# taz.de -- „Alternative für Deutschland“: Radikale mit Schlipsen | |
> Der größte Gegner der „Alternative für Deutschland“ ist nicht die | |
> politische Konkurrenz, sondern ein innerer Widerspruch. Nach der Wahl | |
> wird's eng. Ein Essay. | |
Bild: Der Button macht sich gut am brauen Revers | |
Dem sowjetischen Diktator Stalin wird das Bonmot zugeschrieben: „In | |
Deutschland wird es keine Revolution geben, weil man dazu den Rasen | |
betreten müsste.“ Die jahrhundertealte Furcht der Deutschen vor Chaos, ihre | |
Sehnsucht nach Ordnung zeigt sich noch heute. Das Wort „Geschlossenheit“ | |
klingt für die Bürger nicht nach klaustrophobischer Enge, sondern | |
Geborgenheit. | |
Merkels Amtsstuben-Aura ermöglicht es ihr, selbst riskanteste Manöver in | |
ihrer Krisenpolitik als notwendig und folgerichtig erscheinen zu lassen. | |
Der Opposition bleibt die undankbare Rolle, Kritik zu üben, ohne Ängste zu | |
schüren. Entsteht mit der „Alternative für Deutschland“ tatsächlich eine | |
Alternative? Oder ist sie kaum mehr als der Lärm, den sie erzeugt? | |
Geschickt greift die AfD die Argumentation der Eurobefürworter auf. Die | |
lautet: Die Krise ist grässlich, aber eine Rückkehr zu nationalen Währungen | |
führte zu einer wirtschaftlichen und politischen Katastrophe. Staaten | |
brächen zusammen, autoritäre Regime könnten entstehen. Europa vergäbe seine | |
einzige Möglichkeit, sich als weltpolitische Kraft zwischen den Großmächten | |
USA und China zu behaupten. | |
Die Folge ist eine Art kollektive Depression der Deutschen. Nach dem Motto: | |
Es ist furchtbar, aber was sollen wir schon machen? Die AfD dreht die | |
Argumentation um: Der eingeschlagene Weg der Bürgschaften und | |
Stützungskäufe führt in die Katastrophe, von der er fortführen soll. Ein | |
Euro-Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende. Allein, | |
weil die Partei die bleierne Stimmung der Alternativlosigkeit angeht, ist | |
ihre Existenz ein Gewinn. | |
## Der geordnete Rückzug | |
Die Führung der AfD beherzigt eine wichtige Lehre: Wer hierzulande eine | |
radikale Meinung äußert, hat größere Chancen, gehört zu werden, wenn er | |
dabei Anzug und Schlips trägt. Die Partei will eine Abkehr vom | |
jahrzehntelangen Kurs wachsender wirtschaftlicher Verflechtung in Europa. | |
Dabei achtet die neue Partei auf rhetorische Feinheiten. In ihrem | |
Wahlprogramm schreibt sie: „Wir fordern eine geordnete Auflösung des | |
Euro-Währungsgebietes. Deutschland braucht den Euro nicht. Anderen Ländern | |
schadet der Euro.“ | |
Und: „Wir wollen in Freundschaft und guter Nachbarschaft zusammenleben.“ | |
„Geordnet“ soll der historische Bruch also verlaufen, und für den Rauswurf | |
mehrerer Staaten aus dem Euroraum wirbt sie, um weiteren Schaden von ihnen | |
abzuwenden. Die neuen Revolutionäre versprechen, dafür zu sorgen, dass | |
niemand den gemeinsamen Rasen zertrampelt. | |
Die Schill-Partei oder die DVU scheiterten verlässlich an eigener | |
Inkompetenz und dem Ruf, irgendwie schmuddlig und dadurch unwählbar zu | |
sein. Wer sich zu ihnen bekannte, musste sich in seinem Umfeld | |
rechtfertigen. Das schreckte massiv ab in einem Land, dessen Bürger weniges | |
mehr fürchten als die soziale Isolation. Die AfD tappt nicht in diese | |
Falle. Sie ist ernster zu nehmen als frühere dem rechten Spektrum | |
zuzurechnende Parteien. | |
Der Protest gegen die sogenannte Eurorettungspolitik der Bundesregierung | |
bündelt eine diffuse, seit Langem schwelende Unzufriedenheit unter | |
Konservativen. Endlich bietet sich ihnen ein Ventil für ihre Angst, das zu | |
verlieren, was Konservativsein weit stärker ausmacht als konkrete Inhalte: | |
ein Gefühl von Form und Maß. | |
## Sehnsucht nach Handfestem | |
Etwas verstört Konservative mehr als der Ausstieg aus Atomenergie und | |
Wehrpflicht oder die rechtliche Gleichstellung der Homo-Ehe. Es ist die | |
Einsicht, dass diese Dinge nichts mehr sind, wofür oder wogegen zu kämpfen | |
Konservativsein ausmacht. Ratlos blicken sie aufs leere Reservoir alter | |
Gewissheiten. Die Heftigkeit, mit der die AfD gegen den Euro wettert, | |
speist sich auch aus der Sehnsucht nach etwas Handfestem, das | |
Konservativsein wieder definiert. Und das, ohne als dumpf oder vorgestrig | |
zu gelten. | |
