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# taz.de -- Eskalation in Hamburg-Altona: „Sind wir gefährlich?“
> In Hamburg-Altona rückt die Polizei seit Tagen zu Großeinsätzen aus.
> Gegen jugendliche Randalierer, so heißt es. Die Anwohner fühlen sich
> schikaniert.
Bild: Frauen in Hamburg-Altona in der ersten Nacht der Polizeieinsätze: Sie pr…
HAMBURG taz | Die Hunde bellen nicht mehr, die Autos sind stehen geblieben.
In diesem Moment ist es still auf der Holstenstraße. Die Jungen aus der
Nachbarschaft, die hier im Hamburger Stadtteil Altona wohnen, haben ihre
Arme untergehakt. Rund 80 von ihnen stehen Schulter an Schulter auf dem
Asphalt.
Ihnen gegenüber, mit schwarzen Anzügen und weißen Helmen, haben sich die
Polizisten vor ihre Mannschaftswagen gestellt. Es sind fast genauso viele.
„Ihr seid selber schuld!“, ruft ein Junge herüber. Dann brüllen sie alle:
„Haut ab, haut ab!“
Es ist die dritte Nacht in Folge, dass Anwohner und Polizei in dieser
Straße aufeinander treffen. Am Donnerstagabend [1][hatten Polizisten 16
Jugendliche im Alter zwischen 17 und 26 Jahren festgenommen], laut Polizei
wegen des Verdachts auf Widerstand und Landfriedensbruch. Die Beamten seien
angerückt, weil sie von Autofahrern angesprochen worden seien: Jugendliche
hätten sie mit Laserpointern geblendet. Als die Polizisten aus dem
Streifenwagen stiegen, seien sie beschimpft worden.
Doch die Anwohner schildern den Abend anders: Die muslimischen Kinder und
Jugendlichen, die sich im Fastenmonat Ramadan nach Sonnenuntergang am Kiosk
„Azra“ treffen, um dort gemeinsam zu essen, seien von den Beamten
überrascht worden. Grundlos hätten sie die Jungen umstellt, um ihre
Ausweise zu kontrollieren.
## Einem wurde die Nase gebrochen
Einen 15-Jährigen, der versucht habe, wegzulaufen, hätten sie so fest gegen
eine Fensterscheibe geworfen, dass diese zerbrach. Die Polizisten hätten
sie unvermittelt mit Pfefferspray besprüht. Einem Jungen sei die Nase
gebrochen worden, ein anderer habe durch die Schläge der Polizisten sein
Bewusstsein verloren.
Aus Protest, sagt eine Frau am nächsten Tag, hätten sich die Mütter aus dem
Viertel anschließend auf die Straße gesetzt. Es seien „randalierende
Jugendliche in Altona“, hat sie anschließend im Radio gehört: Das sei
Diskriminierung, sagt sie, Rassismus. Die Frau trägt ein langes Kleid und
ein Kopftuch. An diesem Freitagabend geht sie mit ihrem Mann den
Bürgersteig vor dem Kiosk auf und ab.
Einige der Jungen, die die Nacht in der Zelle verbracht haben, haben sich
hier auf die Holzbänke gesetzt. Sie trinken Fruchtsaft aus Tetrapacks und
essen Kartoffelchips. Alle paar Minuten fährt heute ein Polizeiwagen an
ihnen vorbei. „Schon wieder“, sagen sie dann.
Eine Stunde später, gegen 23 Uhr, ist es voll geworden. Rund 100 Menschen
stehen jetzt an der Holstenstraße – Eltern, Kinder, junge Muslime, die aus
anderen Teilen Hamburgs gekommen sind und Leute, deren Gesichter die
Nachbarn heute zum ersten Mal sehen: Ein alter Mann mit langem Haar hat ein
rotes Anarchie-Symbol auf seine löchrige Fahne gemalt. Frauen und Männer
mit Kapuzenpullovern kaufen im „Azra“ Club Mate und warten ab.
