# taz.de -- Die Wahrheit: Panik vor dem Schnee | |
> Neues aus Neuseeland: Auch 167 Jahre nach ihrer Gründung ist die Stadt | |
> Christchurch nicht auf den Winter eingestellt. | |
Bild: Tag und Nacht am pochenden Puls der Zeit: das gemeine Gemüse. | |
Ihr hattet Sommerhitze? Ha, bei uns gab’s gerade Schneechaos. Eigentlich | |
gab’s gar keinen Schnee, nur Chaos. Dafür reicht schon die Ankündigung von | |
weißem Niederschlag. Schnee ist für Christchurch ähnlich bedrohlich wie für | |
Oklahoma ein Tornado, zumindest gefühlt: Alles bricht zusammen, | |
verbarrikadiert euch! | |
Sind die Notvorräte gepackt, die Kinder in Sicherheit und die Wassertanks | |
voll? Ist das Kaminholz gehackt? Die Kinder denken natürlich nur an | |
schulfrei und Skifahren, während die Großen Panik schieben und Hamsterkäufe | |
tätigen. | |
Für Donnerstag und Freitag war ein Schneesturm aus der Antarktis | |
vorhergesagt. Er klang von Stunde zu Stunde bedrohlicher: Der größte seit | |
20 Jahren! Eine Polarkanone! SOS! Am Mittwochabend war in den Supermärkten | |
bereits kein Brot mehr zu bekommen. Lyttelton sagte sein | |
Mittwinter-Straßenfest mit Feuerwerk ab. Die Zeitung druckte Notrufnummern | |
und gab Survival-Tipps. Am Donnerstag fing es an zu schütten. Die Kinder | |
gingen tapfer in Skihosen in die Schule und hofften. Am Freitag schüttete | |
es immer noch. Eisregen wie in Köln im November. Alles stand unter Wasser. | |
Grau statt weiß. Am Samstag war alles vorbei. | |
Das Problem mit meiner ramponierten Stadt ist, dass sie 167 Jahre nach | |
ihrer Gründung immer noch nicht kapiert hat, wie kalt es hier werden kann. | |
Der Wintereinbruch ist jedes Mal ein unvorhergesehener Irrtum der Natur, | |
dem man in Pioniermanier die Stirn bietet. Nichts ist anständig isoliert, | |
Zentralheizungen sind europäischer Luxus und Kaminöfen in neuen Häusern | |
verboten, denn wir haben Smog. Und dann lecken in all der Gemütlichkeit | |
auch noch die angeknacksten Dächer und Wände, die seit der | |
Erdbebenkatastrophe von vor zwei Jahren noch nicht repariert wurden. Das | |
sind Tausende. Und entsprechend viele wartende, wütende, von den Behörden | |
enttäuschte Menschen leben darin. | |
Es gibt drei bewährte Methoden in der matschigen „Garden City“, um auch in | |
diesen Tagen etwas Wärme zu spüren. Erstens: Man frisst sich einen | |
Speckmantel an. Was für Wale und Robben funktioniert, kann so nah am | |
Polarkreis ja nicht verkehrt sein. Zweitens, besonders von Singlefrauen | |
praktiziert: Man legt sich einen „winter boyfriend“ zu, der einen nachts | |
umschlungen hält und im Frühjahr sanft entsorgt wird. Dann will die | |
Wärmflasche lieber surfen gehen. Drittens: Man polstert sich von innen mit | |
Alkohol aus. Irish Coffee glüht allemal besser als Cappuccino. | |
Pubs und Getränkemärkte helfen dem Wiederaufbau. Umso fataler, dass gerade | |
über ein neues Öffnungsgesetz verhandelt wird. Die Bars in der City sollen | |
um ein Uhr schließen. Schneller lässt sich eine Uni- und Touristenstadt, in | |
der Backpacker und Studenten fehlen, nicht in ein Altersheim verwandeln. | |
Wer weder schlemmt, säuft noch promiskuitiv ist, der lässt sich Prozac | |
verschreiben. Christchurch nimmt mittlerweile einen Spitzenplatz ein: | |
209.000 Rezepte für Antidepressiva wurden im vorigen Jahr ausgestellt, fast | |
doppelt so viele wie in Auckland. Nichts als Frostfrust. Nichts wie raus | |
hier. | |
26 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Anke Richter | |
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