# taz.de -- Kommentar Syrien: Letzte Chance Flugverbot | |
> Eine Flugverbotszone könnte der syrischen Opposition im Kampf gegen das | |
> Assad-Regime helfen. Im kurdischen Nordirak hat das jahrelang gut | |
> funktioniert. | |
Bild: Flugverbot: Die MIGs der syrischen Luftwaffe müssten am Boden bleiben. | |
Von Bagdad nach Sulaimanija zu reisen, war vor zehn Jahren ein höchst | |
bizarres Erlebnis. Während in der irakischen Hauptstadt die Paläste offen | |
und die Schulen geschlossen waren, Plünderungen, Stromausfälle und | |
Verkehrschaos den Alltag bestimmten, wirkte der kurdische Norden wie das | |
Schwabenland nach der Kehrwoche. | |
Polizisten achteten darauf, dass die Autofahrer ihre Beifahrer nur zum | |
Bürgersteig ausstiegen ließen. Die Telefone funktionierten, und in den | |
Hotels wurden sogar Kreditkarten akzeptiert. Die Foltergefängnisse Saddam | |
Husseins waren bereits zu Gedenkstätten umgewandelt, und wirtschaftlich | |
wurde ein bescheidener Wohlstand erreicht. | |
Zu verdanken hatten die Kurden das kleine Wunder im Nordirak der | |
Flugverbotszone „Operations Provide Comfort“, die Amerikaner, Briten und | |
Franzosen nach dem Aufstand der Kurden und Schiiten 1991 nördlich des 36. | |
und südlich des 32. Breitengrades verhängten. Da der kurdische Widerstand, | |
die Peschmerga, das Territorium auch am Boden verteidigen konnte, wurden | |
die Kurden de facto zehn Jahre vor dem Rest des Irak von der Diktatur | |
befreit und wussten dies für den Aufbau quasistaatlicher Strukturen zu | |
nutzen. | |
Warum sollte ein solche Schutzzone nicht auch in Nordsyrien funktionieren? | |
Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, was bei der für Juni | |
geplanten internationalen Syrien-Konferenz herauskommen wird: bestenfalls | |
Arbeitsgruppen. Derzeit trifft sich ein wichtiger Teil der Opposition, die | |
Nationale Syrische Koalition, in Istanbul. Unter den Regimegegnern ist | |
höchst umstritten, ob man an einer Syrien-Konferenz und Verhandlungen | |
überhaupt noch teilnehmen sollte. | |
## Waffenlieferungen könnten in die falschen Hände geraten | |
Nach geschätzten 70.000 Toten ist für viele ein Kompromiss mit dem Regime | |
undenkbar geworden. Der Westen muss sich zwangsläufig mit anderen Optionen | |
befassen. Eine Aufhebung des Waffenembargos oder gar gezielte | |
Waffenlieferungen? Ein zweifelhaftes Unterfangen, denn sie könnten in die | |
falschen Hände geraten – in die der Dschihadisten, die damit nicht nur den | |
„nahen Feind“ Baschar al-Assad, sondern letztlich auch den „fernen Feind�… | |
USA und Europa bekämpfen werden. | |
Man würde sich außerdem gemeinmachen mit den Monarchien Saudi-Arabien und | |
Katar, die schon jetzt die vorwiegend sunnitische Opposition gegen die | |
alewitische Herrschaftselite ausrüsten – und damit alles andere im Sinn | |
haben als Demokratie in Syrien. | |
Noch härtere Sanktionen? Bisher haben die Strafmaßnahmen zu nichts geführt. | |
Ein Regime, das ums Überleben kämpft, lässt das kalt. Die Sanktionen geben | |
den westlichen Entscheidungsträgern lediglich das beruhigende Gefühl, nicht | |
nichts zu tun. Man kann es ihnen nicht verdenken, denn ein weiterer Krieg | |
wie in Afghanistan oder Irak ist weder bei der amerikanischen noch der | |
europäischen Bevölkerung durchzusetzen. | |
## Abschussprämie: 14.000 Dollar | |
Aber was spricht gegen eine Flugverbotszone? In Libyen haben die westlichen | |
Verbündeten sie dazu genutzt, einen Luftkrieg zu führen, der kaum noch | |
etwas mit einem Flugverbot zu tun hatte. Im Nordirak jedoch war das anders. | |
Mit Kontrollflügen haben die USA, Großbritannien und Frankreich den | |
Luftraum überwacht. Oft wurden die Kampfflieger beschossen. Saddam Hussein | |
hatte sogar ein Abschussprämie von 14.000 Dollar ausgesetzt (es traf | |
trotzdem keiner). Im Fall Nordsyriens könnten in der Türkei aufgestellte | |
Flugabwehrsysteme für ein Ende der Luftangriffe sorgen. Kampfflugzeuge | |
müsste den Luftraum zusätzlich kontrollieren. | |
Eine no-fly zone würde der syrischen Opposition ermöglichen, eine Regierung | |
zu bilden und Strukturen für ein neues Syrien aufzubauen. Die Rebellen | |
hätten einen Rückzugsort und Flüchtlinge eine Zuflucht, zu der auch | |
Hilfsorganisationen vordringen könnten. Das Feld würde nicht völlig den | |
Islamisten überlassen. | |
Eine Flugverbotszone birgt natürlich Risiken. Und auf eine Rückendeckung | |
durch den UN-Sicherheitsrat braucht man nicht zu hoffen. Aber sie wäre eine | |
Chance für die geschundenen Syrer, vielleicht die einzige. Der Einwand, | |
eine Intervention verschlimmere die Lage nur, gilt jedenfalls nicht mehr. | |
Nachdem wir wissen, dass Giftstoffe eingesetzt wurden und die libanesische | |
Hisbollah offen auf Seiten Assads kämpft, haben sich die Vorzeichen | |
verändert: Schlimmer kann es nicht mehr werden. | |
24 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Silke Mertins | |
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