# taz.de -- 33. Kopenhagen Jazz Festival: Näher am Mississippi | |
> Es stürmte, es dampfte und es funkte. Der Saxofonist Sonny Rollins setzte | |
> ein Glanzlicht, während beim Jazz Festival in Kopenhagen das schlimmste | |
> Unwetter seit 40 Jahren tobte. | |
Bild: Sonny Rollins in Kopenhagen. | |
Die Bereitschaft zur Improvisation ist eine Grundannahme des Jazz und, wie | |
es scheint, auch eine Maxime, nach der die Kopenhagener zu leben verstehen. | |
Nicht nur weil Jazz in Dänemark traditionell hohe Akzeptanz genießt und | |
afroamerikanische Jazzer seit Jahrzehnten enge Beziehungen mit der | |
dänischen Hauptstadt pflegen. | |
Mit Beginn des 33. Kopenhagener Jazzfestivals war die dänische | |
Improvisationsbereitschaft besonders gefragt. Sintflutartige Regenfälle | |
nach einem Gewitter - dem schlimmsten Unwetter seit 40 Jahren - fluteten | |
Konzertsäle und setzten Open-Air-Bühnen unter Wasser. Der Zugverkehr brach | |
zusammen, und es gab über Tage in der ganzen Stadt kein heißes Wasser mehr. | |
Hochkarätig besetzte Veranstaltungen, darunter die Konzerte der drei | |
Sängerinnen Dianne Reeves, Angelique Kidjo und Lizz Wright sowie das von | |
Abdullah Ibrahim, mussten abgesagt werden. | |
Wo es ging, wurden Konzerte in höhere Stockwerke verlegt. Feuchtigkeit, | |
gemischt mit drückender Hitze, sorgte für New-Orleans-Feeling. Vielleicht | |
war der heiße, müffelnde Rauch schuld, der aus Kanaldeckeln aufstieg, aber | |
Kopenhagen lag nun gefühlt direkt am Mississippi. Die Menschen wurden | |
mitteilsamer, zwischen Feuerwehrsirenen und Alarmanlagensirren, | |
Kellerauspumpen und Bodenwischen. | |
Der finnische Tenorsaxofonist und Flötist Juhani Aaltonen hatte bei seinem | |
Auftritt am Samstag im ersten Stock des Copenhagen Jazzhouse mit der | |
Feuchtigkeit zu kämpfen. Während der größere Saal im Keller trockengelegt | |
wurde und die Pumpmaschinen wabbelten, weichten Aaltonens Saxofon-Blättchen | |
auf. Wacker hielt Aaltonen seinen ruhigen, lyrischen Ton. Wie ein | |
Schlafwandler schlich er durch die Melodien. Zurückhaltend, aber doch | |
involviert setzte er das Tenorsaxofon ein, vor allem im Duett mit der | |
Pianistin Iro Haarla entstanden Songs von einprägsamer Klarheit. Selbst in | |
den Soli gab Aaltonen nicht die Zurückhaltung auf. Zum Vorschein kam ein | |
Blues, der von der kargen finnischen Landschaft inspiriert ist und die | |
emotionale Abgeklärtheit des 75-Jährigen reflektiert. Aaltonen atmete | |
zwischen den Tönen scheinbar gar nicht, immerfort blickte er das Publikum | |
an. Und doch kann man seinen Stil nicht ausrechnen. Als klassischer | |
Inside-Outside-Spieler bleibt er den Traditionen von John Coltrane oder | |
Eric Dolphy verhaftet und bricht gleichzeitig in den Raum freier Klänge | |
aus. Ganz nah und doch weit entrückt. | |
Auch am Sonntag setzt pünktlich zum Nachmittag das Gewitter ein, die | |
Menschen waten barfuß oder Müllsack und Gummistiefel tragend durch die | |
Straßen. So betreten manche auch das ausverkaufte Königliche Theater, das | |
von den Fluten verschont wurde. Sonny Rollins war in der Reihe "Giant Jazz" | |
angekündigt. Der Tenorsaxofonist spielte bereits auf der ersten Ausgabe des | |
Jazzfestivals, 1979. Noch früher, 1965, war er zum ersten Mal für ein | |
Konzert nach Kopenhagen gekommen. Ein Gigant ist Rollins allemal. "Jazz ist | |
wie das Wetter", erklärt er in der Pressekonferenz. "Du weißt nie, was als | |
Nächstes kommt." Für Rollins ist Jazz "die Musik". Jazz vereinige Freiheit, | |
Ausdruck, das Viszerale, das Intellektuelle und die Improvisation. | |
Sein Set besteht aus acht langen Jams. Mit "Patanjali" - einem Song, | |
gewidmet seinem indischen Yogalehrer - steigt er ein. Rollins weiße Mähne | |
und ein Hemd in leuchtendem Rot verheißen Vergnügen. Ein Vergnügen, das | |
