# taz.de -- Holger G. spricht im NSU-Prozess: Ein guter Freund | |
> Holger G., der das NSU-Trio unterstützte, ist einer der wichtigsten | |
> Belastungszeugen. Die Pläne der mutmaßlichen Terroristen, seien ihm | |
> unklar gewesen. | |
Bild: Holger G. kennt das Trio der mutmaßlichen Rechtsterroristen schon seit m… | |
MÜNCHEN taz | Drei Mal muss Holger G. ansetzen, bis man ihn im Gerichtssaal | |
versteht. Er spricht zu leise und zu schnell, seine Stimme klingt seltsam | |
gepresst. Immer wieder muss er tief Luft holen, um dann die Sätze zusammen | |
mit einem Atemzug hörbar auszustoßen. Erst nachdem er eine Bankreihe nach | |
vorne gerutscht ist und das Mikrophon an seinem neuen Platz ausgetauscht | |
wurde, können ihn Richter Manfred Götzl und die Nebenklagevertreter im | |
NSU-Prozess am Oberlandesgericht in München verstehen. | |
Der 39-Jährige kennt das Trio der mutmaßlichen Rechtsterroristen schon seit | |
mehr als zwanzig Jahren aus seiner Heimatstadt Jena. Zusammen mit Beate | |
Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Ralf Wohlleben, einem weiteren | |
Angeklagten im NSU-Prozess, war er dort in der Kameradschaftsszene aktiv. | |
In Vernehmungen hat er bereits zugegeben, dem Trio mehrfach geholfen zu | |
haben: Gleich nach dem Untertauchen lieh er den dreien 3000 Mark, und | |
schließlich seine Identität. Er ließ sich für ein Foto für den Reisepass | |
mit der Nummer 1493022658 extra einen Oberlippenbart wachsen und setzte | |
sich eine Brille auf, um Böhnhardt ähnlich zu sehen. Er ließ sich den Pass | |
in Hannover ausstellen und brachte ihn dem Trio nach Zwickau. Böhnhardt | |
konnte so seine Identität annehmen und nannte sich in Anlehnung an Holger | |
G.s Nachnamen im Untergrund „Gerri“. | |
Irgendwann zwischen 2001 und 2002 fuhr G. noch mal mit dem Zug nach | |
Zwickau. In einem Stoffbeutel hatte er eine Waffe dabei. Sie war für das | |
Trio bestimmt. Ob Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos die Waffe für einen ihrer | |
insgesamt zehn Morde oder die Banküberfälle einsetzten, konnte nicht | |
ermittelt werden. Doch diese Taten G.s sind verjährt. | |
## Führerschein und ADAC-Karte | |
Noch nicht verjährt ist, dass G. Böhnhardt 2004 auch seinen Führerschein | |
und seine ADAC-Karte überließ. Mit dem Führerschein wurden mehrere Male | |
Wohnmobile angemietet, darunter diejenigen, die der NSU bei sechs seiner | |
Morde und beim Bombenanschlag in Köln 2004 benutzt haben soll, um nach der | |
Tat zu fliehen. | |
Als der erste Reisepass abgelaufen war, half G. dem Trio 2011 noch ein | |
weiteres Mal aus. Er ließ sich von Böhnhardt die Haare schneiden und setzte | |
für das Passfoto dessen Brille auf. Der Pass wurde für die Anmietung des | |
Wohnmobils benutzt, mit dem Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 ihren | |
letzten Banküberfall in Eisenach begingen – und sich noch am selben Tag das | |
Leben nahmen. | |
Zu all dem wollte G. am Donnerstag vor Gericht keine Fragen beantworten. | |
Auch dem Drängen des Richters gab er nach Absprache mit seinen Anwälten | |
nicht nach. Stattdessen verlas er eine vorverfasste Erklärung. Zschäpe, | |
Mundlos und Böhnhardt seien seine Freunde gewesen, erklärt er in seinem | |
