# taz.de -- Die Wahrheit: Sex und Krankheit im alten Westen | |
> Aus dem Tagebuch einer Umzieherin: Wer ein Jahr im Papa-Mama-Kind-Biotop | |
> des Prenzlauer Bergs überlebt hat, ist nach einem Umzug zutiefst | |
> erleichtert. | |
Man sagt, Gegensätze zögen sich an, wozu ich bestätigend sagen darf: Meine | |
Freundin C. kann mit Mühe Wasser kochen, während ich schon ganze Tage | |
meines Lebens mit den Vorbereitungen für zwölfgängige Thanksgiving-Menüs | |
verbracht habe. Sie behauptet auch, sie bekäme nie mit, was um sie herum | |
vorgeht, wohingegen ich wie ein Schwamm noch jede Mikro-Botschaft aus der | |
Außenwelt aufsauge. | |
So jedenfalls muss es zu erklären sein, dass ich neulich unterhalb des | |
nahezu vollständig heruntergezogenen Rollladens vor einem Imbiss eine | |
Mitteilung entdeckte, die aufgrund ihrer Bordsteinnähe eigentlich nur für | |
Hunde oder Liegende gedacht gewesen sein kann: „Green’s geschlossen bis Mo | |
15. 7. 2013 – Im Alter werd mann knackig mal knacks da und mal dort – Es | |
ist so weit bei mir bin krank – Aber Ab Mo wieder gesund. – Danke für’s | |
Verstendness Eure ABDULL“. Zwischen die Zeilen hatte ein offenbar | |
mitfühlender Stammkunde „Gute Besserung“ gekritzelt. | |
Nachdem ich eine Weile über Abdulls Botschaft gegrübelt hatte, kam ich zu | |
folgendem Ergebnis: Sollte die Aufmerksamkeit der Männerwelt gegenüber | |
einer attraktiven Frau in den besten Jahren ein Indiz sein, so kann hiermit | |
bestätigt werden, dass ich mit zunehmendem Alter knackiger werde. | |
Allerdings nicht überall. Womit keineswegs Mängel in bestimmten | |
Körperregionen, sondern geografische Unterschiede gemeint sind. | |
Dazu muss erklärt werden, dass ich ein Jahr im Papa-Mama-Kind-Biotop des | |
Prenzlauer Bergs überlebt habe und jetzt nach einem Spontanumzug zutiefst | |
erleichtert bin, endlich im jahrzehntelang gut durchmarinierten alten | |
Berliner Westen angekommen zu sein. Die dort ansässigen Bewohner bilden | |
einen wilden Querschnitt sowohl durch die Generationen als auch durch die | |
im internationalen Prenzl-Völkchen weniger vertretenen Regionen der Welt | |
und repräsentieren damit eine Artenvielfalt, die zwischen mehr oder weniger | |
kultivierter Intelligenzija, Russenproll und Rolf Eden (knackig!) variiert. | |
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zum Prenzlauer Berg bilden dabei die | |
Paarungsrituale. Ältere Kiezbewohner, die sich nicht mehr von | |
Fruchtbarkeitssignalen locken lassen, folgen den beruhigenden Botschaften | |
reiferer Körper: Kinder sind nett, aber überbewertet, und hemmungsloser Sex | |
ist auch nicht zu verachten. Besonders, weil die Knackigkeit nicht nur in | |
den Gelenken, sondern auch auf den Netzhäuten Einzug hält und dem Gegenüber | |
ohne Hilfsmittel faltenfreie Haut und das beschwingende Versprechen ewiger | |
Jugend beschert. | |
Abdull, dessen Wirkungskreis sich in der Wilmersdorfer Straße – dem | |
Kerngebiet des alten Westens – entfaltet, bringt es auf den Punkt. Nicht | |
nur wissen wir hier um unsere Altersknackigkeit, wir können, da wir dem | |
finalen Ende bereits so viel näher sind als die Prenzlberger, sogar präzise | |
Voraussagen zum Zeitplan der Genesung von Krankheiten treffen! Und zwar | |
völlig undigital mit analogen Abwesenheitsnotizen: Ab Montag wieder gesund! | |
Gute Besserung, Abdull! | |
Und siehe da: Montag war knackig geöffnet. | |
17 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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