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# taz.de -- Klagenfurt auf der roten Liste: Bedrohung Fernsehen
> Der ORF will sich von der Live-Übertragung des
> Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt zurückziehen – die
> Literaturszene protestiert.
Bild: Der Ort des Geschehens: die Stirn von Rainald Goetz. 1983 malträtierte e…
Er hebt die Hand zur Stirn. Zwischen den Fingern klemmt eine Rasierklinge.
Das dünne Messer wandert schrägt über die Haut. „Ihr könnts mein Hirn
haben. Ich schneide ein Loch in meinen Kopf“, sagt er. Dann fließt ein
kleiner roter Strom über das Gesicht des jungen Vorlesers. Stakkatoartig
tropft das Blut von der Nase aufs Papier.
Als er mit seinem Poppamphlet „Subito“ fertig ist, wird ein kritischer Herr
– dunkelblaues Hemd, hellblaue Krawatte, Brille, Glatze – zu seiner Linken
leicht vernuschelt, aber nachdrücklich sagen: „Es ist ein Riesenprotest –
gegen das literarische Leben und darüber hinaus gegen alle Elemente unseres
Kulturlebens.“ Das Fernsehen überträgt die Szene. Auf dem Bildschirm, in
der oberen rechten Ecke, stehen vier Buchstaben: ORF, dahinter ein K für
Kärnten.
Die meisten Feuilletonisten und GermanistikstudentInnen des Landes kennen
dies kleine Drama, von dem es später heißen wird, es sei extra inszeniert
gewesen. Es ist jüngere Literaturgeschichte geworden. Rainald Goetz heißt
der Mann mit der Rasierklinge, Marcel Reich-Ranicki ist der kahlköpfige
Kritiker.
Genau 30 Jahre ist es her, dass Goetz beim Ingeborg-Bachmann-Preis in
Klagenfurt für diesen kleinen Eklat sorgte. Die seit 1977 ausgerichteten
„Tage der deutschsprachigen Literatur“, die damals von monotonen,
Wasserglas-erprobten Protagonisten eingeschläfert wurden, hatten ihren
ersten Aufreger.
Muss man das so ausführlich erzählen? Schon, und nicht nur des Jubiläums
wegen, denn: Klagenfurt hat wieder einen Aufreger, und der ist kaum zwei
Wochen alt. Österreichs öffentlich-rechtliche Fernsehmacher müssen in Gänze
mehr als 80 Millionen Euro einsparen und haben daher die Literaturoase in
Kärnten zur Diskussion gestellt.
## Finanzierung steht auf dem Spiel
Knapp 750.000 Euro könnte, laut Süddeutscher Zeitung, ein Rückzug von der
mehrtägigen Leseveranstaltung, die traditionell um den Geburtstag Ingeborg
Bachmanns am 25. Juni stattfindet, bringen. Damit steht die Finanzierung
der wohl wichtigsten Nachwuchsauszeichnung für deutschsprachige AutorInnen,
die 3sat seit 1989 live überträgt, auf dem Spiel.
Wird tradiertes, quotenarmes Fernseh-Kulturgut bedroht, folgt nicht immer
ein Aufschrei. Doch im Falle des Bachmann-Preises wurde es zuletzt ein
wenig lauter.
Die siebenköpfige Kritiker-Jury um ihren Vorsitzenden, den Schriftsteller
Burkhard Spinnen, wandte sich in einem offenen Brief an ORF-Generaldirektor
Alexander Wrabetz und bekundete Unverständnis, dass eine traditionsreiche
Kulturveranstaltung, die zu dem „Kerngeschäft“ des Senders gehöre, „in
Frage gestellt wird“.
Auch ehemalige prominente Preisträger wie Uwe Tellkamp (2004) oder Katja
Lange-Müller (1986)übten harsche Kritik. Allerdings sind Debatten um den im
Klagenfurter ORF-Theater stattfindenden Lese-Marathon nichts ganz Neues:
2002 wurde ein derzeit mit 7.000 Euro dotierter Publikumspreis installiert,
wohl auch, um dem oft als hermetisch empfundenen Charakter des Jury-Urteils
– die Juroren befinden über vier der fünf gestifteten Preise im Gesamtwert
von 54.500 Euro – einen Gegenpol zu verpassen.
## Kürzungen und Verkleinerung
Vor fünf Jahren wurde die Klagenfurter Kritikerkaste von neun auf sieben
Mitglieder, die auch die vortragenden vierzehn TeilnehmerInnen einladen,
runterreformiert. Im letzten November berief man die langjährige
Organisatorin, ORF-Redakteurin Michaela Monschein, ab.
Monscheins Weggang, hatte diese doch stets für die Eigenständigkeit und die
kulturelle Bedeutung der Veranstaltung gekämpft, machte einigen schon
damals Sorgen. Ihr Nachfolger, der Literaturjournalist Horst L. Ebner,
kündigte an, den Nachwuchspreis als „kulturelles Aushängeschild“ noch
„stärken“ zu wollen.
Dumm gelaufen. Die Eröffnungsrede in diesem Jahr hält passenderweise
Schriftsteller Michael Köhlmeier zum Thema „Betrogene Liebe“. Aus
unveröffentlichter Prosa lesen werden ab dem 4. Juli etwa die AutorInnen
Anousch Mueller, Philipp Schönthaler und Joachim Meyerhoff. Wenn einem
diese Namen jetzt nichts sagen, ist das nicht weiter schlimm. Klagenfurt
ist dafür da, genau das zu ändern.
## Entscheidung im November
Eine endgültige Entscheidung, ob im Sommer 2014 wieder gelesen wird, steht
im November diesen Jahres an, wenn das öffentlich-rechtlichen Budget in
Österreich festgezurrt wird. Sicher ist aber, dass das mediale Interesse am
Ingeborg-Bachmann-Preis 2013 dank des Vorgeplänkels zunehmen dürfte.
Fast seherisch muten da die Worte von Rainald Goetz vor 30 Jahren an: „[…]
von was ist jetzt eigentlich die Zukunft so bedroht, fragte er. Ich glaube
am meisten von der Zukunft, sagte ich. Oder vielleicht vom Fernsehen.“
Einen Preis gewann Goetz 1983 nicht.
1 Jul 2013
## AUTOREN
Jan Scheper
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Literatur
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