## „Geht da nicht hin“
Die Polizeiwagen fahren mittlerweile öfter, in Kolonnen. Auf der
Holstenstraße schalten sie ihr Blaulicht ein oder das Martinshorn, nur
kurz, um dann abzubiegen. Wenig später explodieren hundert Meter entfernt
Böller. „Geht da nicht hin“, sagt die Mutter eines Jungen. „Das ist wie …
Fliegen, die ans Licht gehen“, sagt ihr Mann. In einer Seitenstraße brennen
jetzt zwei Autos.
Seit gut einer Woche hat die Polizei die Kontrollen in Altona verschärft.
„Schwerpunkteinsätze“, nennt das die Polizei, weil es in den vergangenen
Wochen „vermehrt zu Straftaten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen
gegenüber Anwohnern gekommen“ sei.
Die Anwohner beklagen, dass Jugendliche in den letzten Tagen in einem Park
am Haus Drei, einem Stadtteil- und Kulturzentrum, und den umliegenden
Straßen zum Teil mehrmals täglich von der Polizei kontrolliert wurden. „Die
Polizisten wissen schon besser, wie ich heiße als meine Mutter“, sagt einer
von ihnen: „Ich komme wegen der Personenkontrolle zu spät zur Arbeit.
Deshalb habe ich eine Abmahnung bekommen.“
Die Polizeigewerkschaft hat am Freitagnachmittag eine Pressemitteilung
verschickt. Der Tonfall ist scharf: „Wer Polizisten angreift, muss
Null-Toleranz und gesellschaftliche Ächtung erfahren.“
## Dann gibt es einen Deal
Es ist nach Mitternacht, als die Menschen vom Kiosk zu den Mannschaftswagen
gehen, die auf der anderen Straßenseite parken. „Sind wir gefährlich?“,
ruft einer. „Können Sie nicht deeskalieren?“, fragt ein Vater einen
Beamten. „Die Frage ist doch: Warum ist es provozierend, wenn wir hier
sind?“, fragt der zurück. „Sie fahren die ganze Zeit hier lang“, sagt der
Mann. „Das ist Ihre Sichtweise“, sagt der Polizist.
Ob es denn keinen Sprecher gebe, will der Mann wissen. „Wir würden gern in
einen Dialog mit Ihnen treten.“
Schließlich kommt der Revierleiter, Gerd Malachowski. „Darf ich zwei
Familienväter zum Gespräch mitnehmen?“, fragt der Mann. Er darf. Die
Kontrollen hätten sich seit einer Woche verschärft, räumt Malachowski ein,
und zu dem Einsatz am Vorabend: „Sie haben die Möglichkeit, Anzeige zu
erstatten.“ Es ist ein langes Gespräch, das die Männer führen, in einer
Traube aus Kindern und Punks. „Auch Polizeibeamten machen Fehler“, sagt
Malachowski zum Schluss.
Am Montag sollen die Männer zur Polizeiwache kommen, um über die Probleme
im Viertel zu sprechen. Dann fahren die Mannschaftswagen ab. Wenn ihr geht,
gehen auch wir, das ist der Deal.
Doch am nächsten Abend ist der Gehweg vor dem „Azra“ wieder voll. Ein
Zwischenfall in der Nachbarschaft: Eine Personenkontrolle bei einer
Handvoll Jungen. Einer von ihnen, mit schwarzer Hautfarbe, sei von einem
Polizisten als „Affe“ beschimpft worden. Das spricht sich schnell herum.
Böller explodieren. Dann kommen die Polizisten. „Machen Sie die Fahrbahn
frei“, sagt die Polizei durch. „Ihr zuerst!“, rufen die Jugendlichen. „…
zurück zum Kiosk“, sagt ein alter Mann. Sie gehen.
Am Sonntagnachmittag versammeln sich rund 200 Nachbarn im Park. „Die
Polizei treibt unsere Kinder dahin, dass sie sich nationalisieren“, sagt
eine Mutter. Die Eltern ließen sich das nicht gefallen.
14 Jul 2013
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## AUTOREN
Lena Kaiser
Kristiana Ludwig
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Altona
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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