knapp halbstündigen Vortrag immer wieder. Er habe es als Auszeichnung und | |
Aufwertung verstanden, „mit den Uwes“ befreundet gewesen zu sein, weil die | |
drei schon früh „eine gewisse Autorität in der Szene“ genossen. | |
Dass er seinen Freunden half, auch später noch, als diese längst | |
untergetaucht waren, sei für ihn eine Selbstverständlichkeit gewesen, ein | |
Freundschaftsdienst, dem Kameradschaftsbegriff der Szene entsprechend. Dass | |
die drei Gewalt anwenden würden, das habe er zu keinem Zeitpunkt für | |
möglich gehalten. Sogar Mitgefühl mit den Opfern äußerte G. gleich zu | |
Beginn seines Monologs und entschuldigte sich zum Schluss dafür, das Trio | |
im Untergrund unterstützt zu haben. Eines aber zieht sich wie ein roter | |
Faden durch seinen Vortrag: Er habe nie den Eindruck gehabt, mit den | |
Mitgliedern einer terroristischen Vereinigung befreundet gewesen zu sein | |
oder diese bei ihren Taten unterstützt zu haben, so G. | |
## Auf den neusten Stand gebracht | |
Auch die so genannten „Systemchecks“, von denen G. in den Vernehmungen | |
gesprochen hatte, Treffen also, bei denen das Trio auf den neusten | |
Informationsstand bezüglich seines Lebens gebracht wurde, relativierte er | |
am Donnerstag. Den Begriff habe er erst in der Rückschau geprägt. Zum | |
damaligen Zeitpunkt habe es sich mehr so angefühlt, als träfe er alte | |
Freunde, die er nur selten sehe. | |
Der 39-jährige Lagerist ist in dem Verfahren nicht nur Angeklagter; er ist | |
auch ein Zeuge, der Beate Zschäpe belastet. Die Bundesanwaltschaft bezieht | |
sich in ihrer Anklageschrift stark auf seine Aussage. In seiner | |
Stellungnahme bestätigte er nun noch einmal, dass Zschäpe bei der | |
Waffenübergabe in Zwickau dabei gewesen war. Sie habe ihn am Bahnhof | |
abgeholt und zugesehen, wie die Waffe bei der Übergabe durchgeladen wurde. | |
Mit seinen Aussagen belastet er zugleich Ralf Wohlleben. Der soll ihn | |
gebeten haben, die Waffe zu überbringen, weil er selbst fürchtete unter | |
Beobachtung zu stehen. | |
G.s Rolle in der rechten Szene indes ist zweifelhaft. Noch vor dem | |
Abtauchen der drei Freunde war er mit seiner Mutter in den Raum Hannover | |
gezogen. Dort schloss er sich der „Kameradschaft 77“ an; später den „Fre… | |
Nationalisten Hannover“. Seit 2004, so behauptet er, sei er aus der | |
Naziszene ausgestiegen. Trotzdem war er danach noch auf Demonstrationen und | |
beim Prozess eines Kameraden – auch das ein Freundschaftsdienst, wie er am | |
Donnerstag erklärte. | |
Erst als Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos im Mai 2011 unangekündigt bei ihm | |
vor der Türe standen, will er erstmals gezögert haben ihnen zu helfen. Doch | |
darauf seien die drei vorbereitet gewesen. Er habe sich von Mundlos und | |
Böhnhardt „in die Zange genommen gefühlt“ und willigte schließlich ein: … | |
dem Passamt beantragte er in Begleitung von Beate Zschäpe einen neuen | |
Reisepass. „Unwohl“ sei ihm dabei gewesen, wie er sagt: „Wahrscheinlich | |
weil ich es diesmal nicht freiwillig gemacht habe.“ Aber seine alten | |
Freunde lässt man offenbar nicht im Stich. | |
6 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
Andreas Speit | |
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