Puristen immer schon provozierte, aber in the long run einfach die | |
freizügigeren Konzepte hat. Einst wanderte die Familie aus der Karibik nach | |
New York, und Rollins kommt im Verlauf des Konzerts immer wieder auf | |
Arrangements aus der Calypso-Musik zurück. Rollins Song "Dont Stop | |
Carnival" passt auch zur Wetterlage in Kopenhagen, mit einem Beat, der | |
funky ist, feurig und trotzdem relaxed. Mit Sammy Figuroa hat Rollins einen | |
Congaspieler in seinem Quintett, der den Groove der Musik noch | |
unterstreicht, in dessen Ruhe eine unglaubliche Kraft liegt. Der mit Händen | |
auf die Trommeln patscht, als seien die Felle aus Wasser. Rollins, | |
inzwischen 80-jährig, zieht ein Bein hinterher und steht mit rundem Rücken | |
auf der Bühne. Trotzdem wandern die Finger flink über die Tasten seines | |
Tenorsaxofons. Das Instrument gibt ihm die Unversehrtheit der Jugend | |
zurück. | |
## Avantgarde am Strand | |
"Ei Blot tyl List" steht als Wahlspruch über der Bühne des Theaters, was so | |
viel heißt wie, "Es geht nicht nur um Spaß". Bei Sonny Rollins verhält es | |
sich genau andersrum, er fegt temperamentvoll und vital über einen Song von | |
Nat King Cole hinweg, battlet sich lustvoll mit dem Gitarristen Peter | |
Bernstein und ballt nach jedem tosenden Applaus jeweils die linke Faust. | |
Was wäre all der Spaß aber ohne die Energie, die Sonny Rollins über sechzig | |
Jahre hat aufbringen müssen für eine beispiellose Karriere. "The say, its | |
wonderful", einen Irving-Berlin-Song aus dem American Songbook, leitet er | |
mit den Worten ein, aus dieser Musik habe er Kraft geschöpft, | |
tieferliegende Bedeutungen, die Quintessenz der afroamerikanischen | |
Jazzerfahrung. Rollins charakteristischer Ton, der stets ein wenig | |
verwaschen klingt, voluminös, aber trotzdem präzise, feiert den Jazz als | |
Kunstform. Er habe, sagt er in der Pressekonferenz, eine Auszeichnung aus | |
den Händen von Barack Obama 2010 gern entgegengenommen, stellvertretend für | |
andere, die sie viel früher verdient hätten, wie Fats Waller. Noch lieber | |
hätte er aber die Medaille von einem weißen Präsidenten erhalten. | |
Am Montag hatte sich endlich der Regen verzogen und die Open-Air-Bühnen | |
waren bespielbar. Hafenlandschaft und Musik verbanden sich etwa an der | |
Bühne "Ofelia Beach" zum Strandbar-Ambiente. Der dänisch-südafrikanische | |
Saxofonist John Tchicai trat mit der jungen Band ElekTRO auf. Die Zuschauer | |
lagen auf riesigen Saunaliegen oder saßen im Sand. Tschicai übte sich im | |
dreisprachigen Scatgesang (dänisch, suaheli und englisch), sein Saxofon | |
musste sich gegen Laptopgebritzel durchsetzen, dazu tuteten Schiffshörner. | |
Avantgarde am Strand. | |
"I dont care where we play tomorrow, I enjoy being here", sagte der Bassist | |
Larry Graham. Montagabend spielte er unten am Wasser auf einer Bühne vor | |
dem Kulturhuset Islands Brygge. Die Zuschauer standen dichtgedrängt. Einst | |
war Graham Bassist in der Band von Sly and the Family Stone, erfand den | |
Funk mit. In den Siebzigern, mit seiner eigenen Band Graham Central | |
Station, verlegte er sich dann auf den Slap Bass, einen hinterhältig | |
schmatzenden Anschlag - jahrzehntelang verpönt -, der sich in den Händen | |
von Graham aber ganz fürsorglich, fast zärtlich anfühlt. Es fängt schon | |
damit an, wie die weißen und schwarzen Musiker mit Percussion wie eine | |
Highschoolband durch das Publikum marschieren und sofort animieren. Zwei | |
gesangliche Frage- und Antwortspiele, und alle sind auf Tanzen, feiern das | |
Funk-Reenactement und ein wenig auch sich selbst. Denn spätestens mit "I | |
cant stand the rain" schmatzt Larry Graham auch die letzten Wassertropfen | |
aus dem Gedächtnis. | |
6 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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