# taz.de -- Kolumne Darum: Wie peinlich! | |
> Früher war ich für die Kinder ein Held. Heute bin ich ihnen nur noch | |
> peinlich. Dabei sind sie es, für die man sich schämen muss. | |
Bild: Sich vor lauter Peinlichkeit verbergen? „Wie peinlich!“ | |
Ich bin peinlich. Ich habe den Ball geküsst. Ich habe einen schlechten Witz | |
gemacht. Ich habe mich vor Zeugen lautstark über meine Kinder beschwert. | |
Nichts davon ist neu. Fußball-Angeberposen beherrsche ich seit der | |
E-Jugend. Meine Witze sind seit Jahrzehnten schlecht. Seit elf Jahren weiß | |
ich, dass es nichts bringt sich leise und im Verborgenen über Kinder zu | |
beschweren. Neu ist nur die Reaktion eines präpubertären Kindes. | |
Was immer ging, geht nun nicht mehr. „Papa, du bist so peinlich!“ Ständig | |
hören wir zuhause nun diesen Satz. Mit „Mama“ geht er auch. Oma und Opa, | |
die die Kinder jetzt in den Ferien bei sich haben, werden den Satz in der | |
passenden Variante bald ebenfalls zu schätzen wissen. | |
Ich habe jahrelang Fußball gespielt, bis der Meniskus kaputt war. Seither | |
geht nichts mehr, außer einmal im Jahr, wenn beim Sommerfest des | |
Fußballclubs meiner Tochter die Väter gegen die E-Juniorinnen ran müssen. | |
Der Meniskus, die Raucherei, das Alter – konditionell geht nicht mehr viel. | |
Aber vor dem gegnerischen Tor verbreite ich immer noch Angst und Schrecken. | |
So auch diesmal. Das 1:1 gegen die E-Mädchen des FC Internationale Berlin, | |
ein Volleyschuss in den Winkel, hat das Zeug zum Tor des Jahres. Da küsst | |
man dann auch mal den Ball vor Freude. Völlig unverständlich also, warum | |
meine Tochter in solchen Momenten ihren Mitspielerinnen seltsame Zeichen | |
gibt, mit hochrotem Kopf den Platz verlässt und mir zuruft: „Du bist | |
peinlich!“ Das ist unsportlich, nein: Es ist ein „Dirty Talk“ neuer Art. | |
Eine Kollegin, mit der ich neulich über das Thema sprach, erzählte, immer | |
wenn sie mal ihre Kinder aufheitern wolle, sage ihr Sohn: „Alle schweigen, | |
keiner lacht – Mama hat 'nen Witz gemacht.“ Das gefiel mir und ich gab die | |
Anekdote zu Hause an meine Kinder weiter. Seither kann ich keinen Witz mehr | |
machen, ohne dass mir dieser Satz leicht abgewandelt um die Ohren fliegt. | |
Wie dumm kann man sein. Nein, korrigieren mich die Kinder, „wie peinlich“. | |
Dann kommt ein Gewitter, es blitzt und donnert, und schwupp sind beide | |
Kinder in unserem Bett. | |
„Wie peinlich“, möchte ich rufen, unterlasse es aber, weil sie schon wieder | |
schlafen, und ziehe aus dem überfüllten Bett um aufs Wohnzimmersofa. Dort | |
werde ich morgens davon wach, wie jemand auf der Toilette bei offener Tür | |
Weihnachtslieder schmettert – mitten im Sommer. Ich rufe: „Wie peinlich“, | |
aber der Ruf verklingt ungehört wegen der rauschenden Toilettenspülung. Ich | |
ärgere mich, dass dieser gute Witz kein Publikum gefunden hat und eile in | |
die Küche, um schnell die Pausenbrote zu machen. „Pausenbrote? Wir haben | |
Ferien. Oh, wie peinlich!“, schallt es voller Häme aus dem Flur. | |
Ja. Es stimmt. Ich bin peinlich. Ich bin peinlich, wenn ich morgens | |
aufstehe, und wenn ich abends ins Bett gehe, hat sich noch mehr | |
Peinlichkeit angesammelt. Das ganze Leben ist nichts anderes als eine große | |
Ansammlung an Peinlichkeiten. Kinder könnten von Erwachsenen lernen, dass | |
es Schlimmeres gibt als peinlich zu sein. Das ist ein schöner und wahrer | |
Satz. Doch er ist leider auch (und jetzt alle): „Peinlich!“ | |
22 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Maik Söhler | |
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