| # taz.de -- Debatte EU, Deutschland und China: Europa war gestern | |
| > Der deutsche Liberalismus wird merkwürdig: Der unbeschränkte Handel mit | |
| > China ist ihm wichtiger als der Zusammenhalt in der EU. | |
| Bild: So sieht chinesischer Protest aus. | |
| Der deutsche Liberalismus treibt merkwürdige Blüten. Früher, in der | |
| sozialliberalen Ära, stand er für wirtschaftliche und politische Freiheit. | |
| Handel wurde nicht als Wert an sich, sondern als Motor des (demokratischen) | |
| Wandels verstanden. Selbst ein Graf Lambsdorff wäre wohl nie auf die Idee | |
| gekommen, der Sowjetunion deutsche Autos zu verkaufen, wenn er dabei | |
| westliche Werte verraten müsste. | |
| Unter FDP-Chef Rösler und CDU-Kanzlerin Merkel gelten andere Gesetze. | |
| Plötzlich ist der unbeschränkte Kommerz mit dem staatskapitalistischen | |
| China wichtiger als die Regeln, die die Welthandelsorganisation WTO und die | |
| EU aufgestellt haben. Wandel durch Handel gilt nicht mehr, Export ist zum | |
| Selbstzweck geworden. | |
| Wer das nicht glaubt und immer noch der offiziellen Menschenrechtsrhetorik | |
| vertraut, wurde diese Woche eines Besseren belehrt. Im Handelsstreit | |
| zwischen der EU und China hat sich Berlin auf die Seite Pekings geschlagen. | |
| Nachdem sie den neuen chinesischen Premier Li zu einer milliardenschweren | |
| Shoppingtour nach Berlin geladen hatte, sprach sich Merkel gegen | |
| EU-Sanktionen aus. Mehr noch: Die Bundesregierung organisierte sogar eine | |
| Abwehrfront gegen Brüssel. Nicht nur Deutschland, sondern 16 weitere | |
| EU-Länder seien gegen die Strafzölle auf chinesische Solarpaneele, wurde in | |
| Berlin gestreut. Dass das ganze Verfahren von einer deutschen Firma – der | |
| einst gefeierten Solarworld – angestoßen worden war, sagte man lieber | |
| nicht. Dass in der Handelspolitik nicht die Länder das Sagen haben, sondern | |
| die EU-Kommission, auch nicht. | |
| Die Botschaft des ungewöhnlich aggressiven Manövers war klar: Brüssel soll | |
| den Mund halten, ungestörte Geschäfte mit China sind wichtiger als EU- und | |
| WTO-Regeln. Was schert uns Dumping in der kleinen Solarbranche, wenn es um | |
| große Weltkonzerne wie Bayer oder Daimler geht? Und was kümmert uns die | |
| Solidarität mit Staaten wie Frankreich, wenn die Deutschland AG gute | |
| Geschäfte machen kann? | |
| ## Schmusekurs mit Peking | |
| Überraschend kommt das nicht. Schließlich ist Berlin seit Jahren auf | |
| Schmusekurs mit Peking. Und schließlich bemüht sich Merkel seit Langem, die | |
| EU von einer Solidargemeinschaft in einen Club zur Maximierung des | |
| Wettbewerbs umzumodeln. Seit Beginn der Eurokrise vergeht kein Tag, an dem | |
| sie nicht „Wettbewerbsfähigkeit“ predigt. | |
| Neu ist allerdings, wie unverfroren mittlerweile deutsche Exportinteressen | |
| vor europäische Solidarität gestellt werden. Da werden Statistiken | |
| präsentiert, die beweisen sollen, dass der China-Handel für Deutschland | |
| viel wichtiger sei als für den Rest Europas. Da werden Prognosen gestreut, | |
| die belegen sollen, dass China bald Frankreich als wichtigsten | |
| Handelspartner ablösen wird. | |
| Europa war gestern, die Zukunft liegt in Fernost, heißt die Botschaft. Mit | |
| dem guten alten Liberalismus hat das nichts mehr zu tun. Dahinter steckt | |
| vielmehr die Logik des globalen Wirtschaftskriegs, mit der neoliberale | |
| Ideologen Deutschland und den Rest der Welt in einen gnadenlosen Wettbewerb | |
| treiben. Heute China, morgen Indien, übermorgen Brasilien, so die Devise. | |
| Regeln stören dabei nur, die EU gilt als lästig. | |
| Doch eine Strategie, die auf eine Abkoppelung von Europa setzt, wird | |
| scheitern. Denn zum einen ist auch Deutschland auf Solidarität angewiesen – | |
| allein kann es gegen China, wenn es hart auf hart kommt, nicht bestehen. | |
| Zum anderen geht die neoliberale Logik immer weniger auf. Sie funktioniert | |
| weder in Europa, wo sie ein Land nach dem anderen in die Rezession treibt, | |
| noch in Asien, wo China zum wichtigsten Konkurrenten deutscher Firmen | |
| geworden ist. | |
| Deutschland verliert rasant Marktanteile an China, auch das haben wir diese | |
| Woche gelernt. Ob es zu einem Umdenken in Berlin führt? Wohl kaum. Der | |
| falsch verstandene Liberalismus kämpft um sein politisches Überleben. | |
| Rösler und Merkel wollen die Wahl gewinnen. Auch deshalb geben sie sich in | |
| Europa kompromisslos. | |
| 7 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
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