| # taz.de -- Kommentar Gezi-Park-Proteste: Das Problem heißt Erdogan | |
| > Der Ministerpräsident ist zum Sicherheitsrisiko für das ganze Land | |
| > geworden. Die Protestierenden wollen eine bessere Türkei – eine Türkei | |
| > ohne Erdogan. | |
| Was wird den Bürgern Istanbuls im Gedächtnis bleiben von jener Nacht, als | |
| die Polizei den besetzten Gezi-Park überfiel? | |
| Natürlich werden sie sich an die Angst erinnern, an das grauenhafte Gefühl, | |
| sich vor dem eigenen Staat fürchten zu müssen. | |
| Natürlich werden sie an die Bilder denken: An Polizisten, die in | |
| Krankenhäuser eindringen, die Menschen Gasmasken vom Kopf reißen, Hotels | |
| mit Pfeffergas einnebeln, die Tote riskieren. | |
| Natürlich werden sie trauern über das verlorene Augenlicht ihres Sohnes, | |
| sie werden Schmerzen empfinden, weil sie eine Granate am Kopf traf, als sie | |
| versuchten, Verletzte wegzubringen. Das Pfeffergas wird tagelang in ihren | |
| Nasen hängen und Magen umdrehen. | |
| Vor allem aber werden sie den Stolz spüren, dass sie in jenen Stunden auf | |
| den Straßen waren und sich quer stellten – wie sie Nachtwache hielten für | |
| ihre Demokratie. | |
| Nicht die Türkei ist das Problem: Das Land zeigt Größe, Mut, | |
| Hilfsbereitschaft, Mitgefühl. Ein Land, das sich weigert wegzusehen, das | |
| wach bleibt, das aufsteht. Man sollte das bewundern. Nein, das Problem ist | |
| Recep Tayyip Erdogan, der Ministerpräsident. Er ist für die Türkei zum | |
| Sicherheitsrisiko geworden, zur größten Bedrohung des inneren Friedens. | |
| Hätte er nicht alle Sinne verloren, müsste er nun seinen Rücktritt | |
| erklären. | |
| Er hat es nicht vermocht, Schaden von seinem Land abzuwenden. Er ist der | |
| Schaden seines Landes. Wo ist die Ehre, von der er spricht? Wo ist der | |
| Gott, der ihm befohlen hat, Krieg gegen sein Volk zu führen? Wenn Erdogan | |
| an jemanden glaubt, dann nur an sich selbst. Er zeigt die Wesenszüge eines | |
| taumelnden Herrschers, eines Despoten: eine Mischung aus Größen- und | |
| Verfolgungswahn, aus Wildheit und Verwirrung. Er nimmt die Polizei in | |
| Geiselhaft, er verheizt sie als Privatarmee. | |
| ## Das Land hinter den Wasserwerfern | |
| Würden jene jungen Männer in Uniform, die nun gezwungen sind, ihre | |
| Landsleute zu beschießen, nicht lieber im Gezi-Park sitzen, im Schatten, | |
| zwischen Zelten? Würden sie sich nicht lieber ihre Seele aus dem Leib | |
| singen, statt Kinder durch die Straßen zu jagen, statt Frauen zu | |
| verprügeln, die ihre Mütter sein könnten? | |
| Das ist das Wunderbare an diesem türkischen Frühsommer: Hinter dem | |
| Pfeffergas, hinter den Wasserwerfern, ganz nah, liegt ein besseres Land. Es | |
| heißt Gezi. Ein Land, in dem Menschen Verantwortung übernehmen, sich | |
| wehren, sich interessieren. Ein Land, das seine Umwelt und seine Menschen | |
| schützt, das Unrecht erkennt und darüber spricht. | |
| Ein Land ohne Erdogan. Die Bürger dieses Landes sind schon da. | |
| 16 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Dachsel | |
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