# taz.de -- Gefährliches Feuer: Lieferengpass bei Löschmittel | |
> Der Brand auf dem Atomfrachter „Atlantic Cartier“ im Hamburger Hafen mit | |
> Uranhexafluorid an Bord hat ein politisches Nachspiel. Trotz | |
> Atom-Umschlagsverbot wäre so ein Unfall auch in Bremischen Häfen möglich. | |
Bild: Kein CO2 verfügbar: Löscharbeiten beim Brand der "Atlantic Cartier" zum… | |
HAMBURG/ BREMEN taz | Die Beinahekatastrophe auf dem Auto- und | |
Containerfrachter „Atlantic Cartier“ im Hamburger Hafen, der am Abend des | |
1. Mai inmitten der Kirchentag-Eröffnungsfeier in der Hafencity am | |
gegenüberliegenden O‘Swald-Terminal mit atomarer Ladung an Bord in Brand | |
geraten ist, hat nach mehreren Wochen Verheimlichung nun ein | |
parlamentarisches Nachspiel. | |
Am Freitag wird sich der Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft | |
außerordentlich mit den dramatischen Ereignissen in jener Nacht befassen, | |
nachdem die Antwort der Senatskommision der SPD-Regierung am Freitag auf | |
eine weitere kleine Anfrage der Grünen ergeben hat, dass die Hansestadt | |
tatsächlich an einer Katastrophe vorbeigeschrammt ist. | |
„Das eingestandene Brandereignis zeigt schon, dass ein weitaus größeres | |
Schadensereignis stattgefunden hat, als zunächst offiziell eingeräumt | |
worden ist“, sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Antje Möller | |
der taz. „Die Lage war so ernst, dass frühzeitig der Katastrophenschutz | |
informiert worden ist“, sagt Möller. | |
Zudem war sofort das bundesdeutsche Havariekommando in Cuxhaven | |
eingeschaltet worden und Fachkompetenz der Spezialeinsatzgruppen | |
Schiffsicherung (SEG-S) aus Hamburg, Brunsbüttel und Cuxhaven hinzugezogen | |
worden. Wichtige Einsatzmittel zur wirksamen Brandbekämpfung von | |
Schiffsbränden standen jedoch nicht – oder zumindest nicht ausreichend – | |
zur Verfügung. | |
Der Brand auf der „Atlantic Cartier“ der Reederei Atlantic Container Line“ | |
(ACL) war nach offiziellen Angaben gegen 19.30 Uhr auf dem Pkw-Unterdeck 3b | |
ausgebrochen. Als die Hamburger Berufsfeuerwehr gegen 20.02 Uhr alarmiert | |
und gegen 20.15 Uhr eingetroffen war, musste laut offiziellen Angaben ein | |
„Innenangriff“ des Feuers wegen der schon zu starken Hitzeentwicklung | |
abgebrochen werden. | |
Als die Feuerwehreinsatzleitung von der Wasserschutzpolizei erfuhr, dass | |
das Schiff auch nukleare Stoffe wie neun Tonnen Uranhexafluorid, elf Tonnen | |
angereichertes Uranoxid und unbestrahlte Brennelemente sowie hochexplosives | |
Ethanol und Munition geladen hatte, ist die bordeigene | |
Kohlendioxid-Löschanlage von der Besatzung und der Feuerwehr ausgelöst | |
worden. Der Container mit dem Uranhexafluorid, der nach Angaben der | |
Feuerwehr ganz vorn auf dem Schiff und insofern ein Stück weiter vom | |
Brandherd entfernt stand, wurde per Kran von dem Schiff heruntergehoben. | |
Das Kohlendioxid brachte die Flammen im Parkdeck jedoch nicht zum | |
Erlöschen. Offiziell war das Deck durch das Schließen der „Side Door“ zwar | |
vollständig verschlossen, nach Angaben aus Feuerwehrkreisen konnte das | |
Kohlendioxid jedoch das Feuer nicht ersticken, weil Luken nicht dicht | |
waren. | |
Daraufhin versuchte die Feuerwehr-Leitzentrale, so steht es in der Antwort | |
des Senats, weitere 25 Tonnen CO2 bei Firmen und der chemischen Industrie | |
zu ordern, weil CO2 aus Kostengründen bei der Hamburger Feuerwehr nicht | |
mehr vorgehalten wird, um über die „bordeigene Löschanlage“ eine | |
„nochmalige Flutung des Laderaum“ zu unterstützen. „Eine entsprechende | |
Menge CO2 war zwar vorhanden, aber die Anlieferung beziehungsweise die | |
technische Bereitstellung der geforderten Menge nicht kurzfristig | |
realisierbar“, so der Senat. Der Hintergrund: Bei den Firmen, die | |
normalerweise das Löschmittel vorrätig halten, war am Abend des 1. Mai | |
