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# taz.de -- Kolumne Darum: Auf der Achterbahn
> Während der Fahrt auf der „Colorado Adventure“ im Phantasialand werden
> Kinder zu „scream machines“. Ich darf nicht schreien. Das ist ungerecht.
Bild: Kreeeeiiiiisch! Achterbahn „Silverstar“ des Europa-Parks in Rust.
Achterbahnen und Kindererziehung haben viel gemeinsam. Es geht drunter und
drüber. Alles passiert viel zu schnell. Teile der Reise sind
unübersichtlich oder finden gleich ganz im Dunkeln statt. Wenn es einmal
losgegangen ist, kann man unterwegs nicht aussteigen. Und manchmal wird
einem schlecht, man darf es aber nicht zeigen.
Solche Gedanken kommen einem während der gut zweiminütigen Fahrt auf der
[1][Colorado Adventure im Phantasialand Brühl]. Und so schnell sie kommen,
so schnell sind sie auch wieder weg. Was nach so einer Achterbahnfahrt mit
der Tochter bleibt, ist die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann.
Wie leichtfertig man beim Essen mit Frau und Kindern darüber plauscht, dies
schon gemacht zu haben und das gerne mal ausprobieren zu wollen und jenes
damals leider verpasst zu haben. Einen Fallschirmsprung aus 4.000 Metern
Höhe hat mir solch hirnloses Gelaber schon eingebracht und nun eben diverse
Höllenfahrten in einem Freizeitpark.
Denn zu erzählen, dass man als Kind auch so gerne Achterbahn gefahren sei
und dann tatsächlich – 30 Jahre nach der letzten Fahrt – wieder in einer zu
sitzen, sind zwei grundverschiedene Sachen. Die Achterbahnen von 1983 sind
nicht identisch mit denen von 2013. Wo gestern Mut war, sind heute Zweifel.
Unbedarftheit ist gereizten Nerven gewichen. Und ein Magen wird ja auch
nicht jünger.
So eine Achterbahnfahrt geht langsam los. Man wird irgendwo sehr steil
hochgezogen und weiß: Wo es hoch geht, geht es auch wieder – uiiiii. Alle
fangen an zu schreien, meine Tochter auch, und gleichzeitig sehe ich in
ihren Augenwinkeln die Erwartung, dass ich nicht schreien soll.
## Unproduktiv und sinnlos
In welcher Sicherheit habe ich bloß beim Essen vom Achterbahnfahren
gesprochen, dass nun von mir erwartet wird, das Grauen minen- und
geräuschlos ertragen zu müssen? In den USA werden [2][die Dinger auch
„scream machines“ genannt.]
Warum, verdammt, darf meine Tochter sich bei gefühltem Tempo 200 im Auf und
Ab und Kreuz und Quer wie ein Kind verhalten – und ich nicht? Der
Freiburger Soziologe Sacha Szabo, der über Attraktionen auf Jahrmärkten und
in Vergnügungsparks promoviert hat, zählt die Achterbahnfahrt zu den
Rausschspielen. [3][Ihr „kennzeichnendes Element" sei „ihre völlige
Unproduktivität und scheinbare Sinnlosigkeit“.]
Unproduktivität und Sinnlosigkeit reklamieren Kinder gerne für sich, teils
zu Recht, teils nicht. Von uns Eltern erwarten sie, dass wir ihnen dabei
nicht in die Quere kommen. Dass auch wir „Rauschspiele“ mögen, umso mehr,
wenn wir uns dabei komplett gehen lassen können, ist ihnen suspekt. Daher
der warnende Kontrollblick der Elfjährigen in meine Richtung, während sie
sich in rasender Abwärtsfahrt in eine lebende „scream machine“ verwandelt.
Also gibt es zwei Sachen, die sich ändern müssen. Nicht mehr leichtfertig
vor den Kindern von Dingen sprechen, über deren Auswirkungen man sich
selbst nicht im Klaren ist („Als ich Kind war, habe ich auch gerne haarige
Plastikvogelspinnen unter Kopfkissen versteckt“). Und wenn doch, dann so,
dass die Kinder gleich begreifen, dass Kontrollverlust ihnen nicht allein
vorbehalten ist. Beides zugleich zu vermitteln ist kompliziert – ich könnte
schreien. Achterbahnfahren ist leichter.
11 Nov 2013
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=KWG5tEE2fGo
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/The_Great_American_Scream_Machine
[3] http://fudder.de/artikel/2009/04/14/der-achterbahnforscher/
## AUTOREN
Maik Söhler
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