# taz.de -- Die Wahrheit: Die grüne Hölle des Intellekts | |
> Neues aus Neuseeland: Den Intellekt zu schulen, ist eine Provokation für | |
> die naturgestählten Kiwis, dabei lesen sie im Schnitt mehr Bücher als | |
> andere. | |
Bild: Haka in Washington: Destiny Church am Lincoln Memorial. | |
„100 % pur“ ist es angeblich da draußen in unserer Wildnis. Mit diesem | |
Slogan verkauft sich Neuseeland. Das ganze Land ein einziger | |
Outdoor-Spielplatz: wandern, paddeln, klettern – glücklich in Goretex. Nie | |
regnet es, niemand ertrinkt oder bricht sich beim Skifahren das Bein. Doch | |
die Einheimischen wissen es besser: Auch ohne gefährliche Tiere kann es | |
verdammt ungemütlich zwischen Farnen und Gipfeln werden. | |
Und genau das lieben sie als Herausforderung – im Gegensatz zu Rick | |
Gekoski, der alles Grüne am liebsten nur durch Glas betrachtet. Ihm ist die | |
Natur zutiefst suspekt. Der beleibte Brite im Maßanzug ist Buchhändler, | |
Verleger und Guardian-Blogger. Ein Intellektueller also. Das ist ein | |
Prädikat, mit dem man sich in Neuseeland eher ungern schmückt. Was nichts | |
mit Bildungsferne zu tun hat, denn Kiwis lesen im Durchschnitt mehr Bücher | |
als jedes andere Volk der Welt. Aber ihr berühmtester Kopf war nicht Goethe | |
oder Einstein, sondern Edmund Hillary, der als Erster den Mount Everest | |
bezwang. Das prägt. | |
Rick Gekoski verbringt jedes Jahr ein paar Wochen in seinem Haus in der | |
Hawkes Bay bei Napier, um dem Londoner Winter zu entfliehen und sich zum | |
Schreiben zu zwingen. Vom Computer aus blickt er auf Fluss, Farn und | |
Gipfel. „Die Aussicht mildert den Schmerz. Dafür ist sie da.“ Was ihm viel | |
größere Qual bereitet: Ein paar seiner Freunde haben einen Kurs bei | |
„Outward Bound“ gemacht. Das ist eine alteingesessene Institution, die für | |
teuer Geld Survivaltraining anbietet. Per Zertifikat bekommt man besiegelt, | |
dass man das Zeug zum Hillary hat. „Wie Kriegsveteranen“, so Gekoski | |
angewidert, berichten die Absolventen von ihrer Grenzerfahrung im Wald und | |
auf See. | |
„Ein Feuer entfachen, indem man auf einen Haufen Zweige starrt, Larven fürs | |
Frühstück sammeln, sich gegenseitig den Hintern mit lebendigen Possums | |
abwischen oder schwimmen und wandern, bis man erschöpft, dreckig, | |
entgeistigt und verängstigt ist. Dann seine Gefühle in der Gegenwart eines | |
Therapeuten ausdrücken. Das verbindet“, spottet Gekoski im | |
Nachrichtenmagazin Listener. „Es ist nicht so, dass ich lieber sterben | |
würde, als all das zu tun – sondern dass ich dabei sterben würde.“ | |
Besonders provoziert ihn die Eigenwerbung von „Outward Bound“ („Neuseelan… | |
führende Organisation, um Menschen ihr wahres Potenzial zu zeigen“). „Was | |
ist mit Schulen und Universitäten?“, stichelt der Kolumnist. Die glühenden | |
Testimonials der Teilnehmer verspottet er: „Man könnte glauben, sie haben | |
gerade ein Shakespeare-Sonett verfasst oder sich ein Beethoven-Quartett | |
angehört.“ | |
Rick Gekoski schlägt nun vor, man möge doch statt „Outward Bound“ ein | |
Abenteuer namens „Inward Bound“ anbieten, wo gedichtet, gedacht und | |
komponiert wird. Die Grenzen des Denkens und Fühlens ausloten statt | |
Karabinerhaken einklicken. Den Intellekt schulen. Welch eine Provokation | |
für die naturgestählten Kiwis! Zum Glück ist der Kritiker längst wieder | |
sicher im Großstadtdschungel, mit einem Regenschirm bewaffnet. | |
7 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Anke Richter | |
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