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# taz.de -- Staat bezahlt Kirche: Regelungen von Anno 1803
> Die Kirche erhält jährliche Zuwendungen vom Staat ohne jegliche
> Zweckbindung. Über einen Gesetzentwurf, diese Gelder einzustellen, wird
> nun abgestimmt.
Bild: Baden-Württemberg zahlt 108 Millionen Euro, auch an die Wallfahrtskirche…
KÖLN taz | Die Humanistische Union (HU) hat den Bundestag aufgefordert,
endlich das Ende der Staatsleistungen an die Kirchen zu beschließen. „Es
ist nicht akzeptabel, dass die Mehrheit der Abgeordneten einen klaren
Verfassungsauftrag weiterhin ignoriert“, sagte Kirsten Wiese vom
Bundesvorstand der Bürgerrechtsorganisation.
Anlass ist die zweite und dritte Beratung über einen Gesetzentwurf der
Linkspartei, die höchst fragwürdigen Zuwendungen gegen eine Einmalzahlung
einzustellen. Die Abstimmung darüber steht für den frühen Freitagmorgen um
1.10 Uhr auf der Tagesordnung des Berliner Parlaments.
Die Staatsleistungen sind jährliche Zuwendungen, die die Kirchen ohne
jegliche Zweckbindung von den Bundesländern erhalten. Die Humanistische
Union erinnerte daran, dass es sie eigentlich schon lange nicht mehr geben
dürfte. Denn Hintergrund der Staatsleistungen sind umstrittene
Zahlungsverpflichtungen, die sich aus vordemokratischen Rechtstiteln
herleiten. Beispielsweise aus dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803
oder dem Bayerischen Konkordat von 1817.
Es handelt sich um ein unübersichtliches Gemisch an Ansprüchen, die
einerseits aus der Säkularisierung kirchlicher Güter resultieren,
andererseits aber auch aus schnöden Deals der damaligen Fürsten und Könige
mit den jeweiligen Kirchenoberhäuptern: Legitimation der staatlichen
Obrigkeit seitens der Kirche gegen staatliche Alimentierung der kirchlichen
Würdenträger.
## Der Ablösungsauftrag blieb stehen
Mit dem Ende des Kaiserreichs sollte damit eigentlich Schluss sein. Mit der
Abschaffung der Staatskirche plante die Nationalversammlung 1919 auch die
finanzielle Entflechtung. Sichergestellt werden sollte das durch den
Artikel 138, Absatz 1 der Weimarer Verfassung: „Die auf Gesetz, Vertrag
oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die
Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die
Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“
Aus dem Reich wurde die Bundesrepublik, aus der Weimarer Verfassung das
Grundgesetz – der Ablösungsauftrag blieb bestehen: Die Bestimmung des
Artikels 138 der Weimarer Verfassung ist „Bestandteil dieses
Grundgesetzes“, heißt es im Artikel 140. Nur erfüllt wurde sie bis heute
nicht.
Die historisch begründeten Dotationen an die beiden Großkirchen dürfen
weder mit den Zuwendungen für kirchliche Schulen, Kindergärten oder
Krankenhäuser, diakonische oder karitative Einrichtungen verwechselt
werden, noch mit den Kirchensteuern, die der Staat für die Kirchen
einzieht. „Es ist völlig unverständlich, warum die zum Teil hoch
verschuldeten Länder jährlich 481 Millionen Euro an die evangelische und
die katholische Kirche zahlen, die schuldenfrei und zudem in der Lage sind,
ihren Finanzbedarf durch die von ihnen selbst festzusetzende Kirchensteuer
zu decken“, kritisiert HU-Frau Wiese.
Bislang dürfen sich die evangelische Kirche über 279 Millionen und die
katholische Kirche über 202 Millionen Euro Staatsknete im Jahr freuen.
Großzahlmeister ist das grün-rote Baden-Württemberg mit 108 Millionen Euro,
gefolgt von Bayern mit 90 Millionen Euro und Rheinland-Pfalz mit 52
Millionen Euro. Nur Hamburg und Bremen sparen sich aus ihrer hanseatischen
Kaufmannstradition heraus solche Transferleistungen, mit denen die Kirchen
vor allem ihr Funktionärspersonal finanzieren.
## Die umstrittene Entschädigung
Zur Ablösung der Staatsleistungen schlägt die Linkspartei in ihrem
Gesetzentwurf „eine einmalige Entschädigungszahlung in Höhe des Zehnfachen
des zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes gezahlten
Jahresbeitrags“ vor. Das wären derzeit also rund 4,81 Milliarden Euro –
eine Summe, die alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien für viel zu
gering halten. In Kirchenkreisen reichen die Vorstellungen sogar bis hin
zum 40-Fachen der jährlichen Staatszahlungen.
Dabei ist es umstritten, ob den Kirchen überhaupt eine Entschädigung
zusteht. „Die evangelische und katholische Kirche haben mit mehr als 15
Milliarden Euro seit 1949 bereits ein Vielfaches dessen erhalten, was ihnen
durch die Enteignungen in vergangenen Jahrhunderten genommen worden ist“,
rechnet HUlerin Wiese vor. „Eine Entschädigung ist deshalb nicht mehr
nötig.“
Dass sich an der staatlichen Alimentierungspraxis auf absehbare Zeit etwas
ändern wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Weder Union und FDP, noch SPD und
Grünen wollen sich mit den Kirchen anlegen. Mit ihren Stimmen hat sowohl
der Innen- als auch der Rechtsausschuss des Bundestages empfohlen, den
Linkspartei-Gesetzentwurf abzulehnen.
Im Schnellverfahren und de facto unter Ausschluss der Öffentlichkeit
dürften die Abgeordneten in der Nacht zum Freitag das unangenehme Thema zu
den Akten legen. Nicht einmal eine Aussprache ist vorgesehen. Der
Verfassungsauftrag wird unerfüllt bleiben.
27 Jun 2013
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Kirche
Staat
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Kirche
Islam
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