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# taz.de -- 35. Copenhagen Jazz Festival: Krishna-Gesänge im Lustgarten
> Das Copenhagen Jazz Festival startete mit starken Konzerten von Cassandra
> Wilson und Trompeter Kasper Tranberg. Das Programmkonzept funktioniert.
Bild: Das Interesse an Jazz ist derzeit in der dänischen Hauptstadt groß
Wenn man dieser Tage durch die Altstadt Kopenhagens geht, hat man fast den
Eindruck, die Stadt stehe ausschließlich [1][im Zeichen des Jazz]. Unten am
Nyhavn, wo sich Touristen zwischen bunt bemalten Giebelhäusern und den auf
dem Kanal vertäuten Fischkuttern hindurchschieben, ist die
Wahrscheinlichkeit hoch, mit Dixieland beschallt zu werden.
In der traditionsreichen Jazzbar La Fontaine im Zentrum finden sich spät
nachts wechselnde Musiker zu Jam Sessions ein. Und auf den Plätzen in der
Fußgängerzone ertönt allerhand – überwiegend traditioneller – Jazz, den…
entspannt zum Eis oder Bier konsumieren kann.
Am Samstagnachmittag etwa sonnen sich Spaziergänger vor dem
„Skuespilhuset“, dem neuen Schauspielhaus Kopenhagens, auf den Holzplanken.
Vom Pier vor dem 2008 am Kvæsthusbro eröffneten eleganten Bau aus hat man
einen herrlichen Blick über das Wasser auf die selbstbewusst modernistische
neue Oper auf der Insel Holmen schräg gegenüber.
Aus dem Inneren des Schauspielhauses dringen dezente Klänge des
internationalen Musikhochschulprojekts Kehrwieder nach draußen: Im
Austausch mit dem Elbjazz-Festival spielen an diesem Tag vornehmlich
Hamburger Jazzmusiker im gut besuchten Theaterfoyer.
Christian Dalgas, Projektmanager des Copenhagen Jazz Festivals, verfolgt
bei dem Austausch klare strategische Ziele: „Deutschland und Dänemark
werden von 2018 an durch die Fehmarn-Brücke verbunden sein. Dann kann man
in drei Stunden von Hamburg nach Kopenhagen fahren.“ Kulturell wolle man
allerdings schon vorher beginnen, miteinander in Verbindung zu treten.
„Beide Städte haben sich gegenseitig viel zu bieten. Und wir sind stets
offen dafür, neue Konzerte zu präsentieren, um zu erfahren, was im
deutschen Jazz passiert. Vielleicht haben wir ja auch Musiker in Dänemark
und Deutschland, die zusammenarbeiten wollen.“
## Freie Improvisation
Vereinzelt gibt es natürlich schon solche deutsch-dänischen Kooperationen.
So hat der Bassist Adam Pultz Gulbye, der Samstagnacht ein Soloprogramm mit
freier Improvisation in der Koncertkirken in Nörrebrö im Nordwesten des
Zentrums bestreitet, zu Beginn des Jahres ein gemeinsames Album mit dem
Berliner Saxofonisten Henrik Walsdorff veröffentlicht. Damit nicht genug:
Im August wird der Free-Jazz-affine Musiker, der bei seinem Konzert eine
intime Meditation über die Klangmöglichkeiten seines Instruments darbot,
laut eigener Auskunft nach Berlin ziehen.
Dass sein konzentriertes Konzert eher übersichtlich besucht ist, könnte
unter anderem damit zu tun haben, dass die Koncertkirken genauso wie das
unweit in einem profanierten Gotteshaus gelegene Literaturhaus ein relativ
neuer Veranstaltungsort ist – für beide Adressen diente das deutsche
Konzept der Kulturkirche als Vorbild. Unter der Überschrift „Take a walk on
the smelly side of Copenhagen Jazz Festival“ werden dort wie im ehemaligen
Schlachthof 5e, den das Musikerkollektiv ILK betreibt, die
experimentelleren Konzerte gegeben.
„In diesem Jahr scheint mir das Copenhagen Jazz Festival so groß wie nie
zuvor zu sein“, so der Schlagzeuger Emil de Waal, der selbst an mehreren
Terminen in diversen Konstellationen spielt, darunter ein Konzert im Rahmen
der Reihe „Jazz for Kids“. „Praktisch jedes Café scheint diesmal Live-Mu…
anzubieten. Aber es gibt eben auch das Publikum dafür.“ Und das, obwohl an
diesem ersten Wochenende parallel das Roskilde-Festival läuft und zumindest
jüngere Besucher abzugreifen droht.
Christian Dalgas schränkt bei der Größe aber ein: „Im Vergleich mit den
vergangenen fünf Jahren ist das ziemlich normal. Ungefähr seit dieser Zeit
haben wir auch unsere Hookline ’10 Tage, 100 Orte und 1.000 Konzerte‘.
