| # taz.de -- Die Wahrheit: Sammlung fürs Sieb | |
| > Ich hätte gern die Handynummer des für mich zuständigen | |
| > NSA-Kundenbetreuers. Denn den Geheimdiensten gebührt Dank für ihr | |
| > Gedächtnis. | |
| Bild: Meine Arbeitskollegen heißen für mich alle „Dings“ | |
| Mein Vater, kürzlich 89 Jahre alt geworden, ist nicht mehr gut zu Fuß, aber | |
| sein Gedächtnis funktioniert noch tadellos. Fragt man meinen alten Herrn | |
| beispielsweise, wie teuer der Wintermantel war, den er 1969 im | |
| Winterschlussverkauf in Wuppertal erworben hat, antwortet er ohne Zögern | |
| „293 Mark und 90 Pfennig“ – und fügt mit tadelndem Blick noch hinzu, dass | |
| ich das eigentlich wissen müsste. Immerhin war ich bei dem Einkauf doch | |
| dabei und damals immerhin schon drei Jahre alt. | |
| Ich erinnere mich aber nicht einmal daran, ob ich mir morgens tatsächlich | |
| die Zähne geputzt habe. Wie viele Wochen meines Lebens stand ich bereits | |
| mit blödem Gesichtsausdruck vor meinem Schreibtisch, im vergeblichen | |
| Bemühen, mich daran zu erinnern, wo ich diesen Zettel mit der Geheimzahl | |
| meiner Bankkarte vor mir versteckt habe. | |
| Regelmäßig gratuliere ich Freunden an Tagen zum Geburtstag, an denen sie | |
| definitiv nicht geboren sind. Meine Arbeitskollegen heißen für mich alle | |
| „Dings“, weil mein Gedächtnis sich keine Nachnamen merken kann. Und | |
| ungezählt all jene mit „Das Wetter ist gut, das Essen ist spitze | |
| hier“-Texten beschrifteten Urlaubspostkarten, die ich nie verschickt habe, | |
| weil ich vergessen hatte, das Adressbuch mit in den Urlaub zu nehmen. | |
| Ich hatte die Hoffnung aufgegeben, dass ich an diesem misslichen Zustand je | |
| etwas ändern könnte. Bis ich las, womit der US-amerikanischen Geheimdienst | |
| so seine Zeit verbringt. Er sammelt meine Mails, speichert meine | |
| Telefonate, merkt sich meine Google-Suchanfragen. Er macht sich sogar die | |
| Mühe, Milliarden Briefe zu fotografieren, damit man sehen kann, mit wem man | |
| Briefkontakte pflegt. | |
| ## Ungemein praktischer Bürgerservice | |
| Da verzichte ich seit Jahren auf die Freuden eines ausschweifenden Lebens | |
| als Single, suche mir stattdessen frühzeitig eine geeignete Ehefrau, die | |
| ich in jahrelangem harten Training dazu bringe, sich für mich all die | |
| Termine und Namen zu merken, die in meiner hohlen Nuss nicht haften bleiben | |
| wollen – und all diese mühsamen, freudlosen Entbehrungen nur, weil mir | |
| keiner sagt, dass mein Geheimdienst das alles längst für mich sammelt, | |
| ordnet, archiviert und so besser als ich weiß, wer meine Freunde sind, wann | |
| sie Geburtstag haben, wann und wohin ich in den Urlaub fahre und wie die | |
| Adressen lauten, an die ich meine Postkarten schicken muss. | |
| Der Zugang zu diesem ungemein praktischen Bürgerservice ist zurzeit aber | |
| nicht sehr kundenfreundlich organisiert. Es dauert schlicht zu lang, jedes | |
| Mal den Aufenthaltsort von Edward Snowden zu recherchieren, nur weil ich | |
| kurz wissen will, ob das Bewegungsprofil meines Vaters im Netz den | |
| Rückschluss erlaubt, dass er sich sehr über einen neuen Wintermantel freuen | |
| würde. | |
| Wie viel einfacher wäre es, die Geheimdienste programmierten eine passende | |
| Daten-App zum kostenlosen Download. Oder, wenn das zu teuer ist, reicht mir | |
| auch die Handynummer des für mich zuständigen NSA-Kundenbetreuers. Oder, | |
| besser noch, der Herr ruft mich gleich an, wenn er denkt, ich könnte seine | |
| Informationen gut gebrauchen. Meine Nummer hat er ja. | |
| 12 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Franco Zotta | |
| ## TAGS | |
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