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# taz.de -- Die Wahrheit: Ausgedoodlegoogelt
> Verabredungen sind durch das Internet nicht leichter geworden. Hat man
> einen Termin gefunden, weiß man oft nicht mehr, warum. Ein Gesetz sollte
> helfen.
Bild: Das, meine lieben Kinder, ist eine Briefmarke.
„Das Problem kennt doch jeder“, hob Dr. Britta Rösseler von Bremer Institut
für Komplexe Kommunikations-Chaotic in ihrem Impulsreferat an, „ganz
früher, also vor 25 Jahren, hat man sich einfach verabredet, mündlich. Es
klappte, auch in Gruppen. Seit wir im Google-und-Doodle-Zeitalter leben,
wird – kollektiv koordiniert“. Die Versammlungsteilnehmer glaubten einen
Hauch Spott zu vernehmen. „Heute wissen wir: Schon das schlichte
Beantworten einer Mail überfordert viele Menschen.“
Die Expertenanhörung vor dem Telekommunikationsausschuss des Bundestags
steckte voller Brisanz. Wie kann das digitale Miteinander geschmeidiger
werden? Dramatische Fallstudien werfen ein Schlaglicht auf den humanoiden
Kommunikationsalltag: „Eine Gruppe Menschen, ob vier oder 40“, so ein
Ministerieller, wolle einen Termin vereinbaren, ob fürs Golf-Wochenende
oder den Elternabend.
„Zu Beginn des digitalen Zeitalters schickte man ein Sternfax: Umständlich,
aber funktionell, sofern lesbar und papierstaufrei. Heute schickt man
Rundmails, twittert oder gesichtsbucht Termine.“ Manche antworten schnell,
andere gar nicht. „Hatte meinen Rechner nicht an“, sagen sie oder „Ich
gucke selten in mein Postfach“, ersatzweise „Hab ich nicht mitgekriegt“
oder „Hab ich wohl versehentlich gelöscht“.
Manche Antworter teilen ihre prompten Terminzusagen nur dem Absender mit.
Oder sie verschicken komplizierte Wenn-dann-Kombinationen. Sehrgestrige
rufen zusätzlich an: Kann man ja gleich noch ein Schwätzchen halten. Da
sagen sie gern was anderes, als sie eben noch allen rückmailten. Am Ende
blickt niemand mehr durch. „Im besten Fall“, spottete Referentin Rösseler,
„hat man endlich einen gemeinsamen Termin, weiß aber nicht mehr, warum man
sich treffen wollte. Und wenn doch, ist der Termin schon vorbei.“
Helfen kann, theoretisch, die wunderbare Erfindung per Doodle – eigentlich
einfach, umsonst und auch noch werbefrei. Empirische Studien zeigen, dass
von 15 Angeschriebenen vier sofort ihre Termine eintragen, zwei weitere
schon binnen eines Tages. Einer überschreibt Einträge Dritter, einer
akzeptiert taktisch nur einen, seinen Lieblingstermin, der Nächste markiert
nur einen kleinen Teil der Vorschläge („ach, das geht noch weiter …“).
Andere sind überfordert („klappt bei mir nicht“) oder bocken: „Die Adres…
doodle.com/fs3cegf5nsgzzxc3#table klingt wie Spam, da lass ich die Finger
von.“ Der Rest bleibt stumm oder wechselt autonom den Informationsträger
und antwortet per Mail, gern nur einem Teil der Gruppe. Ergebnis: siehe
oben.
## Bis zur Zwangsabschaltung
Das umstrittene AntwortVerpflichtungsGesetz (AVG) vom vergangenen Herbst
sollte dem abhelfen. Säumige Antworter dürfen seitdem mit automatisch
generierten Erinnerungsmails überzogen werden: „Du hast 27 unbeantwortete
Mails; reagiere – jetzt!!!“ Besonders das Entschleunigungsprogramm sorgt
unverändert für Empörung: Bei jedem Nichtbeachten wird der Rechner
langsamer und der Bildschirm düsterer bis hin zur zeitweisen
Zwangsabschaltung.
Die Lage ist ernst. Seelenforscher diskutieren längst Wege aus der
Digitalen Prokrastination (DP), auf gut Fauldeutsch: Erledigungsblockade.
Der Tübinger Ethnopessimist Gunnar Rast indes erklärte dem Ausschuss: „DP
ist sogar gesund. Homo sapiens und die BitBytewelt werden strukturell nie
harmonieren.“ Tagungsteilnehmer der Industrie lachten schallend auf. Die
Netzprovider wollen das Massenphänomen DP auf ihre Art angehen: Wer nicht
mitmachen wolle beim „Terror der Zwangsmailerei“ (Rast), dem wollen sie
eine Flatrate anbieten, um sich von Rechnerlähmungen nach dem AVG
freizukaufen. Die Rede ist vom Basistarif „Freedom of Mailing“ schon ab 20
Euro im Monat. Die Bundesnetzagentur will „die sehr interessante Idee
wohlwollend prüfen“.
Gunnar Rast hält die Flatrate für „ein selten groteskes Unterfangen“. Es
gehe doch nach wie vor anders. Sein Orthopädie-Meister, berichtete er
schmunzelnd, habe ihm noch gestern tatsächlich eine Postkarte geschickt
(Zwischenruf eines Netznerds: „Eine was?“), ordentlich frankiert, und
darauf handschriftlich mitgeteilt: „Bitte holen Sie Ihre Einlagen ab. Sie
wurden doch extra für Sie angefertigt! Mit freundl. Gruß.“ Der Applaus
(„Wie entzückend“) zauberte dem Doyen der Analogik ein zartes Lächeln ins
Gesicht. Dann humpelte er davon. „Ich habe einen Termin.“
13 Jun 2013
## AUTOREN
Bernd Müllender
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