Ihre Führung macht vor, wie diese Mischung aus Überzeugung und Sachlichkeit | |
aussehen kann. Ihre Sprecher, der Hamburger Ökonomieprofessor Bernd Lucke | |
und die Chemikerin und Unternehmerin Frauke Petry, geben sich betont | |
nüchtern. Besonders augenfällig wurde die Ratlosigkeit der etablierten | |
Parteien vor einigen Monaten. In der ARD-Sendung „Anne Will“ hielt Lucke | |
ruhig einen Vortrag über den Segen des Euroaustritts für Länder wie | |
Griechenland. Ausgerechnet der Zahlenmensch Edmund Stoiber verlor | |
angesichts von so viel gewahrter Contenance die eigene. Die AfD bekämpft | |
die spröde Kanzlerin mit deren eigenen Mitteln. | |
Zudem weiß die Partei einen großen Teil der deutschen Volkswirtschaftler | |
auf ihrer Seite, wenn sie die Konstruktionsfehler des Euros und deren | |
Folgen analysiert. Nur ziehen die AfDler daraus weit radikalere Schlüsse. | |
Die kaum verhüllte Forderung nach einem Rausschmiss „der Südländer“ spri… | |
weit verbreitete Affekte in der Bevölkerung an, denen zufolge die da unten | |
partout nicht ordentlich mit Geld umgehen können und bloß anderer Leute | |
Diszipliniertheit und Gutgläubigkeit ausnutzen. Viele Bürger fragen | |
insgeheim: Darf man das denken? Die Antwort der AfD lautet: Sie dürfen! | |
Diese Kombination aus Affektbedienung und nüchternem Auftreten macht die | |
AfD zur echten Gefahr für andere Parteien. | |
## Schwarz-Gelb gefährdet | |
Derzeit geben bei Umfragen zwei bis drei Prozent der Befragten an, sie | |
würden der Partei bei der Bundestagswahl ihre Stimme geben. Das ist nicht | |
viel. Zum einen aber könnte auf die neue Partei zutreffen, was andere seit | |
Langem kennen: Nicht bei einer persönlichen Befragung, aber allein in der | |
Wahlkabine machen einige Bürger bei ihr das Kreuzchen. Zum anderen werden | |
voraussichtlich wenige Prozentpunkte darüber entscheiden, welches | |
Parteienbündnis am 22. September regieren wird. Die AfD, der viele | |
Ex-Unionisten und -FDPler beitreten, könnte Schwarz-Gelb die Mehrheit | |
kosten. | |
Selbst, falls die AfD nicht in den Bundestag einzieht, könnte ihr Aufkommen | |
weitreichende Folgen haben. Binnen drei Monaten nach ihrer Gründung hat die | |
Partei fast 14.000 Mitglieder gewonnen – eine Erfolgsgeschichte. Die | |
Funktionärsschicht der neuen Partei dominieren Steuer- und | |
Unternehmensberater, Betriebs- und Volkswirte. Im Inhalt radikal, aber im | |
Ton verbindlich – die Formel könnte zur Entstehung anderer sogenannter | |
Protestparteien führen. | |
Doch nach der Bundestagswahl wird ein Strukturproblem der Partei offenbar | |
werden. Seit Gründung der Bundesrepublik haben Wirtschaftsliberale und | |
Konservative eines beherzigt: Das Land braucht gute Beziehungen zu seinen | |
Nachbarn schon deshalb, weil seine Wirtschaft extrem exportabhängig ist. | |
Die AfD steht diesen Milieus personell und geistig nahe: Sie ist | |
wirtschaftsliberal und wertkonservativ und so eine Einladung an enttäuschte | |
Unionsanhänger. | |
Ihre Forderungen aber bedrohen die einträglichen internationalen | |
Beziehungen Deutschlands. Auch Berufsgruppen wie die Ärzte, die in Umfragen | |
große Sympathien für die AfD bekunden, bekämen die Folgen eines | |
Zusammenbruchs des heutigen EU-Binnenmarkts zu spüren. Eine tiefe Rezession | |
trifft nicht nur Menschen mit exportabhängigen Jobs, sondern alle. Wer | |
wählt eine Partei, die zwar die eigenen Affekte bedient, aber auch den | |
Wohlstand gefährdet? | |
## Die „Eurokrise“ der AfD | |
Die AfD hat die Wahl zwischen Seriosität und Affektheischerei. Die | |
Entscheidung für Ersteres nähme ihr die aus Frustration gespeiste Wucht. | |
Entscheidet sie sich dafür, allein diffuse Ressentiments zu bedienen, | |
werden ihr viele, auf Seriosität bedachte Mitglieder den Rücken kehren. So | |
oder so droht ihr nach der Wahl im September eine eigene „Eurokrise“. | |
Die „Alternative für Deutschland“ verbreitet wenige Wahlkampfmonate lang | |
das Gefühl, eine Alternative zu haben. Doch sie selbst steht vor einer | |
Wahl, die sie wahrscheinlich überfordern wird. Die AfD könnte zerbrechen, | |
bevor sie den Rasen zertrampeln kann, den sie zu schützen verspricht. | |
12 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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