller Wucht gegen den Kopf trat. Die von Videokameras | |
aufzeichnete Tat hatte deutschlandweit Empörung ausgelöst. Anders als Jonny | |
K. hatte das Opfer allerdings überlebt und nicht einmal bleibende Schäden | |
davongetragen. | |
Manche Medien sprechen im Fall von Jonny K. von Mord. Mord setzt Planung | |
und Hinterlist voraus. Selbst Innensenator Frank Henkel (CDU) hat unlängst | |
bei der von Tina K. für ihren toten Bruder initiierten Gedenkveranstaltung | |
die Tatverdächtigen als Mörder bezeichnet. Von einem Innensenator sollte | |
man ein bisschen mehr Differenzierungsvermögen verlangen können. Die | |
Staatsanwaltschaft hat nicht einmal auf Totschlag angeklagt. | |
In ihrer Anklage auf Körperverletzung mit Todesfolge kommt die | |
Strafverfolgungsbehörde zu folgender Wertung: Die Angreifer seien in der | |
Übermacht gewesen. Sie hätten erkennen müssen, dass der massive Angriff auf | |
Jonny K. lebensbedrohlich war. Allerdings hätten sie den tödlichen Ausgang | |
nicht billigend in Kauf genommen. Die Höchststrafe für Körperverletzung mit | |
Todesfolge ist bei Heranwachsenden 10 Jahre, bei Erwachsenen 15 Jahre. | |
Die sechs Männer, die ab Montag auf der Anklagebank sitzen, sind Osman A. | |
(19 Jahre) Melih Y. (21 Jahre) Hüseyin I.-O. (21 Jahre), Memet E. (20 | |
Jahre), Bilal K. (24 Jahre) und Onur U. (19 Jahre). Die Verhandlung findet | |
vor einer großen Jugendstrafkammer statt. Bis zum vollendeten 21. | |
Lebensjahr kann ein Gericht Jugendstrafrecht anwenden. Bislang war durch | |
die Medien gegeistert, Onur U. sei der Hauptverdächtige. Der 19-jährige | |
Amateurboxer hatte sich in die Türkei abgesetzt und sich erst Anfang April | |
gestellt. Laut den Informationen der taz gilt aber Bilal K. als | |
Hauptverdächtiger. Auch er war ein halbes Jahr in der Türkei untergetaucht | |
gewesen. | |
Die sechs Tatverdächtigen sollen in jener Nacht Einlass in die Bar Cancun | |
in der Rathauspassage begehrt haben, aber abgewiesen worden sein. Sie | |
hätten sich untereinander zum Teil gar nicht gekannt, heißt es. Vor dem | |
Eisladen Lampe kam es zu der verhängnisvollen Begegnung mit der anderen | |
Gruppe. Zu der gehörten der Thaideutsche Jonny K., der afrodeutsche Gerhard | |
C. und die gebürtigen Vietnamesen Can N. und Bao N. Sie kamen aus der unter | |
dem Fernsehturm gelegenen Bar Mio. Die Herkunft soll an dieser Stelle | |
erwähnt werden, weil es Vermutungen gab, die Abstammung könne bei der Tat | |
eine Rolle gespielt haben. Die sechs Tatverdächtigen sind griechischer | |
beziehungsweise türkischer Herkunft. „Die Ethnien spielten gar keine | |
Rolle“, ist sich allerdings Friedhelm Enners, Anwalt von Bilal K., sicher. | |
Gerhard C. habe den völlig betrunkenen Bao N. Huckepack getragen, meint die | |
Staatsanwaltschaft. Jonny K. sei hinter den beiden gelaufen. Auf einem | |
Stuhl vor dem Eisladen habe Conrad C. Bao N. absetzen wollen, bis Can N. | |
ein Taxi geholt hatte. Onur U. habe in dem Moment den Stuhl weggezogen, | |
woraufhin Conrad C. mit dem Betrunkenen zu Boden gefallen sei. | |
Mit erhobenen Armen und dem Wort „Ey“ sei Jonny K. herangetreten, ohne auch | |
nur ansatzweise tätlich zu werden. Auch Gerhard C. wurde bei der | |
Auseinandersetzung verletzt. Der genaue Tathergang wird vor Gericht nicht | |
einfach zu klären sein. Bislang haben die Beschuldigten unterschiedliche | |
Aussagen gemacht oder geschwiegen. | |
Bilal K.s Anwalt Enners erhofft sich einen ruhigen und sachlichen Prozess. | |
„Hier geht es um Schuld- und Strafbewertung.“ Auf die Frage nach dem Warum | |
hat er bislang keine Antwort gefunden. Seine Interpretation ist die: „Das | |
war kein schweres Verbrechen, sondern ein schweres Unglück.“ | |
Der Prozess ist bis Mitte Juni angesetzt. | |
13 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
## TAGS | |
Jonny K. | |
Jugendgewalt | |
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Frank Henkel | |
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
Heinz Buschkowsky | |
Gewalt | |
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