niemand zu erreichen. Die Feuerwehrführung entschloss sich deshalb, gegen | |
23.08 Uhr unter der Lebensgefahr der Einsatzkräfte die | |
Gefahrengut-Container über eine Containerbrücke des O‘Swald-Kai und einen | |
mobilen Kran von Bord zu holen. | |
## Das Feuer war nah an der gefährlichen Ladung | |
„Der vermutliche Brandherd befand sich unterhalb der Ethanol-Ladung und den | |
radioaktiven Ladungen in Bay 21, jedoch in Längs- und Querrichtung rund 10 | |
bis 15 Meter versetzt“, schreibt der Senat. Nach der Evakuierung der | |
Container konnte neben der Kühlung des Schiffsrumpfes von außen auch | |
Löschwasser im Inneren eingesetzt werden. Das war zuvor nicht möglich, da | |
sonst in Verbindung mit Uranhexafluorid aus einem womöglich defekten | |
Container die gefährliche Flusssäure entstanden wäre, die giftiger und | |
ätzender als Salzsäure ist und in einem Radius von bis zu 1.000 Metern zu | |
schweren Verletzungen hätte führen können. | |
Für Beobachter drängt sich die Frage auf, wie es möglich ist, dass so ein | |
Sammelsurium an Gefahrenstoffen auf einen Schiff mit Atomfracht | |
unbeanstandet in norddeutschen Häfen kommen konnte. „Jeder Atomtransport | |
ist eine tickende Zeitbombe“, erklärt der bremische Linken-Abgeordnete | |
Klaus Rainer Rupp. Die Bremische Bürgerschaft hat letztes Jahr per Änderung | |
des Hafenbetriebsgesetzes eine Sperrung der landeseigenen Häfen für | |
Kernbrennstoffe vorgenommen. „Diese Teilentwidmung schließt ein Szenario | |
wie in Hamburg aber nicht aus“, erklärte Rupp: „Dafür hätten die Häfen,… | |
von uns gefordert, auch für Uranhexaflourid und andere radioaktive | |
Transporte gesperrt werden müssen.“ Die regierenden SPD und Grüne hätten | |
den Schritt nicht mitgemacht, Bremens Hafensperre für radioaktiven Umschlag | |
sei damit „eine halbgare Angelegenheit“. | |
Zu der Frage, was das bremische Hafenbetriebsgesetz zu den betreffenden | |
Containern der „Atlantic Cartier“ gesagt hätte, hat der Sprecher der | |
zuständigen Hafenbehörde, Holger Bruns, eine differenzierte Antwort. „Bei | |
uns hätte dieser Container nicht umgeschlagen werden dürfen“, sagt er klar, | |
weil es sich um spaltbaren Kernbrennstoff gehandelt habe, der in der | |
Ladungsliste der „Atlantic Cartier“ mit der UN-Gefahrenklasse „7(8)2977“ | |
verzeichnet war. Im Hamburger Hafen kamen in der letzter Zeit alle zwei | |
Wochen Schiffe mit dieser Gefahrenklasse an. In den Ladelisten steht hinter | |
der Gefahrenklasse mal ein kleines „I“ oder „E“, mal ein „T“. Diese | |
Buchstaben haben große Auswirkungen: „I“ steht für Import, „T“ aber s… | |
für Transit und das wäre auch in Bremerhaven erlaubt, denn Transit gilt | |
nicht als „Umschlag“. | |
## Gefahrgutstelle für gefährliche Container | |
Es ist also auch in Bremerhaven ein denkbares Szenario, dass auf einem im | |
Hafen liegendes Schiff, auf dem Transit-Container mit Kernbrennstoffen | |
lagern, ein Feuer ausbricht. Container mit besonderen Gefahrengütern | |
müssten immer am Rande des Schiffes stehen, damit sie schnell abgeladen | |
werden können. Container mit besonderem Gefahrgut könnten vorsorglich vom | |
Schiff genommen und an einer besonderen Gefahrgutstelle gelagert werden, | |
wenn ein Containerfrachter länger im Hafen liegt, „das entscheidet das | |
Hafenamt“, sagt die Bremerhavener Feuerwehr. | |
Bei der „Atlantic Cartier“ hätte man bei einer derart langen Liegezeit die | |
Container herunternehmen können, sagt die Feuerwehr Bremerhaven. Auf solche | |
Debatten möchte man sich in Hamburg nicht einlassen. „Alle Vorschriften | |
sind eingehalten worden“, erklärt die Hamburger Wasserschutzpolizei, | |
„dieser Container musste nicht vorher von Bord genommen werden“. | |
26 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
Klaus Wolschner | |
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