# taz.de -- Die Wahrheit: Fußballverstand beim Verwelken | |
> Warum nur guckt man bei der Fußball-EM bis in die Puppen ein grässliches | |
> Spiel wie Kroatien gegen Portugal? Weil man nicht anders kann! | |
Bild: Das Musical: Appes Bein. | |
Ich könnte so viele sinnvolle Dinge in meiner Freizeit tun: das Internet | |
leer kaufen, meine Briefmarkensammlung komplettieren, die Wand anstarren. | |
Aber was mache ich? Ich gucke Fußball. Warum? Die Antwort ist einfach: Ich | |
weiß es nicht. | |
Als gelernter Philosoph könnte ich selbstverständlich irgendetwas | |
schwadronieren über die ungezähmte Schönheit des Spiels an sich. Oder den | |
linken argentinischen Trainer César Luis Menotti ins Feld führen, der | |
Fußball für eine ästhetische Betätigung im Dienste des menschlichen | |
Fortschritts hält. Aber ich könnte es auch sein lassen und der Wahrheit ins | |
Gesicht blicken, so hässlich sie auch ist: Fußball ist fast immer | |
stinklangweilig. Ich gucke Kacke, freiwillig, 90 Minuten Güllewurf auf | |
grüner Wiese, seit Jahrzehnten tue ich mir das an, wieder und wieder, | |
zwanghaft, es ist hoffnungslos. | |
Ein Beispiel gefällig? Der Guardian kürte kürzlich das EM-Spiel Kroatien | |
– Portugal [1][zum schlechtesten Turnierspiel], das jemals ausgetragen | |
wurde. Wer, wie ich, dieses Inferno gesehen hat, muss den Kollegen ob ihres | |
differenzierten Urteils Anerkennung zollen. Hätte man anstelle dieser | |
Achtelfinalpartie 90 Minuten lang übertragen, wie der Spielrasen vor sich | |
hin wächst, es wäre ein Abend voller inspirierender Höhepunkte gewesen. | |
Ein normaler Mensch, der so etwas sieht, beschließt danach allein aus purem | |
Überlebenswillen, so etwas unfassbar Grässliches nie mehr zu gucken. Was | |
aber mache ich? Schalte wieder den Fernseher an und starre 90 Minuten plus | |
Verlängerung auf das Viertelfinalspiel Polen gegen Portugal. | |
Im Contest um das schlechteste Turniermatch ever hätte diese Partie beste | |
Chancen, Platz zwei zu holen. Wäre ich nicht dem Wachkoma nahe gewesen, | |
hätte ich diese Begegnung aufgenommen, in Flaschen gefüllt und als | |
garantiert wirksames Schlafmittel vertickt. Aber nichts ging, nicht mal zum | |
Survival-Schrank mit dem Bier und den Erdnüssen konnte ich mich schleppen. | |
Ich saß einfach nur da und wohnte meinem Verstand beim Verwelken bei. | |
Ich kenne das schon, ich bin Schalke-Fan. Fast jedes Wochenende, seit 40 | |
Jahren, das immer gleiche Ritual: Anpfiff, elf Männer in Blau und Weiß, | |
heute muss es doch was werden – und nach zwei Spielzügen ist klar: Es wird | |
nichts. In diesem Spiel nicht, im nächsten nicht, in dieser und der | |
nächsten Saison nicht. Nie wird’s was werden. | |
Die Erde ist rund, eins und eins macht zwei und Schalke spielt erbärmlich – | |
ich weiß es doch. Das Rätselhafte ist: Die Hoffnung stirbt in jeder Saison | |
zuerst, mausetot getreten von elf Fehlpassvirtuosen im S04-Trikot. Aber | |
nächsten Samstag sitze ich trotzdem wieder da und denke: Auf, auf, Höwedes | |
und Huntelaar! Tragt mit schönem Spiel hinein den Ball ins gegnerische | |
Feld! Flankt und kombiniert, dass das Aug benetzt wird vom Glanz der | |
Freudentränen! Erfüllt des treuen Sportfreunds Begehr nach Spielwitz, | |
geschundenen gegnerischen Schienbeinen und drei Punkten! | |
Insofern, nächster Termin: EM-Halbfinale. Heute Abend spielt wieder | |
Portugal. | |
6 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.theguardian.com/football/2016/jun/26/open-thread-croatia-portug… | |
## AUTOREN | |
Franco Zotta | |
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