Dieses Mal sind es etwa 1.100 Konzerte.“ Doch bei Roskilde stimmt er zu.
„Wir sind uns der jungen Leute durchaus bewusst. Aus diesem Grund legen wir
die traditionelleren Konzerte auf die Wochenenden“, sagt Dalgas. „An diesen
Tagen ist es für gewöhnlich auch schwieriger, junge Freiwillige für
Schichten einzuteilen.“
## Blues, Popsongs und Eigenkompositionen
Das Programmkonzept scheint aufzugehen: Die US-amerikanische Sängerin
Cassandra Wilson, einer der vielen großen Namen auf dem Festival, spielte
am Samstag im altehrwürdigen Königlichen Theater vor voll besetztem Haus.
Ihre Mischung aus Blues, Popsongs und Eigenkompositionen mag insgesamt
wenig unerforschte Horizonte erschließen.
Doch dafür passt sie beinahe immer perfekt zu ihrer Stimme, die zugleich
rauchig und kehlig, aber auch zart und zerbrechlich klingt, und mit der
sie, unterstützt von ihrem kontrolliert virtuosen Ensemble, mühelos einen
Beatles-Klassiker wie „Blackbird“ zum Jazzstandard umwidmen kann. Allein
ihre gelegentlichen Ausflüge ins Balladenfach überschreiten schon mal die
Grenze zur Schnulzigkeit, bleiben an diesem Abend allerdings die Ausnahme.
Publikum wie Künstlerin zeigten sich zum Ende hochzufrieden.
Tags zuvor hatte der dänische Gitarrist Jakob Bro im Jazzhouse mit seinem
Tentett gezeigt, dass ambitioniertere Programme ebenfalls ein größeres
Publikum finden. Der Mittdreißiger, der gegenwärtig als der wichtigste
Jazzgitarrist seines Landes gilt, arbeitete schon mit Größen wie dem
Schlagzeuger Paul Motian, dem Saxofonisten Lee Konitz und dem Gitarristen
Bill Frisell, den man am 11. Juli in Kopenhagen ebenfalls erleben kann,
zusammen.
Bros impressionistisches, leicht elegisches Spiel, das auf simplen
Mikromelodien aufbaut, wurde durch die vereinten Kräfte von drei Bassisten,
drei Saxofonisten, zwei Schlagzeugern und einem Keyboarder zu einem
undurchdringlichen Geflecht aus Stimmen und Rhythmen verdichtet.
## Beat-Poesie zur Jazzmusik
Dass Jakob Bro zusätzlich den dänischen Dichter Peter Laugesen auf die
Bühne bat, um bei mehreren Stücken aus seinen Gedichten zu rezitieren, war
womöglich nicht jedermanns Sache. Laugesen, dessen Lyrik stark von den
Beat-Poeten beeinflusst ist und der in den frühen Sechziger Jahren kurze
Zeit der Situationistischen Internationale angehörte, las mit monotoner
Stimme, die der Musik keine weitere Ebene hinzuzufügen vermochte. Wie
sprachkundige Zuhörer versicherten, waren die Texte zudem eher
deprimierend.
Ein Stockwerk höher begeisterte anschließend, wie in den zwei folgenden
Nächten, der dänische Trompeter Kasper Tranberg zusammen mit seinem
Landsmann, dem Bassisten Nils Davidsen, und dem jungen US-amerikanischen
Schlagzeuger und Pianisten Tyshawn Sorey mit avanciertem Kammerjazz.
Tranbergs frei assoziierte Melodien steigerten sich immer wieder aufs Neue
zu von langer Hand vorbereiteten Free-Jazz-Eruptionen, kombiniert mit
Anklängen an die klassische Moderne.
Das Trio, das an diesem Abend vom aus den USA stammenden Saxofonisten Ned
Ferm als Gast ergänzt wurde, erbrachte wie spielerisch den Beweis, dass
Schönheit auf Harmonie locker verzichten kann, wenn die Beteiligten eine
gemeinsame Sprache gefunden haben.
An die verbindende Kraft der Musik konnte man auch glauben, wenn man die
Menschenmengen vor der Freiluftbühne im königlichen Lustgarten Kongens Have
von Schloss Rosenborg betrachtete. Die Rasenflächen zwischen den
geometrisch abgezirkelten Bäumen sind während des Festivals besonders gut
besucht. In der Mittagszeit saßen und lagen dort eine Stunde vor dem ersten
Konzert des Tages schon zahlreiche Menschen in der Sonne. Zu hören waren
hingegen bloß die Gesänge einer Prozession von Hare-Krishna-Anhängern, die
auf der Straße am Rand des Parks vorbeizog.
8 Jul 2013
## LINKS
[1] http://www.jazz.dk
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Kopenhagen
Konzert
Jazz
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